Jón Svensson
Nonnis Reise um die Welt
Band I
Von Frankreich über England nach Amerika
Saga
Teil I
Der Verfasser der vorliegenden Schrift, P. Jón Svensson, ist am 16. Oktober 1944 im Franziskushospital in Köln-Ehrenfeld gestorben. Die Schrift sollte nach Absicht P. Svenssons das letzte in der großen Reihe der von ihm verfaßten und vom Herderschen Verlag herausgegebenen „Nonnibücher“ sein, zu denen es seiner Natur und seinem Inhalt nach auch gehört, eine Darstellung der großen Reise um die Welt, die der 80jährige „Nonni“ von London aus über die Vereinigten Staaten, Japan, Shanghai, Hongkong, Singapore, Aden, den Suezkanal, das Mittelmeer, den Golf von Biskaya bis zurück nach London in den Jahren 1936—1938 ausgeführt hat.
Den 1. Band, der bis zur Abreise von San Francisco nach Japan reicht, konnte „Nonni“ noch selbst ganz zu Ende führen und für den Druck vorbereiten. Den 2. Band, der die Reise nach Japan, den einjährigen Aufenthalt daselbst und die Rückreise von dort nach London zum Gegenstand haben sollte, konnte er nicht mehr voll zu Ende führen. Denn im Juli 1942 wurde der 85jährige kranke Greis durch die nationalsozialistische Geheime Staatspolizei aus seinem friedlichen Wohnsitz in Valkenburg in Holland vertrieben und über die Grenze geschafft. Seine Bücher und Manuskripte wurden ihm zwar auf einflußreiche Verwendung hin zurückerstattet; aber dieser Schlag und die nachfolgende Bombenzeit trafen ihn doch so hart, daß anstrengende schriftstellerische Tätigkeit ihm nicht mehr möglich war. So ist er selber mit dem 2. Bande nur noch bis zum Kapitel 39 gekommen, das mit der Abreise von Tokio schließt. Damit aber das wertvolle Werk nicht unvollendet bleibe, hat „Nonnis“ alter Freund, P. Hermann Krose, es unternommen, den Abschluß der Japanreise und der Rückreise nach Europa in engem Anschluß an die von P. Svensson hinterlassenen genauen Tagebuchnotizen als Ergänzung hinzuzufügen. — In einer Schrift: „Jón Svensson. Ein Lebensbild“ hat P. Hermann Krose eine Gesamtwürdigung der Persönlichkeit und der Werke P. Svenssons gegeben.
Möge „Nonnis Reise um die Welt“ als die letzte Gabe Nonnis an seine zahlreichen Freunde und Verehrer die gleiche freundliche Aufnahme finden, die den früheren Nonnibüchern zuteil geworden ist!
Der Herausgeber
Das Reisen lag Nonni im Blut
Es ist ihm nie recht wohl gewesen daheim. Immer wieder lockte es ihn hinaus. Einmal waren es die Naturwunder der isländischen Heimat, wie er sie in dem Buche „Zwischen Eis und Feuer“ beschrieben hat. Dann lockte ihn die sagenumwobene „Feuerinsel im Nordmeer“. Ein andermal war es ein gefährlicher Nachmittagsritt „Auf Skipalón“, wo Nonni geboren ist. Dann macht er zusammen mit seinem Bruder Manni eine waghalsige Ferienreise in die zerklüfteten Berge und schildert diese Abenteuer in den „Sonnentagen“. Im „Nonni“ nimmt er als kleiner Junge Abschied von seiner Heimat und macht mutterseelenallein die abenteuerreiche Seereise nach Dänemark. Kaum recht gelandet, wird Kopenhagen kreuz und quer durchstreift, und schon bald begegnen wir ihm wieder auf dem offenen Kahn über den Öresund nach Schweden, in der „Stadt am Meer“. Von hier aus geht es dann weiter nach Frankreich, wo dem kleinen Nonni zwei große Wünsche in Erfüllung gehen: daß er den berühmten Reiseerzähler Jules Verne einmal sehen könne und daß die Mutter auch seinen kleinen Bruder Manni zu ihm schicken werde. Diese großen Ereignisse in seinem Leben hat Nonni erzählt in dem Buche „Wie Nonni das Glück fand“.
Das waren aber alles nur Vorbereitungen für die große Weltreise, nach der sich Nonni fast 80 Jahre lang sehnte. Er konnte nicht von dieser Erde scheiden, ohne einmal rundherum um den großen Ball gewandert zu sein und alles Schöne und Gute, was er birgt, der Jugend und dem Volke aller Länder gezeigt zu haben. Und als er mit 82 Jahren die Reise hinter sich hatte und die Erlebnisse in der Hauptsache niedergeschrieben waren, kam der Tod. Er hatte auch jetzt noch nicht das Gefühl, zum letzten Male ausgefahren zu sein. Ihm war — so hörte man aus seinen letzten Worten — als ob er sich wieder auf dem großen Meere befände und neuen Wundern entgegenfahre.
So war er, und so will er verstanden sein.
Meine früheste Jugend verlebte ich auf dem trauten elterlichen Hofe Mödruvellir in Nordisland. Die blühende Wiese, die vor dem Hofe lag, war der bevorzugte Platz meiner kindlichen Spiele. Im Sommer trieb ich mich dort an sonnigen Tagen oft ganz allein im hohen Grase herum. Die Blumen waren meine liebsten Spielkameraden. Ich lief von der einen zur anderen und liebkoste sie in kindlicher Begeisterung.
An einem schönen Sommertag, als ich gerade draußen im Garten war, mitten unter den Blumen, wurde plötzlich ein Fenster an der Giebelseite des Hauses geöffnet. Ich schaute hin und gewahrte sofort meine Schwester Bogga in der Fensteröffnung. — Bogga spähte nach der Wiese aus und entdeckte mich bald.
„Nonni!“ rief sie mir freundlich zu, „komm doch schnell herein — da wirst du etwas Schönes zu sehen bekommen.“
„Was ist es denn, Bogga?“ rief ich zurück.
„Es ist etwas ganz Merkwürdiges. Mutter ist auch hier im Zimmer, sie wird es dir zeigen und erklären.“
Ich wurde neugierig. Und als Bogga das Fenster geschlossen hatte, lief ich, so schnell mich meine kurzen Beine tragen konnten, ins Haus hinein.
Als ich in die Stube kam, entdeckte ich auf dem Tisch nahe beim Fenster eine merkwürdige Kugel, ungefähr so groß wie der Kopf eines Menschen. Die Kugel war bläulich gefärbt und stand auf einem schwarzglänzenden, schönen Säulchen. Voll Erstaunen schaute ich mir das merkwürdige Ding einige Minuten an. Es war mir unmöglich zu erraten, was es eigentlich sein sollte. Ich warf einen Blick nach meiner Mutter. — Auch sie betrachtete mich und lächelte mir zu.
„Aber, liebe Mutter“, brach ich endlich aus, „was soll denn diese Kugel hier bedeuten?“
„Kannst du das nicht erraten, Nonni?“ entgegnete sie.
Ich dachte einen Augenblick nach, dann sagte ich zu meiner Mutter: „Ich glaube, es ist ein Spielzeug.“
„O nein, Nonni, das ist es nicht. Schau dir die Kugel doch etwas näher an.“
Ich schleppte einen Stuhl bis zum Tische hin und kletterte darauf, um die geheimnisvolle Kugel ganz aus der Nähe betrachten zu können. Jetzt sah ich deutlich verschiedene Zeichnungen, die wie große Flekken oder Wolken aussahen.
Was konnte das wohl sein? Auf einmal entdeckte ich auch noch Buchstaben und Wörter. Aber da ich es damals im Lesen noch nicht sehr weit gebracht hatte, so wurde es mir recht schwer, etwas davon zu verstehen.
„Liebe Mutter“, sagte ich schließlich, „komm doch und erkläre mir, was diese Zeichen und Buchstaben bedeuten sollen.“
„Versuche erst einmal selbst, mein kleiner Nonni, es herauszufinden. Dann komme ich zu dir und erkläre dir das Ganze.“
Jetzt schob ich mich ganz nah zur Kugel hin, wählte eines der kürzesten Wörter und versuchte es zu buchstabieren. Und wahrhaftig, es gelang mir. Denn bald hatte ich das Wort heraus. Es war England. Ich wußte, daß ein großes Land, nicht weit von uns entfernt, England hieß. Voll Freude rief ich: „Mutter! Hier steht England. Ich habe es ganz allein herausgefunden.“ Lächelnd erhob sich die Mutter und kam zu mir hin.
„Das muß ich loben, Nonni“, sagte sie, „daß du das ganz allein herausgefunden hast. — Ja, du hast recht, da steht wirklich England.“ Dann zeigte sie mir noch einen ganz kleinen Flecken, nicht weit von England entfernt. Dort stand auch ein Wort.
„Kannst du auch dieses Wort lesen?“ fragte sie mich. Ich fing gleich an zu buchstabieren, und nach kurzer Zeit rief ich wieder triumphierend aus: „Island! — Hier steht ja ‚Island‘, Mutter! Was soll denn das bedeuten?“
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