Jón Svensson - Die Stadt am Meer - Nonni's neue Erlebnisse

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"An einem sonnig-heiteren Herbsttage, Anfang Oktober 1870, landete ich in Kopenhagen, der glänzenden Hauptstadt Dänemarks", so beginnt dieses Buch aus der Nonni-Reihe. Für die Matrosen an Bord ist Nonni ein kleiner Märchenprinz, der auszieht, um ein Königreich zu erobern. Und so fühlt Nonni sich auch, als er Schritt für Schritt die Hauptstadt des Königreichs und seine Menschen kennenlernt.ZUM AUTOR:Jón Stefán Sveinsson (1857 – 1944) war durch seine Nonni-Bücher einer der in Deutschland bekanntesten isländischen Schriftsteller. Er veröffentlichte seine Werke weltweit unter dem Namen Jón Svensson. Im Jahr 1870 verließ er Island. In Frankreich – nach dem deutsch-französischen Krieg – nahm er den katholischen Glauben an und trat in den Jesuitenorden ein. Seit 1906 schrieb er die 12 «Nonni-Bücher» über seine Jugend auf Island und sein späteres Leben und Wirken in Europa, USA und Japan in deutscher Sprache. Sie wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt. -

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Jón Svensson

Die Stadt am Meer

Nonni’s neue Erlebnisse

Saga

Brief des französischen Dichters Paul Bourget an den Verfasser:

Chantilly, 14. September 1924.

Verehrter Herr Svensson!

Ihre Island-Erzählungen haben mein lebhaftes Interesse gefunden, und ich danke Ihnen für die freundliche Zusendung ihrer Übersetzung, die ich für ausgezeichnet halte. Die Gabe der Erzählung ist Ihnen in die Wiege gelegt worden, jene köstliche Gabe, die so selten geworden ist und deren sich selbst grosse Romanschriftsteller nicht rühmen durften. Wie geheime Macht geht diese Kunst des Erzählens jedem Atem des Lebens nach und erweckt mit unwiderstehlichem Zauber hingebenden Glauben. Wir Leser folgen Ihrem Nonni und Manni auf ihr Schifflein, dem Schauplatz ihrer Abenteuer. Geschieht auch das Zusammentreffen mit den Walfischen unter den merkwürdigsten Umständen: wir erleben es ohne Schatten eines Zweifels, können es gar nicht anders erleben. Schwarze, lange Leiber dieser Ungeheuer tauchen auf in der Nacht und verschwinden wieder. Wir hören nur das entsetzliche Knattern der niederstürzenden Wassersäulen, die sie gleich Fontänen spielend emporgeschleudert haben. Und wir begleiten schliesslich die armen Kinder an den gastlichen Bord des französischen Kriegsschiffes. Das Herausstellenkönnen greifbarer Gegenwart, das ist’s, was den Erzähler zum Meister macht. Dieses Vermögen besitzen Sie in allerweitestem Ausmass.

Halten Sie mir zugute, wenn ich noch etwas zu Ihrem Lobe sage. Ich muss das, sonst wäre es nicht voll. Nämlich: in beiden Erzählungen tritt zu Ihrer Erzählerkunst noch eine andere Gabe, die ich mangels besseren Ausdrucks nicht anders zu bezeichnen vermag denn als die Gabe atmosphärischer Wirklichkeitsvermittlung. Sehen Sie! Wie fern ist uns doch Ihre Heimat, Island! Kaum dass man sie in Frankreich kennt. Und doch! Liest man Ihre Zeilen, so steigen Ihrer Insel einsame Küstenstriche greifbar vor den Augen auf, ihre Gewässer, die im Glanz der Mitternachtssonne zittern, ihre Fjorde, ihre Berge, die ungekünstelte, doch wahrhaft hochherzige Art der Gesinnung ihrer Bewohner! Was muss das für eine Rasse von Seeleuten sein, wenn zwei Kinder, eines mit acht, das andere mit elf Jahren, nichts dahinter finden, mutterseelenallein in einen Nachen zu steigen, Ruder und Steuer in die Hand zu nehmen und in die schwarze Nacht hinauszustossen, bald übermütig, bald verzagt dahintreibend! Was für ein Geschlecht von Träumern, die den Fischen eines vorpfeifen wollen, dass sie sich in die wogenden Abgründe der Wellen flüchten! Da ist’s, als ob wir in unserem abgestumpften, lichtgetrübten Empfinden doch in etwa ahnten, wie in solchen kindlichen Äusserungen jene primitive Vorstellungswelt widerklingt, die einst die seltsamen nordischen Märchen gezeugt hat. Und wir ahnen ferner, bis zu welcher Höhe des Christentums diese Nachkömmlinge einstiger heidnischer Seeräuber emporgeklommen sein müssen, wenn wir den frommen Sinn dieser beiden schiffbrüchigen Kinder sehen dürfen, ihr Vertrauen in den Schutz der Vorsehung, diese köstlich naive Inbrunst ihres Gelübdes.

So war in der Tat, verehrter Herr Svensson, die Lektüre dieser Erzählungen ein grosser Genuss für mich. Ich sage Ihnen das gerade heraus, weil Ihnen vielleicht doch etwas daran liegt, das Urteil eines grau gewordenen Schriftstellers zu hören, der die Kunst des Fabulierens zu sehr liebt, als dass er nicht die Begegnung mit solchen Dichtungen als freudiges Erlebnis empfände.

Paul Bourget.

Kreuz und quer durch Kopenhagen

1. Abschied vom „Valdemar von Rönne“

An einem sonnig-heiteren Herbsttage, Anfang Oktober 1870, landete ich in Kopenhagen, der glänzenden Hauptstadt Dänemarks.

Erst zwölf Jahre alt, war ich den langen, weiten Weg über den Atlantischen Ozean von meiner Heimatinsel Island hierher gekommen und sollte nun in einer für mich ganz fremden Welt ein neues Leben beginnen.

Fünf volle Wochen hatte meine Reise gedauert — von dem fernen Island droben im hohen Norden bis nach dem lieblichen Öresund, in dessen kristallklaren Wassern die stolze Grossstadt Kopenhagen sich spiegelt.

Und wie herrlich war sie doch gewesen, diese lange Reise auf dem gewaltigen Meer, mit all ihren aufregenden Gefahren, ihren seltsamen Abenteuern und frischfröhlichen Erlebnissen, besonders für mich, den lebhaften, unternehmungslustigen Knaben! Wie einen kostbaren Schatz, der mir vom Glücke zugefallen, bewahrte ich sie jetzt in meiner Erinnerung 1.

„Nun wird aber unser kleiner Passagier froh sein, dass die Reise zu Ende ist!“ sagte einer der dänischen Matrosen zu mir, als unser Schiff, der bornholmsche Segler „Valdemar von Rönne“, am Kai des Kopenhagener Hafens festgebunden wurde.

„O nein!“ erwiderte ich. „Wenn sie nur noch länger gedauert hätte! Es war so schön draussen auf dem grossen Meere!“

„So so, du hast das Meer schon so liebgewonnen?“

„Ja, ich habe es immer gern gehabt. Ich bin ja ganz nah am Meere geboren.“

„Dann bist du also ein geborner Seemann! — Aber jetzt musst du bald fort von uns. Das wird dir wohl leid tun?“

Bei dieser Frage wurde ich etwas wehmütig gestimmt, denn auf der langen Reise war das Schiff und seine Besatzung mir ungemein lieb und teuer geworden.

Der Matrose schien meine Gemütsbewegung zu merken. Er brach das Gespräch ab, indem er sagte: „Nonni, wir sind gute Freunde geworden; wir wollen es bleiben und oft an unsere schöne Reise denken.“

Ich lehnte mich jetzt sinnend an die Reling des Schiffes. Es war ein schmerzlicher Gedanke für mich, dass ich schon am folgenden Morgen den „Valdemar von Rönne“ für immer verlassen sollte, und für immer auch den guten Kapitän Foss, meinen lieben Freund den jungen Schiffskoch Owe, den frohgemuten Steuermann und die drei biederen dänischen Matrosen.

Wie sicher und treu hatte doch das kleine Schiff mich über das unermessliche Meer getragen! Und wie sanft hatte ich während der furchtbaren Orkane in seinem Schosse geruht, umtost von den wütenden Wellen des Nordatlantischen Ozeans! Da hatte ich geschlafen so ruhig wie ein Kind, das in der Wiege von seiner Mutter geschaukelt wird.

Jetzt aber war alles das vorbei! Nur wenige Stunden noch sollte ich hier weilen dürfen.

Wehmut im Herzen, ging ich am Abend zu Bette, und wehmütig stand ich am folgenden Morgen wieder auf.

Mein letzter Morgen auf dem trauten „Valdemar von Rönne“!

Kapitän Foss wollte mich selber durch die grosse Stadt zu Herrn Gísli Brynjúlfsson, einem isländischen Professor an der Kopenhagener Universität, führen und mich in seine Hände übergeben. Er hatte das vor unserer Abreise in Island meiner Mutter versprochen.

Während Herr Foss sich auf diesen Gang durch die Stadt vorbereitete, unterhielt ich mich noch ein letztes Mal mit den Matrosen.

Mit meinem kleinen Freund Owe sprach ich jetzt wenig. Wir waren beide traurig, da wir nun voneinander scheiden mussten; auch hatten wir zusammen verabredet, dass wir ganz allein drunten in der Kajüte einen besondern Abschied nehmen würden.

Wie das geschah, habe ich bereits in dem Buch über meine Reise von Island nach Dänemark erzählt.

Die Matrosen waren an jenem Morgen aussergewöhnlich gut aufgelegt. Sie sangen und pfiffen lustig, wo sie gingen und standen, machten Spässe und waren alle sehr freundlich gegen mich.

Einer von ihnen sagte, ich sei nun schon weit in die Welt hinausgekommen. Er nannte mich scherzend einen kleinen Weltreisenden. Und als wir dann weiter von meiner künftigen Reise nach Frankreich sprachen, meinte er, ich sei wie ein kleiner Märchenprinz, der auszieht, um ein Königreich zu erobern.

„Ja, ja, so ist’s“, fügte lachend ein anderer bei; „Nonni ist wie einer der Prinzen in ‚Tausendundeine Nacht‘. Er wird sicher noch ein Königreich gewinnen. Darum ist er auch immer so lustig.“

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