Marie-Louise Wallin
Fest im Sattel
Lovisa reitet ins Ziel
Deutsch von
Marianne Vittinghoff
Saga
Beles Stall liegt in einem flachen Tal, umgeben von niedrigen Hügeln und Wäldern, die steile Felsen und dichte Himbeerbüsche verbergen. Sandige Reitwege führen vom Hof weg und verschwinden im Wald. Andere Pfade laufen wie schmale Bänder die Hügel hinauf und wieder hinunter, in Birkenhaine und Buschwerk hinein und wieder hinaus. Immer wieder fährt ein Zug an den Koppeln vorbei. Die Pferde scharren und galoppieren dann im Kreis, aber sie tun es nur spielerisch. Sie sind zu sehr an die Züge gewöhnt um wirklich unruhig zu werden. Es ist schön all die braunen Pferde mit fliegenden Mähnen und Schweifen zu sehen und viele Autofahrer, die an den Koppeln vorbeifahren, schauen ihnen nach, so lange sie können. Dann sehen sie auch das rostrote Wohnhaus und den lang gestreckten Stall mit seinem Heuboden, an den man Heu und Stroh mit dem Traktor oder mit einem Pferdewagen heranfahren kann. Es sieht so altmodisch und gemütlich aus, dass es schon mal vorkommt, dass jemand fragt, wer dort wohl wohnt und wie das Leben in dem schönen Tal wohl sei ..., bevor ihn eine neue Aussicht fesselt und ihn Beles Hof und Beles Pferde vergessen lässt.
Aber nicht jeder fährt einfach vorbei. Manche Menschen kommen auf den Hof, fast jeden Tag, denn Bele hat seinen Kuhstall zu einem Reitstall umgebaut und die Leute kommen aus der Stadt und aus den umliegenden Döfern, um dort reiten zu lernen.
Siv hatte damals die Idee aus Beles Elternhaus eine Reitschule zu machen. Siv war ausgebildete Reitlehrerin, sie fand, dass es viel mehr Spaß machen würde Pferde zu halten als einen gewöhnlichen Bauernhof zu betreiben. Vielleicht würde es sich ja auch finanziell lohnen, dachte sie, wenn sie viele Reitschüler bekämen.
Das war damals, als Bele und Siv jung, verliebt und miteinander verheiratet waren. Sie hatten von der Bank einen Kredit für ihren Reitstall aufgenommen und arbeiteten von früh bis spät. Es war, als würde die Arbeit nie ein Ende nehmen, obwohl ihnen Beles Bruder Ola und seine Frau Maria halfen, so gut sie konnten.
Schüler strömten herbei und bald war der ganze Stall voller Pferde. Es gab zehn ältere Warmblüter, fünf Ponys und in einer der früheren Kälberboxen stand der Ziegenbock Rasmus und sah einen mit goldenen Augen an. Mehrere Katzen wohnten im Pferdestall und hielten die Mäuse fern. Zwischen den Katzen und den Hofhunden herrschte ein Friedensabkommen – man respektierte sich gegenseitig.
Für den alten Schuppen neben dem Pferdestall kaufte Maria einen großen bunten Hahn und ein paar Hühner zum Eierlegen.
Als Siv achtundzwanzig Jahre alt war – und Bele zwanzig – wurde ihre Tochter Lovisa geboren. Vier Jahre später kam Linus. Da wurde Siv müde und erschöpft. Sie bereute es, dass sie Bele in ihren Reitschultraum hineingezogen hatte, und sie wurde traurig und bitter, weil sie nie Zeit hatte sich von den Kleinkindern und den Tieren, der Hausarbeit und dem Reitunterricht zu erholen. Alles wurde ihr zu viel. Bele war fröhlich und stark. Er liebte Siv, die Kinder und die Tiere und er fand es nett, dass er fast jeden Tag Ola und Maria sehen konnte.
Siv war in Stockholm aufgewachsen und ein verwöhntes Stadtkind. Ihr größter Wunsch war es gewesen eine eigene Reitschule zu haben; aber Träume sind eine Sache, die Wirklichkeit ist eine andere.
Siv und Bele hatten es sich nie leisten können eine gute Reithalle zu bauen, sie mussten sich mit einem beleuchteten Reitplatz im Freien begnügen. Dort stand Siv Abend für Abend im Winter – mit Pelz und filzgrünen Stiefeln – und rief ihre Befehle den Schülern zu, halb erfroren, ungeduldig und verdrossen. Sie jammerte aber nie und Bele merkte es nicht, wie schwer sie es hatte. Und die beiden Kinder waren fröhlich. Sie saßen im Sattel, bevor sie laufen konnten. Sie spielten im Sommer im grünen Gras und im Winter im Schnee zwischen den Tieren; so wuchsen sie auf und waren gesund.
Die Jahre vergingen und eines Tages war es für Lovisa an der Zeit, dass sie vom Schulbus unten an der Straße abgeholt wurde. Linus steckte enttäuscht den Daumen in den Mund, verdutzt, dass seine Schwester und Spielgefährtin den ganzen Tag verschwunden war.
Linus würde nie in aller Herrgottsfrühe dort mit Lovisa zusammen stehen und auf den Schulbus warten. Denn als er sieben war, hatte Siv ihn schon mitgenommen. Sie hatte Bele verlassen und war mit Larry zusammengezogen.
Larry war ein Mann um die vierzig, der zum Hof gekommen war, um ein paar Reitstunden zu nehmen. Danach wollte er nach Ungarn auf Reiterferien fahren. In diesem Frühling kam er jeden Abend in seinem weißen Mercedes, parkte vor dem Stall und war in verschiedenen Erwachsenengruppen mitgeritten.
Und niemand fand etwas seltsam daran. Viele Erwachsene, die reiten lernen wollten und es sich leisten konnten, kamen jeden Tag zum Unterricht, bis sie sich sicher fühlten. Daher hatte anfangs niemand bemerkt, dass Larry wegen Siv kam. Niemand wusste, dass Larry und Siv sich so ineinander verliebt hatten, dass sie meinten nicht mehr leben zu können, wenn sie nicht zusammen sein konnten.
Lovisa war damals neun Jahre alt und Linus fünf, als Siv sich von Bele scheiden lassen wollte, um Larry zu heiraten.
Heute, vier Jahre später, erinnert sich Lovisa an diese Zeit wie an einen Albtraum. Ihre Eltern Bele und Siv hatten fast gar nicht miteinander gestritten, sie hatten mit leisen und verzweifelten Stimmen Tag für Tag geredet – oder sie hatten geschwiegen oder geweint. Es hatte lange gedauert, weil Bele immer noch gehofft hatte, dass Sivs Liebe vorbeigehen würde.
Wenn Bele sich heute an diese Zeit erinnert, denkt er daran, wie er Larrys großen weißen Wagen, der täglich auf ihrem Parkplatz stand und glänzte, gehasst hatte, und wie schwer es zu ertragen gewesen war Larry im Stall und auf dem Hof zu sehen. Und er erinnert sich genau an seine Sorgen um die Reitschule.
Wie sollte er die Arbeit von zwei Menschen in Zukunft allein schaffen? Wie sollte er ohne Siv jemals wieder froh sein können? Und ohne Linus, den sie mit zu Larry genommen hatte? Viele Nächte lang lag Bele wach, verzweifelt, grübelnd, schlaflos.
Siv hatte auch ihre schlaflosen Nächte. Sie hatte Bele gegenüber ein schlechtes Gewissen. Ihretwegen hatte er damals die Kühe verkauft und den Hof zu einem Reitstall umgebaut. Es war ihre Schuld, dass Bele jetzt arm war – mit hohen Schulden und geringem Einkommen. Siv fühlte sich wie eine Verräterin. Das war ein schlimmes Gefühl und sie konnte sich selbst nicht mehr leiden. Aber was sollte sie tun? Sie liebte Bele nicht mehr, in Larry aber war sie wider alle Vernunft verliebt.
Man kann doch nicht ohne Liebe leben, dachte Siv mit schmerzendem Herzen und einem Kloß im Hals. Man kann doch nicht aus lauter Mitleid weiter mit jemandem zusammenwohnen? Aber die Kinder ...
Also verließ Siv Lovisa und Bele und das rostrote Haus im Tal, die fünfzehn Pferde, die zwei Hunde, die Katzen, den Geißbock und die Hühner. Der weiße Mercedes parkte zum letzten Mal im Hof – diesmal mit einem Anhänger für all die Sachen, die Siv gehörten. Linus saß auf dem Rücksitz und sah ängstlich aus, seinen großen Teddy im Arm. Siv wandte sich ein letztes Mal zu Lovisa um, die sehr aufrecht und stumm neben Bele auf dem Kiesweg vor dem Haus stand.
„Wir sehen uns bald wieder“, sagte Siv und versuchte zu lächeln. „Du bist ja mein Mädchen. Du sollst so oft du willst bei Larry und mir wohnen und so lange du willst. Das verstehst du doch, mein Liebling?“
Lovisa sagte nichts und sie lächelte auch nicht.
Bele legte ruhig seinen Arm um ihre Schultern. Siv setzte sich auf den Beifahrersitz und schlug die Tür zu. Während der Wagen aus der Hofeinfahrt rollte, winkten Siv und auch Larry – und Larry strahlte über das ganze Gesicht.
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