– Das war doch nicht nötig, flüsterte Doktor Tachecí höchst verlegen. Zugleich wurde er auf den Dozenten eifersüchtig. Um all dies zu verbergen, stellte er die Flasche auf den Boden und beeilte sich, den dritten Mann von seinen Lasten zu befreien.
Er war ein beleibter Mensch unbestimmten Alters. Seine Augen verschwanden fast in dem fleischigen Gesicht, aus dem der zackige Rücken einer gebrochenen Nase aufragte. Das Ganze erinnerte an ein altes Schlachtfeld, in das sich das Gesicht ehemaliger Boxer zu verwandeln pflegt.
– Das ist Karli, sagte Professor Wolf, unser Gehilfe und Fahrer. Könnten Sie so freundlich sein und ihm das Bad zeigen?
– Ja, sagte Doktor Tachecí, natürlich, gewiß, selbstverständlich ...
Er öffnete die entsprechende Tür und betätigte den Lichtschalter. Der Mann namens Karli wartete respektvoll, bis der Doktor zur Seite trat, dann setzte er sein Gepäck neben der Wanne ab. Gleich darauf zog auch er den Hut, und im Vorzimmer erglänzte eine Glatze. Dienstbeflissen hob er die Flasche auf und reichte sie Doktor Tachecí.
– Karli, sagte Professor Wolf, wenn wir in fünfzehn Minuten noch nicht zurück sind, fährst du die Geräte weg, gehst nach Hause und holst uns punkt fünf Uhr ab!
– Zu Befehl, Chef, sagte Karli, blieb aber stehen, ohne den treuergebenen Blick von ihm zu wenden.
– Darfst dir dreißig Zentimeter von meinem abschneiden, sagte Professor Wolf gönnerhaft.
– Vielen Dank, Chef, sagte Karli und wandte sich an die anderen. Mein Kompliment, küß die Hand, Gnädigste.
Er setzte sich den Hut auf und salutierte. Seine riesige Hand flappte wie ein Elefantenohr.
– Dürfen wir ablegen? fragte Professor Wolf.
– Mein Gott, Emil, sagte Frau Tachecí, sei den Herren doch behilflich!
Doktor Tachecí stellte die Flasche wieder auf den Boden, aber sowohl der Professor als auch der Dozent waren schneller. Unter den Raglanmänteln trugen sie karminrote Sakkos von gleichem Schnitt. Auf dem rechten Ärmel und der linken Brustseite war das Staatswappen aufgenäht. Sie sahen aus wie Funktionäre einer Olympiamannschaft, was Frau Tachecí beruhigte.
– Sie müssen entschuldigen, gnädige Frau, sagte Professor Wolf, wir kommen geradewegs von der Arbeit. Aber wo ist eigentlich das Fräulein Tochter?
– Sie wartet im Wohnzimmer, sagte Frau Tachecí mit einem entschuldigenden Lächeln, sie hat Lampenfieber. Kein Wunder. Sie ist ja noch ein Kind.
– Wenn sie Ihnen nachgeraten ist, gnädige Frau, sagte Professor Wolf, dann braucht sie sich vor nichts im Leben zu fürchten. Könnten Sie uns freundlicherweise miteinander bekannt machen?
– Lízinka! rief Frau Tachecí.
Die Wohnzimmertür öffnete sich. Lízinka stand in ihrem Rahmen wie ein holdes altes Bild.
– Das ist unsere Lízinka, sagte Frau Tachecí voll glücklichem Stolz. Lízinka, das ist Herr Professor Wolf, und das Herr Dozent Schimssa.
Lízinka knickste artig. Professor Wolf und Dozent Schimssa sahen einander offenkundig erregt an. Sie wirkten wie Anwerber eines Profiklubs, was Doktor Tachecí beunruhigte.
– Emil, sagte Frau Tachecí, bitte die Herren doch weiter! Doktor Tachecí machte eine entsprechende Geste.
– Nein, nein, sagte Professor Wolf, wenn Sie freundlichst gestatten, gehen wir mit dem Fräulein zunächst
ins Bad.
– Was machen die dort mit ihr? fragte Doktor Tachecí schon zum drittenmal.
– Ich bitte dich, beruhige dich, sagte zum drittenmal seine Frau, du selbst hast mir gesagt, sie muß eine Prüfung ablegen.
– Werden Prüfungen denn im Bad abgelegt? fragte ihr Mann.
– Jedenfalls werden sie ohne Eltern abgelegt, sagte seine Frau.
– Dann hätten wir ja in die Küche gehen können, sagte ihr Mann.
– Sie wollten uns eben nicht stören. Dieser Professor sieht aus wie ein englischer Lord.
– Dafür sieht dieser Dozent aus wie ein Laffe.
– Genauso hast du ausgesehen, als ich dich kennengelernt habe.
– Aber nur ausgesehen! sagte ihr Mann.
– Leider! sagte seine Frau.
Durch zwei Türen war zu hören, wie im Bad Wasser floß.
– Sie füllen die Wanne, sagte Doktor Tachecí.
– Sie machen irgendeinen Versuch, sagte seine Frau.
– In der Wanne? sagte ihr Mann.
– Ihr habt diese Formel nicht gelernt? fragte seine Frau, wie das Gewicht des Wassers dem Gewicht eines Körpers gleich ist?
– Wir haben sie anders gelernt. Und nicht in der Wanne.
– Glaubst du vielleicht, die baden sie dort, oder was?
– Es sollte mich nicht wundern.
– Du kannst dir wohl nicht vorstellen, daß es Männer gibt, sagte seine Frau, die ein Mädchen nicht gleich beim erstenmal in den Klee werfen.
– Ich möchte dich erneut daran erinnern, sagte ihr Mann, daß es ein englischer Rasen war und daß ich dich zunächst in aller Form um Erlaubnis gebeten habe.
Durch zwei Türen hindurch erklangen aus dem Bad gedämpfte Schläge.
– Was schlagen sie dort? fragte Doktor Tachecí.
– Es ist ihnen etwas runtergefallen, sagte seine Frau.
– Das waren Schläge, sagte ihr Mann.
– Dann nageln sie dort eben was fest, sagte seine Frau.
– Hast du jemals in einem fremden Bad etwas festgenagelt?
Durch zwei Türen hindurch erscholl aus dem Bad ein unmenschliches Geräusch.
– Und was ist das? fragte Doktor Tachecí.
– Jemand lacht, sagte seine Frau.
– Jemand schreit! sagte ihr Mann. Ich gehe hin!
– Ich bitte dich, mach dich nicht lächerlich!
Das Geräusch schwoll an.
– Das ist doch ein Huhn! sagte Doktor Tachecí.
– Du bist ja übergeschnappt! sagte seine Frau.
Das Geräusch riß ab.
– Sag, was du willst, sagte Doktor Tachecí, das war ein Huhn!
– Um Gottes willen, wie käme ein Huhn in unser Bad? fragte seine Frau.
– Das frage ich mich ja gerade!
– Emil, ich bitte dich, befaß dich lieber eine Weile mit deinen Briefmarken. Für Lízinka geht es jetzt ums Ganze, und du machst hier Geschichten!
– Bitte, sagte ihr Mann, aber wenn sie dieses Ganze in unserem Bad verliert, dann klag dich selbst an! Ich wasche meine Hände in Unschuld.
– Solange ich dich kenne, tust du nichts anderes, sagte seine Frau. An dir gemessen, war Pilatus ein Dreckfink!
In diesem Moment war zu hören, wie sich die Badezimmertür öffnete. Männerstimmen erklangen, und gleich darauf öffnete sich auch die Wohnzimmertür. Auf der Schwelle standen Professor Wolf und Dozent Schimssa. Im Bad rauschte die Dusche.
– Meine Herren! sagte Doktor Tachecí, ich glaube es ist höchste Zeit, daß Sie uns reinen Wein einschenken!
– Das ist eben das Problem, sagte Professor Wolf finster. Frau Tachecí erbleichte.
– Wir haben nämlich glatt den Champagner vergessen, sagte Dozent Schimssa heiter.
Frau Tachecí begann zu strahlen. Professor Wolf trat vor die Eltern und drückte ihnen feierlich die Hand.
– Gratuliere. Gratuliere. Ihre Lízinka hat hervorragend bestanden. Nun, da kann man nichts machen, wir müssen eben mit Kognak darauf anstoßen.
Dozent Schimssa hatte die mitgebrachte Flasche schon aus dem Geschenkpapier gewickelt und ein Mehrzweckmesser gezückt.
– Ich habe es gewußt, sagte Frau Tachecí, ihre Rührung bekämpfend, Emil, ich hab’ es dir gleich gesagt!
– Meine Herren, wiederholte Doktor Tachecí in jähem Eigensinn, erfahren wir endlich ...
– Deshalb sind wir ja da, Herr Doktor, sagte Professor Wolf und legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter. Aber sollten wir nicht auf sie warten?
– Wo bleibt sie überhaupt? fragte Doktor Tachecí.
– Sie säubert die Wanne, sagte Professor Wolf, trinken können wir freilich auch ohne sie, da entgeht ihr nichts.
Frau Tachecí hatte inzwischen aus der Vitrine die Feiertagsgläser geholt, die Dozent Schimssa bis zum Rand mit Courvoisier füllte. Professor Wolf hob sein Gläschen mit so fester Hand, daß der Flüssigkeitsspiegel nicht einmal erbebte.
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