»Frau Teufel!« Martin, der Babyschreck, stand wieder neben mir.
»Nun sagen Sie mir nicht, dass Sie Ihr eigen Fleisch und Blut nicht wiedererkennen.«
Stimmt. Hatte keinen Schimmer. Ruhig, Lisa Teufel. Ich schwitze. Welches war es denn nun? O Gott, arme Isabelle, was hast du für eine miese, unfähige Mutter.
»Natürlich erkenne ich mein Baby!«, antwortete ich spitz und deutete mit dem Zeigefinger auf das linke.
»Das ist meins!« Hatte in letzter Sekunde die Namensbändchen gesehen.
Martin nickte erleichtert.
»Ja, stimmt. Wissen Sie, Babys verändern sich vor allem in den ersten Tagen unheimlich rasant, aber bisher ist mir noch keine Mutter untergekommen, die ihr Kind trotzdem nicht auf Anhieb erkannt hätte.«
»Klar, habe meins auch sofort erkannt!« Ich griff nach Isabelle, legte sie behutsam in ihr Bettchen und schob es hastig in mein Zimmer.
Kaum zu fassen! Ich war jetzt selbst eine Mutter. Nur dass mir das noch immer nicht wirklich real vorkam. Ich hielt die kleine Isabelle stundenlang in den Armen und betrachtete jedes kleinste Detail an ihr, ihre rosigen, winzigen Fingernägel, den noch weichen Kopf, der gerade einmal meine Handinnenfläche ausfüllte, und die noch leicht geschwollenen Augen.
Was für ein Prachtkind! Und sie hatte kaum noch etwas von einer Aubergine an sich!
Schwester Martin kam herein.
»Alles in Ordnung mit Ihnen beiden?«, erkundigt er sich freundlich.
»Danke, alles bestens.« Ich betrachtete entzückt meine Tochter. Isabelles Haut war rosig, wenn auch noch ein wenig verschrumpelt.
Martin, der meinen skeptischen Blick auf die runzeligen Finger bemerkte, meinte: »Dass die Haut noch nicht so prall ist, liegt an dem geringen Geburtsgewicht. Aber das wird sich schnell ändern, keine Sorge.«
Ich fand meine Isabelle vom ersten Atemzug an phänomenal und vollkommen. Es würde nie mehr einen Menschen geben, der mir näher stand als meine Tochter, das wurde mir mit einem Schlag klar.
»Würden Sie sich auch von mir beim Stillen helfen lassen, oder soll das eine der anderen Schwestern übernehmen?«
O Gott, an diese Möglichkeit hatte ich überhaupt nicht gedacht. Der würde meine Brüste anfassen und sie so positionieren, dass Isabelle daran nuckeln konnte. Der würde sie doch vollkommen zerquetschen!
Neee, oder?
»Äh ... also, Schw ... ich meine, Martin, ja, Sie können mir gerne helfen, kein Problem«, hörte ich mich zu meinem eigenen Erstaunen sagen.
Er erklärte mir, worauf ich achten müsse.
Als er die Tür öffnete, um zu gehen, prallte er gegen Mia.
»Wo ist mein süßes Patenkind?«, strahlte sie.
»Mia!«
»Und, geht es dir gut?«
»Ausgezeichnet!«
Sie betrachtete mich zweifelnd.
»Keine nächtlichen Heulattacken?«
»Quatsch!«
»Hier, ich habe euch etwas mitgebracht.« Sie überreichte mir ein riesiges Paket.
»Was ist da bloß drin? Ein kleiner aufblasbarer Spielgefährte für die Mami?«, neckte ich sie.
»Öffne es einfach.«
Ich zog an der zartrosafarbenen Schleife und öffnete den Deckel.
»Aber das ist ja ...« Atemlos zog ich das Kleid heraus.
»Das ist ja ein Brautkleid!«
»Na ja, zur Geburt vielleicht nicht ganz das Richtige, aber ich dachte, es würde dir womöglich gefallen.«
»Das Kleid ist ... es ist einfach atemberaubend! So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen, Ehrenwort!«
Mia strahlte.
Es war champagnerfarben und vorne raffiniert ausgeschnitten. Der Ausschnitt war mit winzigen Kristallen bestickt, die oben dicht aneinander genäht waren und zum Rock hin immer spärlicher wurden, bis am unteren Drittel des Kleides keine Kristalle mehr sichtbar waren, sodass das Kleid aussah, als wäre es kopfüber in Eis getaucht worden.
»Das sind Swarovski-Kristalle. Ich habe das Kleid selbst genäht. Ach ja, hier sind die passenden Schuhe.«
Ich umarmte Mia erneut.
»Es ist wunderschön, danke!« Gerührt küsste ich sie auf die Wange.
»Was ist denn hier los?« Benny und Karl traten ein.
Benny hielt ein Dutzend rosa und weiße Ballons in der Hand und Karl ein überdimensionales Plüschtier.
»Ist alles okay mit dir, mein Schatz?« Mama setzte sich zu mir ans Bett und streichelte meinen Lockenkopf, der ihrem so sehr ähnelte.
»Darf ich?« Behutsam nahm sie mir Isabelle ab und wiegte sie in den Armen.
Den ganzen Tag über kamen Besucher und brachten Geschenke über Geschenke. Mama hatte für Isa einen Kinderwagen gekauft, den sie aber nicht mit ins Krankenhaus gebracht hatte.
Abdul und Angela hatten ihr einen winzigen Burberry-Pullover geschenkt, Tatjana Tastenko, die zu meinem Erstaunen auch auftauchte, hatte mir eine mächtige Portion Lindt-Schokolade überreicht, und fast jeder hatte Blumen mitgebracht.
Nur Tom fehlte noch, aber ich war so glücklich, dass es mich kaum störte.
Als es dämmerte und alle fort waren, tauchte Tom dann endlich auf. Er trug einen Arm voll Freesien, meine Lieblingsblumen, die den Raum sogleich mit einem herrlichen Sommerduft erfüllten.
»Hallo, Schatz!« Er küsste mich auf die Nasenspitze.
»Hallo! Du hast sie alle verpasst, Tom, alle. Wo hast du nur gesteckt?«, begrüßte ich ihn ein wenig enttäuscht.
»Ich hatte noch einiges in der Firma zu erledigen, weißt du, damit ich nach eurer Entlassung nicht arbeiten muss, ackere ich jetzt umso härter.«
»Verstehe. Na gut, wenn du dafür zu Hause für uns da bist ...«
»Klar doch!« Er verpasste mir einen sanften Nasenstüber, zog seine Schuhe aus und legte sich zu mir aufs Bett.
Ich kuschelte mich in seine Arme, er küsste mein Haar.
Der Tag war schön, aber anstrengend gewesen. Ich war müde und döste ein.
»Lisa?«
»Hm?« Er hatte mich jäh aus dem Schlaf gerissen.
»Du hast noch nicht ›ja‹ gesagt.«
»Was meinst du?«, fragte ich verständnislos.
»Ich habe dich gebeten, meine Frau zu werden, aber du hast nicht geantwortet.«
»Ach so.« Ich kuschelte mich zurück in seine Arme.
»Wie, ach so? Und sonst sagst du gar nichts?« Empört setzte er sich auf.
Ich lachte. »Ich habe so lange auf diesen Moment gewartet, dass ich ihn gerne auskosten möchte, wenn du erlaubst.«
Ich schwieg behaglich und machte es mir wieder in seinen Armen gemütlich.
»So! Du darfst mich jetzt noch einmal fragen«, gewährte ich gnädig.
»Was?« Empört richtete er sich auf.
»Also, du kannst in Anbetracht der Umstände ja wohl nicht verlangen, dass ich mich an jedes deiner Worte erinnere, nicht wahr? Immerhin hatte ich Wehen!«
Tom knirschte mit den Zähnen.
»Lisa, ich liebe dich. Bitte heirate mich.«
Ich schüttelte tadelnd den Kopf. »Ich erinnere mich zwar nicht an alles, aber auf der Hochzeit hat das besser geklungen.«
Tom räusperte sich, um Geduld bemüht.
»Lisa, ich liebe dich mehr als jeden anderen Menschen auf der Welt. Ich kann ohne dich nicht leben. Willst du mir die große Ehre erweisen und meine Frau werden?«
Ich legte den Kopf schief. »Schon seeeeehr gut! Aber ein Kniefall fehlt da leider noch.«
Tom knirschte mit den Zähnen, aber seine Augen funkelten vor Vergnügen, und er fiel übertrieben theatralisch auf die Knie.
»Also willst du mich nun heiraten, LIEBSTE Lisa?«
Ich stellte mich vor ihn, beugte mich hinab, küsste ihn verführerisch, sah ihm in seine glänzenden Augen und flüsterte ihm ins Ohr: »Was dachtest du denn? Natürlich möchte ich dich heiraten.«
Tom stand auf und küsste mich so heftig, dass ich gegen das Bett taumelte.
»Autsch!«, jaulte ich. »Nicht so stürmisch, ich habe erst gestern ein Kind bekommen und muss noch ein Weilchen mit Glacéhandschuhen angefasst werden.«
»Tut mir leid.«
Er half mir wieder ins Bett und griff in seine Hemdtasche.
Читать дальше