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[Der Weise] Yan He (Vollkommener Gesichtsausdruck) wurde zum Lehrer des ältesten Sohnes von Fürst Ling von Wei berufen und fragte [den Beamten] Qu Bo Yu (Freude an heller Jade): »Hier handelt es sich um einen Mann mit der natürlichen Moral eines Mörders. Lasse ich ihn ohne Zügel gewähren, so gefährdet er unseren Staat; lege ich ihm Zügel an, so gefährde ich mich selbst. Er ist verständig genug, um die Fehler der anderen zu erkennen, aber erkennt nicht seine eigenen Fehler. Wie kann ich mit ihm umgehen?«
Qu Bo Yu sprach: »Wahrhaftig, eine gute Frage! Gib auf dich acht, sei vorsichtig und sorge dafür, dass du aufrichtig bleibst! Der Form nach ist nichts besser, als sich ihm anzunähern, dem Herz-Geist nach ist nichts besser, als mit ihm in Einklang zu sein. Und dennoch sind diese beiden Strategien gefährlich. Wenn du dich ihm annäherst, dann widerstehe der Versuchung, dich hineinziehen zu lassen; wenn du Einklang mit ihm suchst, widerstehe der Versuchung, dich zu beweisen. Wenn du dich ihm annäherst und dich hineinziehen lässt, dann wird er dich verwirren und vernichten, wirst du das Gleichgewicht verlieren und stürzen. Wenn du im Herz-Geist Einklang mit ihm suchst und dich beweist, dann wird gesprochen über dich, wirst du berühmt und ziehst Tücke und Neid auf dich. Wenn er sich kindisch verhält, verhalte dich ebenfalls kindisch; wenn er keine Grenzen kennt, verletze ebenfalls Grenzen; wenn er keine Mauern errichtet, so errichte auch keine Mauern. Indem du ihn durchschaust, gelingt es, Fehler zu vermeiden.
Kennst du nicht die Gottesanbeterin? Vergeblich hebt sie die Arme, um die Kutschen auf der Straße anzuhalten, sie versteht nicht, dass es ihr nicht gelingen kann, diese Aufgabe zu meistern – so sehr überschätzt sie ihre Fähigkeiten. Gib auf dich acht, sei vorsichtig! Wenn du ständig prahlst, wie gut du bist, greifst du ihn damit an und begibst dich in Gefahr.
Weißt du nicht, wie der Wildpfleger Tiger füttert? Er wagt es nicht, ihnen lebende Tiere vorzuwerfen wegen der Kampflust, die zum Töten erforderlich ist; er wagt es nicht, ihnen ganze Tiere vorzuwerfen wegen der Kampflust, die zum Zerfleischen erforderlich ist. Indem er beobachtet, wann ihr Hunger gestillt ist, erkennt er die Kampflust in ihrem Herz-Geist. Tiger und Menschen gehören verschiedenen Gattungen an, doch sie sind zutraulich zu ihren Pflegern, wenn diese ihrer Natur folgen, und sie töten jene, die sich ihrer Natur widersetzen.
Ein Pferdeliebhaber fing mit Körben den Kot auf und mit großen Muscheln den Urin. Als sich zufällig eine Mücke oder Bremse auf den Pferderücken setzte, schlug er drauf, das Pferd riss sich jäh vom Zaumzeug los und brach ihm Schädel und Brustbein. Wenn die Fürsorglichkeit zu weit geht, geht die Liebe verloren – ist das kein Grund zur Vorsicht?«
Auf seinem Weg nach Qi erblickte Zimmermann Shi (Herr Stein) an einer Straße namens Qu Yuan (Krumme Deichsel) eine Eiche, die als Feldaltar diente. Sie war so groß, dass mehrere tausend Kühe unter ihr Schutz fanden, ihr Umfang maß hundert Längen, sie war so hoch, dass sie die umliegenden Berge überragte, und ihre Äste begannen erst in einer Höhe von zehn Stockwerken, mehr als zehn Boote hätte man aus ihnen fertigen können. Die Gaffer scharten sich um sie wie auf dem Marktplatz, der alte Zimmermann jedoch beachtete sie nicht, er lief geradenwegs weiter, ohne zu verweilen.
Sein Lehrling aber konnte sich gar nicht sattsehen an ihr, eilte zu Zimmermann Shi und sprach: »Seit ich diese Axt schleppe und dir folge, Meister, habe ich noch nie solch schönes Holz erblickt. Meister, warum willst du es dir nicht ansehen und verweilen?«
Der Zimmermann erwiderte: »Genug, sprich nicht weiter davon! Ein morscher Baum ist das; baut man daraus ein Boot, geht es unter; zimmert man daraus einen Sarg, verrottet er; höhlt man daraus ein Gefäß, zerbricht es; baut man daraus eine Tür, bleibt sie undicht; errichtet man daraus eine Säule, wird sie von Würmern zerfressen. Dieser Baum liefert kein gutes Holz, er ist völlig nutzlos, daher ist er so alt geworden.«
Zimmermann Shi kehrte nach Hause zurück; im Traum erschien ihm die Eiche vom Feldaltar und sprach: »Womit vergleichst du mich? Vergleichst du mich mit Nutzholz? Etwa mit Apfel-, Birnen-, Orangen-, Zitronen- oder sonstigen Obstbäumen oder gar mit Melonen oder mit Sträuchern? Sind die Früchte reif, reißt man sie ab, beim Abreißen verletzt man sie, große Äste werden abgebrochen, kleine Äste zerstreut. Gerade ihre Nützlichkeit verbittert ihnen das Leben, daher erreichen sie nicht ihr natürliches Alter, sondern gehen ein nach der halben Zeit; sie selbst ziehen die Misshandlung durch alle Welt auf sich. Von allen Lebewesen gibt es keines, dem es nicht so ergeht. Wie lange habe ich mich darum bemüht, als nutzlos zu erscheinen; nun bin ich dem Tode nah und habe es geschafft – das ist sehr nützlich für mich. Wenn ich zu irgendetwas nütze gewesen wäre, hätte ich je diese Größe erreicht? Du und ich, wir sind beide Lebewesen – warum sollten wir einander als Ding benutzen? Was verstehst du, unnützer alter Mann, von einem unnützen Baum!«
Zimmermann Shi erwachte und dachte über die Bedeutung seines Traums nach. Der Lehrling fragte: »Oh, wenn er bevorzugt, nutzlos zu sein, warum dient er dann als Feldaltar?«
Der Zimmermann erwiderte: »Psst, das ist geheim. Sprich nicht davon! Ich habe es dir nur anvertraut, weil diejenigen, die es nicht wissen, den Baum schmähen und beschimpfen. Diente er nicht als Feldaltar, beinahe wäre er umgesägt worden! Dieser Baum ist auf besondere Weise geschützt (indem er vielen anderen Schutz bietet) – dies mit den üblichen Maßstäben zu bewerten, liegt das nicht fern?«
Nan Bo Ziqi (Meister Dunkelbunt aus dem Süden) ging in den Bergen von Shang spazieren, als er einen großen, sonderbaren Baum erblickte. Tausend Viergespanne könnten in seinem Schatten Platz finden. Ziqi rief: »Was ist das für ein Baum? Sicher wird er ganz besonderes Nutzholz hergeben!«
Als er nach oben blickte, sah er nur dünne Äste, krumm und verwachsen, aus denen man keinen Balken schlagen konnte; als er nach unten blickte, sah er, dass die große Wurzel gespalten war, so dass man aus ihr nicht mal einen Sarg zimmern konnte; als er ein Blatt kostete, schmeckte es beißend scharf, und der Mund fühlte sich wund an; als er daran roch, bekam er drei Tage lang Kopfschmerzen.
Ziqi sprach: »Das Holz von diesem Baum ist wirklich vollkommen nutzlos, daher konnte er so groß werden. Ach, der geistige Mensch sollte aus solch nutzlosem Holz gemacht sein!«
Im Staat Song gibt es den Bezirk Jing, wo Katalpen, Zypressen und Maulbeerbäume gedeihen. Bäume, die eine Armlänge hoch sind, werden von Leuten geschlagen, um sie als Stäbe für einen Affenkäfig zu nutzen; Bäume mit drei oder vier Spannen im Umfang werden für prächtige Dachbalken geschlagen; Bäume mit sieben oder acht Spannen im Umfang werden von Edelleuten und reichen Händlern geschlagen, um daraus Särge zu zimmern. Daher haben sie ihre natürliche Lebenszeit nicht ausgeschöpft und sind schon nach der halben Zeit im besten Alter unter die Axt gekommen; die Nützlichkeit hat ihnen Unheil gebracht.
[Nach dem Ritus der Jie] opfert man dem Flussgott keine Rinder mit weißer Stirn, keine Schweine mit langem Rüssel oder Menschen mit Geschwüren. Alle Schamanen und Priester wissen das und halten sie für ungücklich; der Weise aber betrachtet es als ihr großes Glück.
Der Bucklige Shu (Herr Öde) hatte ein Kinn, das bis zum Bauchnabel reichte, die Schultern überragten seinen Kopf, sein Haarzopf stand gen Himmel, die fünf Eingeweide waren nach oben verdreht, die beiden Schenkel ragten aus den Rippen. Mit dem Ausbessern und Waschen von Kleidung verdiente er genug, um sich zu ernähren; mit dem Sieben von Korn verdiente er genug, um zehn Menschen zu ernähren. Als die Obrigkeit Soldaten rekrutierte, zeigte der Krüppel seine Arme vor und wurde ausgemustert; wenn die Obrigkeit Frondienste zu vergeben hatte, wurde dem Krüppel wegen seiner Untauglichkeit keine Arbeit zugeteilt; wenn die Obrigkeit Getreide an die Kranken verteilen ließ, dann erhielt er drei Säcke und zehn Bündel Brennholz dazu. Jemand, der körperlich ein Krüppel ist, doch genug hat, um seinen Körper zu nähren, erreicht das natürliche Ende seiner Jahre – wie viel leichter ist das für jemanden, dessen Tugenden verkrüppelt sind.
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