1 ...7 8 9 11 12 13 ...20 Bemerkenswert ist, dass Zhuangzi hier zu einer Rehabilitation der äußerlich Benachteiligten gelangt, die zu seiner Zeit völlig ungewöhnlich erscheinen musste.
Als Konfuzius nach Chu ging, empfing ihn Jie Yu, der Narr von Chu, an der Tür und sang: »Phönix, o Phönix, wohin ist dein Anstand verschwunden! Die Zukunft kann nicht auf dich warten, die Vergangenheit kannst du nicht festhalten. Gibt es das Dao unterm Himmel, entfaltet der Weise seine Wirkung; fehlt unterm Himmel das Dao, bewahrt der Weise sein Leben. Heutzutage jedoch versucht er nur, der Strafe zu entkommen. Das Glück ist leicht wie eine Feder, niemand weiß es zu halten; Unglück wiegt schwer wie Erde, niemand weiß es abzuwenden. Genug, genug, dich anständigen Menschen zu nähern! Gefährlich, gefährlich, herumzurennen, um die Erde aufzuteilen! Irrlichternd, irrlichternd, ohne Hindernisse gehe ich voran! Umwege gehe ich, zieh mich zurück, auf keine Hindernisse stößt mein Fuß!«
Bäume auf Bergen fallen von selbst; Öl im Feuer brennt von selbst; Zimt ist essbar, daher schält man ihn vom Zimtbaum ab; Lack ist nützlich, daher werden Lackbäume geschlitzt. Alle kennen den Nutzen des Nützlichen, aber keiner kennt den Nutzen des Nutzlosen.
5
德充符 (dé chōng fú)
Zeichen erfüllender Wirkkraft
In diesem Kapitel wird Konfuzius satirisch als Bewunderer eines daoistischen Weisen dargestellt. Anhand des Spruches von Laozi (Kapitel 8) wird behauptet, dass diejenigen dem Dao nahe seien, die sich an Orten aufhalten, die die meisten Menschen meiden. Als Lehrer und Vorbild wählt Zhuangzi nicht den konfuzianischen Gelehrten, der infolge der Überbetonung sozialer Rollen in seiner natürlichen, intuitiven Wahrnehmung eingeschränkt oder gar voreingenommen ist. Vielmehr erblickt er die Verkörperung höchster Weisheit in den Opfern der Zeit der Streitenden Reiche, in den Verachteten, in Krüppeln und Landstreichern, Bettlern und Kriminellen.
In Lu gab es einen Krüppel namens Wang Tai (König der Nichtskönner), dem man einen Fuß abgehackt hatte; er hatte genauso viele Anhänger wie Konfuzius. Chang Ji (Nachhaltige Ernte) fragte Konfuzius: »Der einbeinige Wang Tai teilt sich mit dir, Meister, die Schüler in Lu. Er steht nicht auf, um zu lehren; er setzt sich nicht, um Gespräche zu führen; wer leer zu ihm geht, kehrt bereichert zurück. Gelingt es wirklich, ohne Worte zu lehren, ohne Form den Herz-Geist zu vollenden? Was ist das für ein Mensch?«
Konfuzius antwortete: »Dieser Meister ist ein Weiser. Ich habe erst spät von ihm gehört. Doch wenn ich ihn nun als Lehrer betrachte – dann erst recht diejenigen, die mir nicht ebenbürtig sind! Nicht nur im Staat Lu, alle unterm Himmel werde ich zu ihm führen, sich ihm anzuschließen.«
Chang Ji erwiderte: »Der einfüßige Wang ist ein Meister, der die gewöhnlichen Menschen weit übertrifft. Was ist das Besondere daran, wie er den Herz-Geist benutzt?«
Konfuzius sprach: »Wie groß [der Wandel durch] Sterben und Leben auch ist, sie vermögen es nicht, ihn zu beeindrucken; selbst wenn Himmel und Erde beben und einstürzen, würde ihm dies nichts anhaben. Er beobachtet aufmerksam, was keinen Makel hat, und dreht sich nicht mit den Dingen; der Dinge Bestimmung ist es, sich zu ändern, er aber bewahrt seinen Ursprung.«
Chang Ji sprach: »Was meinst du damit?«
Konfuzius erwiderte: »Wer seine Aufmerksamkeit auf Unterschiede richtet, dem erscheinen Leber und Galle so verschieden wie [die Staaten] Chu und Yue. Wer die Gemeinsamkeiten betrachtet, dem erscheinen die zahllosen Lebewesen, als wären sie eins. Wer nicht nur weiß, was ihm Ohr und Auge als Wahrnehmung darbieten, sondern seinen Herz-Geist in Einklang mit der Lebenskraft bringt, der erkennt, was die Lebewesen eint, aber sieht nicht, was fehlt; einen Fuß zu verlieren, heißt für ihn, ein Klümpchen Erde abschütteln.«
Chang Ji fragte: »Er ruht in sich selbst, indem er mit Hilfe von Wissen Zugang zum Herz-Geist erlangt; mit Hilfe des Herz-Geistes gelangt er zur Beständigkeit des Herz-Geistes; warum sollten sich die anderen derart um ihn scharen?«
Konfuzius sprach: »Der Mensch erkennt sein Spiegelbild nicht in fließendem, sondern in ruhendem Wasser. Nur Ruhendes vermag all das zu beruhigen, was zu beruhigen ist. Von denen, deren Leben von der Erde bestimmt wird, sind allein Kiefer und Zypresse beständig: sie grünen sowohl im Winter als auch im Sommer; von denen, deren Leben vom Himmel bestimmt wird, sind allein die Könige Yao und Shun aufrichtig: ihr Glück besteht darin, indem sie ihr Leben aufrechterhalten, das Leben aller anderen aufrechtzuerhalten. Daher: Ob jemand das Ursprüngliche bewahrt, zeigt sich daran, dass er wirklich furchtlos ist. Ein mutiger Soldat stellt sich allein neun Armeen entgegen. Er giert nach Ruhm und schafft es aus eigener Kraft – um wie viel mehr gelingt dies demjenigen, der Himmel und Erde zu seinen Verwaltern bestimmt, der die zahllosen Lebewesen beherbergt, der den sechs Körperteilen Raum gibt, dem nur Erscheinung ist, was Ohr und Auge ihm darbieten, der sein Wissen in eins zusammenzuführen weiß und dessen Herz-Geist unbeeindruckt ist vom Tod. Er wählt den Tag aus, an dem er emporsteigt und dieser Welt entflieht, und die Menschen folgen ihm. Wozu sollte er sich mit weltlichen Angelegenheiten befassen?«
Shentu Jia (Für seine Berichte bewunderter Schüler), ebenfalls ein Krüppel, studierte mit Zichan, [dem Premierminister] von Zheng, bei Bohun Wuren (Gevatter Dunkel Menschenleer). Zichan sprach zu Shentu Jia: »Wenn ich zuerst hinausgehe, bleibst du hier; wenn du zuerst hinausgehst, bleibe ich hier.«
Am nächsten Tag saßen sie wieder zusammen auf derselben Matte im Raum. Zichan sprach zu Shentu Jia: »Wenn ich zuerst hinausgehe, bleibst du hier; wenn du zuerst hinausgehst, bleibe ich hier. Ich würde jetzt gehen – kannst du bleiben oder nicht? Und wenn du einen Minister triffst und ihm keinen Platz frei machst, heißt das, dass du dich für gleichrangig mit einem Minister hältst?«
Shentu Jia erwiderte: »Gibt es im Haus des Meisters tatsächlich so etwas wie den Rang eines Ministers? Du erfreust dich eines hohen Amtes und lässt die anderen kuschen! Ich habe den Spruch gehört: ›Wenn der Spiegel klar ist, hält sich der Staub nicht darauf. Hält sich der Staub darauf, so ist er nicht klar. Wer lange bei einem Weisen weilt, der wird frei von Fehlern sein.‹ Nun erkennst du die Größe des Meisters an und offenbarst dich dennoch durch solche Reden – ist das nicht auch ein Fehler?«
Zichan erwiderte: »Jemand wie du wetteifert sogar mit König Yao darum, wer besser sei; glaubst du, du hättest genug Anstand in dir, von selbst umzukehren?«
Shentu Jia sprach: »Es sind viele, die ihre Fehler rechtfertigen, um der Strafe zu entfliehen; nur wenige rechtfertigen ihre Fehler nicht und nehmen die Strafe an. Zu erkennen, was sich nicht ändern lässt, und sich mit dem Schicksal anzufreunden – nur wer Anstand hat, vermag das. Spaziert einer vor [dem berühmten Bogenschützen] Hou Yi, wenn er den Bogen spannt, herum, genau an dem Platz, wo man getroffen werden kann, und wird nicht getroffen, dann ist es Schicksal. Leute, deren Füße heil sind, lachen oft über mich, weil ich einen verstümmelten Fuß habe. Früher war ich darüber traurig und zornig, doch seit ich zum Meister gehe, stört mich das nicht mehr, und ich kehre zu mir zurück. Ich weiß nicht, ob mich der Meister mit seiner Güte davon reingewaschen hat. Seit neunzehn Jahren weile ich bei dem verehrten Meister, und nicht einmal hat er mich spüren lassen, dass ich ein Krüppel bin. Nun wandeln wir, du und ich, jenseits des Körperlichen im Innern, und du beurteilst mich anhand meiner äußeren körperlichen Gestalt – ist das nicht auch ein Fehler?«
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