Zhuangzi spricht sich hier für eine Art zweiwertige Logik aus, um das menschliche Wissen auszuloten. Diese Passagen dienten zudem als Referenz für Atemtechniken und meditative Reisen sowie für spirituelle Techniken im Buddhismus und religiösen Daoismus.
Über Sterben und Leben bestimmt das Schicksal; seine Beständigkeit darin rührt wie der Wechsel zwischen Nacht und Tag von der Natur her. Es ist dem Menschen wie allen Lebewesen nicht gegeben, daran etwas zu ändern. Manche betrachten den Himmel als Vater und lieben ihn, als wäre er eine Person – wie viel liebenswerter ist, was noch darüber steht! Manche betrachten ihren Herrscher als etwas Höheres und opfern ihr Leben für ihn – wie viel mehr sollten sie opfern für das Wahrhaftige!
Wenn die Quellen versiegen, liegen die Fische beieinander an Land, hecheln einander ein paar Tropfen zu, befeuchten sich gegenseitig mit ihrem Schleim – aber wäre es nicht besser für sie, sie könnten einander vergessen und in Flüssen oder Seen schwimmen? Für den, der [Kaiser] Yao preist und [den Tyrannen] Jie verdammt, wäre es nicht besser, er könnte beide vergessen und sich stattdessen mit dem Dao wandeln. Die große Erde schenkt uns den Körper, die Mühen des Lebens, die Muße im Alter, ein Ruhebett, wenn wir sterben. Daher ist, was gut für uns ist, solange wir leben, auch gut für uns, wenn wir sterben. Ein Boot lässt sich in einem Tal verbergen; ein Fischernetz lässt sich in einem Sumpf verbergen – es heißt, das sei sicher. Aber um Mitternacht kommt ein kräftiger Mann und schleppt es davon im Verborgenen, ohne dass man es bemerkt.
Kleines in Großem zu verbergen, erscheint vorteilhaft – dennoch kann es verlorengehen. Wenn alles unterm Himmel unterm Himmel verborgen ist, dann geht nichts verloren – das ist die große Situation, in der sich unveränderlich alle Lebewesen befinden. Welch besondere Körperform ein Mensch auch hat, er erfreut sich daran; der menschliche Körper durchwandert zehntausend Wandlungen, ohne an ein Ende zu gelangen – lässt sich diese Freude überhaupt ermessen? Daher hält sich der Weise an das, was nicht verlorengehen kann, sondern bewahrt bleibt. Er ist gut zu den Schönen und gut zu den Alten, gut zu denen, die am Beginn stehen, und gut zu denen, die am Ende sind – wenn er den Menschen ein Beispiel sein kann, dem sie nacheifern, um wie viel mehr das, woran die zahllosen Lebewesen gebunden sind, von dem jegliche Wandlung abhängt.
In dieser Passage fällt der Doppelcharakter von 天 als Himmel und Natur besonders ins Gewicht. Im Deutschen wirkt »der« Himmel aufgrund des Wortgeschlechts für die Gleichsetzung »dem« Vater geeigneter als »die« Natur – zugleich wird hier eine Kritik am personifizierenden Gottesbegriff angeregt, der für die monotheistischen Religionen charakteristisch ist.
Das Dao durchdringt die Wirklichkeit und schafft Vertrauen, ohne etwas dafür zu tun und äußerlich in Erscheinung zu treten; du kannst es empfangen, aber nicht in die Hand nehmen; du kannst es erhalten, aber nicht sehen; es wurzelt in sich selbst, ist in sich selbst gegründet; bevor es Himmel und Erde gab, von der Urzeit an ist es da; Göttern und Geistern verleiht es Heiligkeit; es gebar den Himmel und gebar die Erde; es reicht über den Zenit hinaus und betrachtet sich nicht als hoch; es reicht tiefer als die sechs Himmelsrichtungen und betrachtet sich nicht als tief; es entstand vor Himmel und Erde und hält sich nicht für dauerhaft; lange währt es, seit der frühen Urzeit, und hält sich nicht für alt.
Xiwei (Schweinsleder) empfing es und richtete damit Himmel und Erde auf; Fuxi (der Göttliche Ackermann) empfing es und begriff damit die Mutter der Atemkraft; [der Stern] Weidou empfing es und verblasst seit Urzeiten nicht; Sonne und Mond empfingen es und stehen seit Urzeiten nicht still; [der Geist] Kanpi empfing es und bezwang damit das Kunlun-Gebirge; [der Flussgott] Pingyi empfing es und spazierte damit auf dem Großen Strom umher; Jianwu (Unsere Schulter) empfing es und lebte damit auf dem Großen Berg (Taishan); der Gelbe Kaiser (Huangdi) empfing es und stieg damit zum Wolkenhimmel auf; Zhuanxu (Umsichtige Familie) empfing es und lebte damit im Dunklen Palast; Yuqiang (Kraftvoller Bereich) empfing es und weilte damit am Nordpol; Xi Wangmu (die Königinmutter des Westens) empfing es und nahm damit Platz auf den Shaoguang-Bergen, niemand weiß, wann sie damit anfing, niemand weiß, wann sie damit aufhören wird; [der achthundertjährige] Peng Zu empfing es und lebte von der Zeit des You Yu bis zur Epoche der Fünf Herren; [der Gelehrte] Fu Yue (Freude am Lehren) empfing es und wurde zum Premierminister von [König] Wuding, herrschte im Staat, schwang sich auf zum Oststern Dongwei, flog zum [Stern] Jiwei und reihte sich ein unter die Sterne.
Diese Passage weist Parallelen zu Laozi, Kapitel 4,25 und 42, auf. Darauf deutet auch der Kommentar von Cheng Xuanying hin, obgleich er Laozi nicht erwähnte, wohl aber aus dem Daodejing zitierte. Die rhythmische Form am Ende dieses Abschnitts erinnert an den späteren Stil im Buch Laozi, insbesondere Kapitel 39, dem die namentlichen mythologischen Bezüge jedoch fremd sind.
Nanbo Zikui (Meister Blütenkraut aus dem Süden) fragte Nü Yu (Alleinstehende Frau): »Du bist schon so alt und siehst doch aus wie ein Kind, wie geht das?«
Sie erwiderte: »Ich bin mit dem Dao vertraut.«
Nanbo Zikui fragte: »Ist es erlernbar, das Dao zu empfangen?«
Sie erwiderte: »Wie denn? Wie soll das gelingen? Du bist nicht der Mensch dafür. Bu Liangyi (Wahrsagender Stützbalken) hatte das Können eines Weisen, doch ihm fehlte das Dao eines Weisen; ich habe das Dao eines Weisen, doch mir fehlt das Können eines Weisen; ich wünschte, ich könnte ihn lehren, ein wirklicher Weiser zu werden. Jedenfalls ist es leichter, jemandem das Dao eines Weisen zu vermitteln, der bereits das Können eines Weisen hat. Also blieb ich beharrlich und vermittelte es ihm, und nach drei Tagen war er imstande, über die Regierungsgeschäfte hinauszugehen; nachdem er begonnen hatte, über die Regierungsgeschäfte hinauszugehen, blieb ich wieder beharrlich, und nach sieben Tagen war er imstande, über die Lebewesen hinauszugehen; obwohl er begonnen hatte, über die Lebewesen hinauszugehen, blieb ich wieder beharrlich, und nach neun Tagen war er imstande, über das Leben hinauszugehen; als er begann, über das Leben hinauszugehen, war er imstande, die Klarheit der Morgensonne zu erreichen; als er begann, die Klarheit der Morgensonne zu erreichen, war er imstande, das Einzigartige eines jeden zu sehen; als er begann, das Einzigartige eines jeden zu sehen, war er imstande, über Vergangenheit und Gegenwart hinauszugehen; als er begann, über Vergangenheit und Gegenwart hinauszugehen, war er imstande, in die Sphäre einzutreten, wo es weder Tod noch Leben gibt. Was das Leben tötet, ist nicht der Tod; was dem Leben Leben verleiht, ist nicht die Geburt. Er wurde zu einem der Wesen, für die es nichts gibt, das sie im Stich lassen, nichts, das sie willkommen heißen, für die es nichts gibt, das sie nicht zerstören, nichts, das sie nicht vollenden. Sein Name lautet ›Ruhe finden durch Erregung‹. ›Ruhe finden durch Erregung‹ – erst verwirrt und dann vollendet sie.«
Nanbo Zikui fragte: »Woher hast du davon gehört?«
Nü Yu erwiderte: »Ich hörte es von den Schriftkundigen, die Schriftkundigen hörten es von den Erzählern, die Erzähler hörten es von den Verständigen Beobachtern, die Verständigen Beobachter hörten es von den Einsichtig Flüsternden, die Einsichtig Flüsternden hörten es von den Tatkräftigen, die Tatkräftigen hörten es von den Sängern, die Sänger hörten es vom Dunklen Geheimnis, Dunkles Geheimnis hörte es von Weite und Stille, Weite und Stille hörte es vom Zweifelhaften Beginn.«
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