Zigong fragte: »Darf ich fragen, wie es sich mit den außergewöhnlichen Menschen verhält?«
Konfuzius sprach: »Der außergewöhnliche Mensch erscheint außergewöhnlich für die Menschen, aber er wird der Natur gerecht. Daher heißt es: Wer sich nur wenig nach der Natur richtet, gilt unter den Menschen als Edelmann; wer unter den Menschen als Edelmann gilt, der richtet sich nur wenig nach der Natur.«
Yan Hui fragte Konfuzius: »Als die Mutter von Mengsun Cai (Ältester talentierter Enkel) starb, weinte er ohne Tränen, empfand in seinem Herzen keine Trauer und vollzog das Begräbnis ohne Klageschreie. Ungeachtet dieser drei Versäumnisse gilt er als guter Kenner der Bestattungsriten im Staate Lu. Obwohl er davon in Wirklichkeit keine Ahnung hat, genießt er einen guten Ruf! Das finde ich wirklich merkwürdig.«
Konfuzius sprach: »Mengsun hat sein Bestes gegeben, er übertrifft darin die Gelehrten. Er wollte die Dinge nur vereinfachen, aber es gelang ihm nicht, das spornte ihn am Ende umso mehr an, sie zu vereinfachen. Mengsun will weder wissen, wozu wir leben noch warum wir sterben; er will weder wissen, was vorher kommt noch was danach; ihm ist klar, dass wir uns in ein anderes Lebewesen verwandeln werden, doch er will nicht wissen, in welches. Wenn sich eine Wandlung vollzieht, woher wissen wir, was sich nicht wandelt? Wenn sich keine Wandlung vollzieht, woher wissen wir, was schon eine Wandlung vollzogen hat? Ich und du, wir träumen und sind noch nicht aufgewacht. Auch Mengsun leidet körperlich, aber er empfindet im Herz-Geist keinen Verlust; der Tod bedeutet ihm nichts anderes als den Umzug in ein neues Haus. Mengsun als Einziger ist aufgewacht; er weint, wenn auch die anderen weinen, daher spürt er selbst, was es für sie bedeutet. Auch wenn wir einander hören, woher wissen wir, dass wirklich ich es bin, wenn wir ›ich‹ sagen? Angenommen, du träumst, du seiest ein Vogel und würdest aufsteigen in den Himmel, oder du träumst, du seiest ein Fisch und würdest hinabtauchen ins tiefe Wasser, dann wüssten wir nicht, ob wir im Wachen oder im Traum miteinander gesprochen hätten. Nicht das Angenehme veranlasst uns zu lachen; nicht was uns lachen lässt, bringt uns dazu, uns zu ordnen; wer Ruhe findet im Geordneten und die Wandlungen hinter sich lässt, der tritt ein ins Einssein mit der Stille der Natur.«
Auch in diesem Abschnitt werden die Überlegungen des Schmetterlingstraumes zur Verwandlung in ein anderes Lebewesen nach dem Tod fortgeführt.
Yi-er Zi (Meister Flaumbart) besuchte Xu You (Ehrbar), Xu You sprach: »Worin hat dich [Kaiser] Yao bestärkt?«
Yi-er Zi antwortete: »Yao sprach zu mir: ›Wenn du dich unbeirrt selbst an Menschlichkeit und Rechtschaffenheit ausrichtest, kannst du klar sagen, was richtig und falsch ist.‹«
Xu You entgegnete: »Und warum kommst du dann zu mir? Wenn Yao dir schon mit Menschlichkeit und Rechtschaffenheit ein Schandmal auf die Stirn gedrückt und dir wegen Richtig und Falsch die Nase abgeschnitten hat, wie kannst du dann noch in die Ferne schweifen, grenzenlos, sorgenfrei, unbefangen?«
Yi-er Zi erwiderte: »Kann sein, ich will mich doch nur innerhalb der Grenzen bewegen.«
Xu You sprach: »Das geht so nicht. Der Blinde kann nicht erkennen, wie sich Liebenswürdigkeit in Brauen, Augen, Gesicht und Farbe zeigt; der Erblindete kann grün-gelbe Festkleidung und schwarz-weiß karierte Uniformen nicht unterscheiden.«
Yi-er Zi erwiderte: »Die [hübsche] Wu Zhuang (Ausweglose) verlor ihre Schönheit, der [tapfere] Ju Liang (Stützbalken) verlor seine Kraft, der Gelbe Kaiser (Huangdi) verlor seine Weisheit – sie alle wurden umgeschmiedet, als sie davon hörten. Woher weißt du, ob die schöpferische Natur mir das Schandmal nicht wieder abwischt, die abgeschnittene Nase wieder anfügt und mich auf den Pfad der Vervollkommnung schickt, damit ich deinem Beispiel folge?«
Xu You sprach: »Ach, wir können es nicht wissen. Ich werde dir die großen Umrisse beschreiben. Mein Lehrmeister, mein Lehrmeister! Er verfeinert die zahllosen Dinge, doch nicht aus Rechtschaffenheit; wohlwollend begegnet er den zahllosen Generationen, doch nicht aus Menschlichkeit; er ist älter als das Altertum, doch altert nicht; er stützt und schützt Himmel und Erde, schnitzt und prägt zahlreiche Formen, doch nicht aufgrund von Geschicklichkeit – er lässt alle in Muße umherstreifen.«
Die Interpunktion lässt offen, wer hier als Lehrmeister angerufen wird.
Yan Hui sprach: »Ich habe Fortschritte gemacht.«
Konfuzius fragte: »Was heißt das?«
Hui sprach: »Ich habe Menschlichkeit und Rechtschaffenheit vergessen.«
Konfuzius erwiderte: »Gut, aber das genügt nicht.«
Anderen Tags trafen sie sich wieder, und Hui sprach: »Ich habe Fortschritte gemacht.«
Konfuzius fragte: »Was heißt das?«
Hui sprach: »Ich habe Riten und Musik vergessen.«
Konfuzius erwiderte: »Gut, aber das genügt nicht.«
Anderen Tags trafen sie sich wieder, und Hui sprach: »Ich habe Fortschritte gemacht.«
Konfuzius fragte: »Was heißt das?«
Hui sprach: »Ich sitze da und vergesse.«
Konfuzius fragte wie vor den Kopf gestoßen: »Was heißt ›sitzen und vergessen‹?«
Yan Hui sprach: »Ich entspanne Glieder und Rumpf, schließe Ohren und Augen, schlüpfe aus dem Körper heraus, streife mein Wissen ab und verschmelze mit dem alles Durchdringenden – das nenne ich ›sitzen und vergessen‹.«
Konfuzius sprach: »Wer mit ihm verschmilzt, hat keine Vorlieben mehr; wer sich derart wandelt, für den ist nichts dauerhaft gleichbleibend. Und das ist wahrhaft weise. Ich bitte dich, deinem Weg nachfolgen zu dürfen.«
Meister Yu (Wagenlenker) und Meister Sang (Maulbeerbaumzüchter) waren Freunde; als es einmal zehn Tage ununterbrochen regnete, sprach Meister Yu: »Ich fürchte, Meister Sang ist krank geworden.«
Er packte etwas Essen ein und brachte es ihm. Als er Meister Sang’s Tür erreichte, vernahm er, wie jemand die Laute zupfte und schluchzend sang: »Vater! Mutter! Natur! Mensch!« Er konnte die Stimme nicht halten und beeilte sich, das Lied zu beenden. Ziyu trat ein und sprach: »Meister, warum singst du das Lied in dieser Weise?«
Meister Sang erwiderte: »Ich habe darüber nachgedacht, was mich in diese Notlage gebracht hat, doch ich habe es nicht herausgefunden. Vater und Mutter, warum sollten sie wollen, dass ich bedürftig bin? Der Himmel bedeckt alles, ohne etwas vorzuziehen, die Erde trägt alles, ohne etwas vorzuziehen – warum sollten Himmel und Erde wollen, dass ausgerechnet ich bedürftig bin? Ich habe versucht zu erfahren, wie es gekommen ist [dass ich so arm bin], aber ich habe es nicht herausgefunden. Und so kann diese Notlage doch nur Schicksal sein!«
7
應帝王 (yìng dì wáng)
Antworten für Herrscher und Könige
Darf der »Herrscher« als »höchstes Wesen« oder »Gott« bezeichnet werden? Ziporyn (S. 50) weicht von dieser Lesart ab, interpretiert 帝 als »a term for supreme power in both politcal and religious realms« und erklärt damit, warum Zhuangzi in diesem Kapitel auch auf den Schamanen Jixian antwortet. Cui Zhuan dagegen hält in Anlehnung an Laozi das »Lehren ohne Worte« und die Erlaubnis, »so sein zu dürfen, wie man ist« für die Sache der Herrscher und Könige. Feng Youlan (S. 107) spricht von »Philosophen-Königen« im Sinne Platons. Deren geistige Entwicklung passe zum Erzählfaden der sieben Inneren Kapitel: »It seems that the titles and the order of the seven ›inner chapters‹ of the Zhuangzi also bear this significance. The first chapter describes the state of absolute freedom; the second, the state of absolute equality. He who attains these states can cultivate his own life and live with others in the human world. His virtue is complete, and with it he naturally influences the people. He thus becomes the great teacher, and the great teacher should also be king. ›Political greatness‹ should be the crown of ›wisdom‹. Philosophy should be sagely in principle and kingly in practice.«
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