Malte Oberschelp
Der Fußball-Lehrer
Wie Konrad Koch im Kaiserreich
den Ball ins Spiel brachte
VERLAG DIE WERKSTATT
Konrad Koch um 1880. (Archiv Kurt Hoffmeister)
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Satz und Gestaltung: Verlag Die Werkstatt
ISBN 978-3-89533-803-8
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Das englische Experiment
Wie Konrad Koch 1874 in Braunschweig den Fußball einführte
Die Spielbewegung
Nicht nur Koch setzte sich im Kaiserreich für die englischen Spiele ein
Der Zentralausschuss
Im Zentralausschuss zur Förderung der Volks- und Jugendspiele saß Koch im Vorstand
Made in England
Wie Koch die Vorbehalte gegen die englische Herkunft des Fußballs entkräftete
Gefährliches Spiel
Die angebliche Gefährlichkeit war der zweite Vorwurf gegenüber dem Fußball
Was wird hier eigentlich gespielt?
Die Auseinandersetzung um die Vor- und Nachteile von Fußball und Rugby
Eine kurze Geschichte der Fußballregeln
Bei der Entstehung der deutschen Regeln spielte Koch eine prominente Rolle
Fußlümmelei auf dem Turnplatz
Die Spielvereinigung Leipzig wurde zum Vorreiter der fußballspielenden Turner
Ein Ball, mehrere Verbände
Der Deutsche Fußball- und Cricket-Bund war der bedeutendste DFB-Vorläufer
Goal! Johl! Tor!
Wie Konrad Koch die noch heute gültige Fußballsprache entwarf
Epilog
Anmerkungen
Ausgewählte Schriften von Konrad Koch
Credits
Der Autor
Einleitung
Konrad Koch hat den Fußball in Deutschland eingeführt so kann man es in den Büchern lesen, die sich mit der Geschichte des deutschen Fußballs beschäftigen. Das ist nicht ganz richtig, aber auch nicht ganz falsch. Tatsächlich hat der Braunschweiger Lehrer Konrad Koch, geboren am 13. Februar 1846, das englische Fußballspiel ab 1874 an seinem Gymnasium eingeführt und später überregional gefördert. 1875 veröffentlichte er die ersten Regeln in deutscher Sprache, 1894 schrieb er die erste Studie über die historischen Wurzeln des Fußballs. Koch besaß gute Kontakte zum wichtigsten DFB-Vorläufer und prägte viele der Fachausdrücke, die uns auf dem Bolzplatz, im Stadion oder vor dem Fernseher wie von selbst über die Lippen kommen.
Trotzdem stimmt die Behauptung, Koch sei der Urvater des Fußballs, nur zum Teil. Tatsächlich ist in Deutschland auch schon vor 1874 mit dem Lederball herumgekickt worden. Von den zahlreichen im Land lebenden Engländern, aber auch von einigen Deutschen. Koch war aber sehr wohl derjenige, der den Fußball mit einem eigenen Regelbuch und der Gründung eines Schülervereins als Erster in organisierter Weise einführte. Noch dazu erkannte er früher als andere das bahnbrechende Potenzial und die pädagogische Bedeutung des Spiels. Auch wenn die Leibesübung, die Koch mit seinen Schülern ausprobierte, zunächst mehr mit Rugby als mit Fußball zu tun hatte. Association, die nach dem englischen Fußballverband benannte Variante ohne den Gebrauch der Hände, lernte Koch 1877 kennen und formulierte erstmals 1882 rudimentäre Regeln auch das vergleichsweise früh. Allerdings blieb er sein ganzes Leben ein Fan der älteren Spielweise. Auch dann noch, als sich ab etwa 1890 der heutige Fußball in den deutschen Vereinen durchsetzte.
Das eigentliche Missverständnis aber liegt in der Vorstellung, von Konrad Koch eine Linie zum modernen Fußball der Gegenwart ziehen zu können. Zwar lässt sich mit seinem letzten Regelbüchlein von 1895 auch heute noch passabel kicken. Doch ist Kochs Fußballentwurf nur aus der Geschichte des deutschen Turnens zu verstehen. Er selbst war zeit seines Lebens Mitglied im Braunschweiger Männer-Turnverein, und August Hermann, sein Kollege bei den ersten Fußballexperimenten, war Turnlehrer. Koch führte das englische Spiel nicht aus einer Vorliebe heraus ein: Er reagierte mit dem Fußball auf Defizite im Kanon der Turnübungen.
Kochs fußballerische Zielgruppe bestand in erster Linie aus den Schülern höherer Schulen und den Mitgliedern der Turnvereine. Der Braunschweiger Pädagoge war der Ansicht, dass sich die Kinder im Turnunterricht und die Erwachsenen im Turnverein zu wenig an der frischen Luft bewegten. Anders gesagt: Koch propagierte Fußball als Ausgleichssport für das Hallenturnen. Er wollte aus dem Fußball ein sogenanntes Turnspiel für die Mitglieder der Turnvereine machen. Turnen und Fußball sollten sich bei der Ausbildung des Körpers harmonisch ergänzen.
Damit stand Koch im Kontrast zu den Sportvereinen seiner Zeit. Während diese Vereine, initiiert von den in Deutschland lebenden Engländern, den Fußball als geselliges Freizeitvergnügen betrieben, wollte Koch aus dem Fußball ein deutsches Spiel machen, das wie Turnen der nationalen Ertüchtigung diente. Dabei versuchte er gleichsam, die sportlichen Elemente aus dem englischen Original herauszukürzen. Sein Ideal war ein Fußball im Geiste des deutschen Turnens: ohne englische Ausdrücke wie Goal und Offside, ohne auffällige Trikots, aufwändige Pokale oder gar bezahlte Fußballspieler, und vor allem mit einem abgemilderten Leistungsprinzip. Fußball war für Koch kein Selbstzweck und bedeutete nicht das Streben nach Höchstleistungen. Das Spiel sollte den Schülern Zusammengehörigkeitsgefühl vermitteln und die turnerische Ausbildung reformieren. Es ging nicht um eine von Sieg zu Sieg eilende erste Elf, sondern um Bewegung für alle.
Mit der Entwicklung des Fußballs zum Sport war Koch deshalb nicht einverstanden. Zentrale Elemente des Spiels, wie sie in England vor 1900 ausgebildet waren und wie wir sie spätestens seit dem Professionalisierungsschub der Weimarer Republik kennen ein Ligen-system, Training, internationaler Spielverkehr, offene oder verdeckte Bezahlung von Spielern, Wettbüros, riesige Zuschauermengen, ausführliche Medienberichterstattung lehnte Koch vehement ab. Erst gegen Ende seines Wirkens, nach einer Englandreise 1895, relativierte Koch seinen Sportbegriff.
Konrad Koch war deshalb kein Modernisierer wie der eine Generation nach ihm lebende Walther Bensemann (1873-1934). Der gründete Fußballsportvereine, organisierte internationale Wettspiele und rief 1920 den „kicker“ ins Leben. Koch dagegen steht für einen Sonderweg. Deshalb ist dieses Buch auch keine Geschichte des Fußballs im Deutschen Kaiserreich. Es erzählt eine Geschichte, die in dieser Zeit spielt, aber heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist: Wie jemand einen ganz anderen Fußball wollte und am Ende von der Entwicklung überrollt wurde. Denn mit dem Versuch, den Turnern Fußball beizubringen, repräsentiert Koch nur eine Strömung seiner Zeit und nicht etwa jene, die sich am Ende durchgesetzt hat.
Gleichwohl ist es hochinteressant, sich mit Konrad Koch zu beschäftigen. Obwohl er national dachte und viele seiner Äußerungen aus heutiger Sicht reaktionär wirken, war er in seiner Zeit ein Reformer. Koch erkannte früh, dass der strenge, fast militärische Ablauf einer Turnstunde den Jugendlichen keine zeitgemäßen Werte vermittelte. Im englischen Fußball und im Cricket, das er ebenfalls popularisierte sah er die geeigneten Instrumente, den Schülern auf spielerische Weise moderne pädagogische Werte beizubringen. Auch verringerte Koch auf dem Spielplatz die Distanz zum Lehrpersonal, indem er gemeinsam mit seinen Schülern Fußball spielte.
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