»Der ist echt verdammt lecker«, murmele ich zwischen zwei Bissen.
Kämmerer schaut zwar kurz auf, sagt aber nichts dazu.
»Was arbeiten Sie hier denn nun?«, frage ich gespannt.
»Das sage ich Ihnen, nachdem Sie mir Ihren dritten Funfact verraten haben«, erinnert mich Kämmerer jedoch gewissenhaft.
»Stimmt.« Ich halte kurz inne und deute mit meiner Gabel auf das Kuchenstück vor mir. Oder zumindest auf das, was davon noch übrig ist. »Hm, ich weiß nicht, ob das ein Funfact ist, aber ich esse für mein Leben gerne. Daher war ich früher ziemlich dick, aber meine Oma hat auch immer zu mir gesagt: Iss, Junge, sonst bekommst du Falten.«
»Warum Falten?«, hakt Kämmerer verständnislos nach.
»Nun ja – ihrer Meinung nach war das beste Mittel gegen Falten, viel zu essen. Denn wenn man dick ist, hat man kaum welche. Das Fett polstert die Haut auf.«
Ich seufze betrübt. Herrje, in diesen Apfelkuchen könnte ich mich reinsetzen! Den würde ich am liebsten jeden Tag essen, aber das wäre angesichts des Kaloriengehalts bestimmt nicht ratsam. Seitdem ich die dreißig überschritten habe, kann ich meine Figur nur durch jede Menge Sport halten und sehe zu, dass ich mich zumindest die Woche über gesund ernähre, um mir dann ab und zu etwas Leckeres gönnen zu können.
»Fett oder Falten«, murmelt Kämmerer nun. Seine Finger huschen über die Tastatur des Laptops und ich lehne mich neugierig ein Stück nach rechts, um einen Blick auf den Monitor erhaschen zu können.
»Oh, Sie schreiben das auf?«, entwischt es mir, als ich erkenne, dass er tatsächlich das Programm mit den Notizzetteln geöffnet hat.
»Ja«, bestätigt er lapidar, rückt dann aber den Laptop an den Rand unseres Tisches und widmet mir wieder seine Aufmerksamkeit. »Fett oder Falten. Das ist zwar nicht unbedingt ein Funfact im herkömmlichen Sinne, aber aufgrund der Phonetik nicht uninteressant für eine Podcastfolge.«
»Also verdienen Sie Ihr Geld ausschließlich mit dem Podcast?«, frage ich erstaunt, doch er schüttelt sofort den Kopf.
»Nein. Ich arbeite für verschiedene Auftraggeber und Firmen. Meistens hier in diesem Café, weil ich dann nebenbei Menschen beobachten kann und Input für den Podcast bekomme.«
Ich runzele verblüfft die Stirn. »An was genau arbeiten Sie denn? Für welche Firmen?«
Von so einem Job träumen sicherlich viele Leute. Einfach gemütlich im Café sitzen und nebenbei beim Kaffeetrinken Geld verdienen. So leicht, wie sich das anhört, ist es sicherlich nicht.
Wortlos stellt Kämmerer den Laptop so, dass ich problemlos auf den Bildschirm schauen kann.
»Ich arbeite mit Sprache«, erklärt er dann verhalten und klickt auf eine Datei, die wiederum eine lange Liste von Unterordnern enthält. »Als freiberuflicher Lektor und Korrektor.«
Beeindruckt lese ich die Überschriften der Unterordner. Erst jetzt erkenne ich, dass dies Buchtitel sind. Jede Menge bekannte Werke, darunter viele Bestseller von namhaften Krimiautoren, aber auch Liebesromane, Ratgeber, Sachbücher und sogar Titel, die ich der wissenschaftlichen Fachliteratur zuordnen kann.
»Wow.« Mir entfährt ein respektvoller Pfiff.
Wahnsinn, er hat sogar Die Sternenschatten von Marvin Trost lektoriert und mit ihm zusammengearbeitet? Das Buch ist seit Veröffentlichung nicht von den Bestsellerlisten heruntergekommen. Natürlich habe ich es gelesen, wie Millionen anderer in allen Ländern dieser Welt auch. Die Dystopie ist umwerfend, der Autor hat einen tollen, sehr eingängigen Stil und wird als der neue Franz Kafka gehandelt.
»Nicht wahr? Ich bin auch mächtig stolz auf Tobias«, mischt sich plötzlich eine helle Stimme ein. Ich schaue verwundert auf. Die junge Bedienung steht mit einem Mal neben unserem Tisch. Sie lächelt mir zu, setzt sich neben Kämmerer auf die Bank und legt liebevoll eine Hand über seine, die auf der Tischplatte liegt. »In Grammatik und Zeichensetzung sind viele Leute sehr gut«, fährt sie fort. »Aber Tobias hat darüber hinaus ein einzigartiges Verständnis für Sprache, die ihn als Lektor und Korrektor so erfolgreich macht. Er weiß, wie ein einzelner Satz dort stehen muss, damit er gut und flüssig lesbar ist, ohne dass der Stil des Autors verändert wird.«
Ich nicke zustimmend. Das ist unbestritten ein hoch angesehener Beruf und die Liste der Romane, die er bearbeitet hat, zeigt mir auch, dass vor allem große und bekannte Verlage zu seinen Auftraggebern gehören. Tobias Kämmerer steigt damit in meiner Hochachtung wie eine Boje bei einer Springflut. Trotzdem bekomme ich das plötzlich nicht mehr mit seinem Podcast zusammen, weil dies eine ganz andere Art der Unterhaltung ist. Zwar auch sprachlich auf hohem Niveau, mit spitzfindigen, sehr gut aufgebauten Pointen, aber eher für den normalen Konsumenten, für die Leute von nebenan gedacht. Oder schließen sich Lektor und Comedian gar nicht gegenseitig aus?
»Kennen Sie sich eigentlich schon lange?«, frage ich nun und wende mich damit an die junge Frau. Keine Frage, die beiden wirken sehr vertraut miteinander.
Sie lacht glockenhell auf. »Seit etwas mehr als fünfundzwanzig Jahren«, erklärt sie frei heraus. »Ich bin Jasmin Kämmerer. Tobi ist mein großer Bruder.«
»Okay, jetzt, wo Sie es sagen, fällt mir Ihre Ähnlichkeit auch auf«, gebe ich zu und stimme in ihr fröhliches Lachen ein. Beide haben blondes Haar und eine ähnliche Gesichtsform. »Es freut mich, Sie kennenzulernen, Frau Kämmerer.« Ich reiche ihr über die Tischplatte hinweg meine Hand, die sie auch sofort ergreift.
»Sie können Jasmin zu mir sagen, wie alle anderen auch«, bietet sie mir an.
»Sehr gerne. Ich bin Luíz da Silva, Tobias' neuer Agent. Für Sie dann Luíz, bitte.«
Tobias Kämmerer verzieht schon die ganze Zeit über keine Miene, doch sein Blick wandert aufmerksam zwischen uns beiden hin und her.
»Ist denn Ihr Beruf als Lektor der Grund dafür, dass Sie einen Liveauftritt bislang abgelehnt haben?«, frage ich ihn neugierig. »Gibt es irgendwelche vertraglichen Vereinbarungen mit den Verlagen, von denen ich wissen sollte?«
»Nein.« Seltsamerweise ist es seine Schwester, die sofort antwortet, dafür jedoch in einem sehr strikten Tonfall, der keinen Widerspruch zulässt. Zudem zieht sie sofort ihre Stirn in Falten und funkelt mich böse an. »Tobias kann sich seine Auftraggeber selbst aussuchen, deshalb hat er auch die Lektoratstätigkeit aus dem Vertrag mit Irkko herausgehalten. Er möchte nicht auf eine Bühne und damit sollte sich das Thema auch erledigt haben.«
Umgehend verändert sich die Stimmung am Tisch, wird fühlbar frostiger. Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück und hebe beschwichtigend beide Hände.
»Immer mit der Ruhe.« Ich lächele entwaffnend. »Alles, was die Agentur für Ihren Bruder tun kann, ist es, Vorschläge auszuarbeiten und zu unterbreiten«, erkläre ich ihr. »Ob er diese annimmt, bleibt ihm überlassen.«
»Dann ist es ja gut.« Jasmin sieht mich noch immer scharf an, als würde eine unbedachte Bewegung von mir ausreichen, dass sie über mich herfällt und wie eine Löwin ihr Junges verteidigt. Mein Blick fällt auf Tobias, der die ganze Zeit über geschwiegen hat und es auch jetzt nicht für nötig hält, einzugreifen und seine jüngere Schwester zu beruhigen. Mit einem eher neutralen, aber interessiert wirkenden Gesichtsausdruck verfolgt er unseren kleinen Schlagabtausch.
Plötzlich seufzt Jasmin, tätschelt nochmals den Handrücken ihres Bruders und steht auf. »Ich muss zurück an die Arbeit«, sagt sie und nimmt meinen leeren Kuchenteller. »Ich hoffe, es hat Ihnen geschmeckt. Der Kaffee und der Apfelkuchen gehen aufs Haus. Betrachten Sie sich als eingeladen.«
»Vielen Dank, der Kuchen war wirklich hervorragend«, lobe ich aufrichtig.
Sie nickt mir noch mal höflich zu und verschwindet hinter dem Tresen, der zum Glück weit genug entfernt ist, damit ich mein Gespräch mit Tobias ungestört fortsetzen kann. Seine Schwester mag ja eine wichtige Rolle in seinem Leben spielen – aber schließlich ist er ein erwachsener Mann und kann selbstständig Entscheidungen treffen.
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