Hans Poerschke - Das Prinzip der Parteiliteratur

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Es ist eine Tatsache, dass die Presse im Staatssozialismus von der jeweils herrschenden Partei kontrolliert wird. Oft wird behauptet, diese Einschränkungen der Pressefreiheit seien darauf zurückzuführen, dass Lenins Ideen von den sozialistischen Führern fehlinterpretiert worden seien. Der vorliegende Band widerlegt dies. Eine genaue Betrachtung von Lenins Schriften zeigt, dass die strikte Kontrolle der Presse bereits im 1905 ausformulierten Prinzip der «Parteiliteratur» angelegt ist.
Dieses Prinzip sah die strikte Unterordnung der Parteipresse unter die Parteiorganisation vor. Lenin hat es als Wesensmerkmal einer revolutionären proletarischen Partei postuliert und es wurde sowohl bei den Bolschewiki als auch in den Parteien der Kommunistischeh Internationale durchgesetzt. Es war, und ist auch weiterhin, Grundlage der Medienpolitik in den Ländern des Staatssozialismus.
Aus emanzipatorischen Zielen und Bedingungen des Klassenkampfes abgeleitet, erwies sich das Prinzip der «Parteiliteratur» in der Praxis als Mittel, nicht nur die Parteimitglieder dem Willen der Parteiführung zu unterwerfen, sondern auch den Alleinherrschaftsanspruch der Partei in der Gesellschaft zu behaupten.
Das belegen von und unter Lenin geschaffene Tatsachen: Die Zerstörung demokratischer Öffentlichkeit in Russland durch rigorose Unterdrückung Andersdenkender, die bis zum Verbot der gesamten Presse, nicht nur der bürgerlicher Parteien, reichte; die Schaffung eines sowjetischen Pressewesens in der Verfügungsgewalt von Parteileitungen, ohne reale Möglichkeiten und Rechte demokratischer Mitwirkung für Parteimitglieder und Volk; Installation eines bürokratischen Systems zentraler Lenkung öffentlicher Information und Reglementierung journalistischer Arbeit sowie einer das ganze Land umspannenden, jegliche Veröffentlichungen erfassenden Zensur. Damit wurden geistige und organisatorische Strukturen geschaffen, aus denen wenige Jahre später der Stalinismus erwachsen konnte.

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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.deabrufbar.

Hans Poerschke

Das Prinzip der Parteiliteratur .

Partei und Presse bei und unter Lenin 1899 - 1924

Köln: Halem, 2020

HANS POERSCHKE, Prof. Dr., Jahrgang Jahrgang 1937, studierte Journalistik in Leibzig. Er war ab 1970 Dozent für für Wesen und Funktion des sozialistischen Journalismus in Leipzig, bevor er 1983 Professor für Theorie des Journalismus wurde. 1990 wurde er zum (letzten) Direktor der Sektion Journalistik der Universität Leipzig gewählt.

Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören das Verhältnis von sozialistischer Partei und Presse sowie die Geschichte der marxistisch-leninistischen Journalismustheorie an der Leipziger Sektion Journalistik.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme (inkl. Online-Netzwerken) gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

© 2020 by Herbert von Halem Verlag, Köln

ISBN (Print) 978-3-86962-565-2
ISBN (PDF) 978-3-86962-566-9
ISBN (ePub) 978-3-86962-568-3

Den Herbert von Halem Verlag erreichen Sie auch im Internet unter http://www.halem-verlag.de

E-Mail: info@halem-verlag.de

SATZ: Herbert von Halem Verlag

LEKTORAT: Julian Pitten

DRUCK: docupoint GmbH, Magdeburg

UMSCHLAGFOTO: Peter Otsup; © dpa

GESTALTUNG: Bruno Dias, Porto (Portugal)

Copyright Lexicon ©1992 by The Enschedé Font Foundry.

Lexicon® is a Registered Trademark of The Enschedé Font Foundry.

Hans Poerschke

Das Prinzip der Parteiliteratur

Partei und Presse bei und unter Lenin

1899 - 1924

INHALT ABKÜRZUNGEN VERGESST LENIN ABER STUDIERT IHN VORHER UNBEDINGT EIN - фото 1

INHALT

ABKÜRZUNGEN

VERGESST LENIN! ABER STUDIERT IHN VORHER UNBEDINGT. EIN VORWORT

1.EINLEITUNG

2.AUF DEM WEGE ZUR REVOLUTION

2.1Die Stellung der Presse in der Organisation

2.1.1… auf und nach dem II. Parteitag

2.1.2… auf und nach dem III. Parteitag

2.2Zwischenbilanz

2.3Exkurs: Lernen aus deutschen Erfahrungen?

2.4»Rädchen und Schräubchen« im sozialdemokratischen Mechanismus

2.5Zwischenbilanz

2.6Die Presse und die Andersdenkenden

2.7Fazit

3.SOWJETMACHT UND PRESSE

3.1»Auf den Müllhaufen der Geschichte…«

3.2Exkurs: Die Sache Gawriil Mjasnikow

3.3Die Bolschewiki und die Presse der Konkurrenten

3.4Die Freiheit der bolschewistischen Presse

3.4.1Herrschaft der Komitees

3.4.2Unter behördlicher Vormundschaft

3.4.3Die Zensur

4.EIN PRINZIP FÜR ALLE

5.FAZIT

ENDNOTEN

REGISTER

VERGESST LENIN! ABER STUDIERT IHN VORHER UNBEDINGT. EIN VORWORT

»Man kann unterschiedlicher Meinung über ihn sein, aber er gehört zu unserem historischen Erbe«, schrieb einer meiner Doktoranden am 22. April auf Facebook. »Für mich ist er ein Genie der Politik, ein beeindruckender Theoretiker und ein Kind seiner Zeit. Herzlichen Glückwunsch zum 150. Geburtstag!« Elf Likes, immerhin. Ein zweiter Doktorand, ein Influencer mit deutlich mehr Followern, brachte es am gleichen Tag mit sehr viel weniger Text auf 129 Likes: »Alles Gute zum 150. Geburtstag, Lenin!«

Lenin lebt, nicht nur wegen der beiden Ausrufezeichen. Ich sehe sein Bild, wenn ich bei Freunden zu Besuch bin, und ich höre gar nicht nur zwischen den Zeilen, dass Lenins früher Tod die Wurzel allen Übels sein soll, das zunächst der russischen Revolution widerfahren ist und dann auch den Sozialismus-Versuchen, die ihr folgten. Mit Lenin, so lässt sich das zusammenfassen, wäre das alles nicht passiert. Mit Lenin kein Gulag und keine Jagd auf Genossinnen und Genossen. Mit Lenin kein Massenmord an den eigenen Leuten, keine Allmachts- und Bedrohungsfantasien und damit auch kein Bespitzelungsapparat, der die Idee einer Gesellschaft pervertierte, in der alle frei und gleich sein würden. Lasst es uns also noch einmal versuchen, wird daraus geschlussfolgert, diesmal aber ohne Stalin. Lasst uns eine Bewegung gründen, die Lenin beim Wort nimmt, und es wird viel, viel besser werden.

Das Buch von Hans Poerschke zerstört diese Illusion. Poerschke ist im Wortsinn bis zu den Wurzeln vorgedrungen – zu dem Ort, an dem das Lenin’sche Prinzip der Parteiliteratur entstanden ist, ein Prinzip, das später in allen kommunistischen Parteien auf den Umgang mit der Presse übertragen wurde und auch die Medienpolitik der SED bis 1989 prägte. Hans Poerschke geht davon aus, dass man Lenins Vorstellungen von Journalismus, Medien und Öffentlichkeit nur verstehen kann, wenn man sein Parteikonzept kennt, und hat deshalb die entsprechenden Dokumente aus der Frühgeschichte der russischen Sozialdemokratie im Original studiert. Die Protokolle des II. Parteitages von 1903 und des III. Parteitages von 1905, Briefe und Erklärungen der führenden Genossen, Iskra -Artikel. Poerschke findet hier nichts anderes als bei seinem zweiten Analyseschritt, der in die Revolutionszeit führt – zum Pressegesetz, das die provisorische Regierung im April 1917 erlassen hat, zum Umgang mit den Organen der Konkurrenz in den Monaten des Umbruchs und zur ›Sache Gawriil Mjasnikow‹ von der ich hier nicht zu viel vorwegnehmen mag, weil ich den Apologeten Lenins nicht den Schmerz ersparen möchte, der sich bei der Lektüre unweigerlich einstellt.

Hans Poerschke zeigt: Pressefreiheit und Meinungsstreit waren bei Lenin nie vorgesehen, nicht einmal in der eigenen Partei. Es war nicht geplant, die Kontrolle der Medien aufzugeben oder sie mit den Werktätigen zu teilen. Eine Gesellschaft, die sich auf Lenin beruft, wird von einer kleinen Clique allmächtiger und allwissender Funktionäre geleitet, die daran glauben, das Volk erziehen und auf den ›richtigen‹ Weg bringen zu können. Mehr noch: In Lenins Revolutionskonzept gibt es keinen Platz für eine Öffentlichkeit, die erlauben würde, alle Themen und alle Perspektiven vor dem Horizont aller zu diskutieren. Das ist keineswegs eine temporäre Erscheinung, die man mit dem Druck oder der Überlegenheit des Gegners erklären könnte und die verschwinden würde, wenn die eigene Sache erst einmal gewonnen hat. Nein. Der Verzicht auf Öffentlichkeit gehört zum Prinzip der Parteiliteratur. Auch das wichtigste Gegenargument zerfällt unter dem Druck des Materials, das Hans Poerschke ausbreitet. Ja, die sowjetischen Revolutionäre waren von Feinden umzingelt, innen wie außen. Und nochmal ja: Wenn einem der Feind das Messer an die Kehle hält, ist keine Zeit für Diskussionen. Lieber die Macht erhalten und dafür auf Pressefreiheit verzichten, als allen Raum geben und dabei die Macht verspielen. Wer dieses Buch liest, der lernt: Dieser Existenzkampf war kein Zufall. Lenin und die Bolschewiki wollten es genau so. Und einen Plan B, der die bürgerlichen Freiheiten einschließt, vielleicht irgendwann nach dem großen Sieg, gab es nicht einmal für die süßeste aller Utopien.

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