»Eines Tages aber, dieweil er allein war, nahte ihm der Versucher. Denn ein schwarzer kleiner Vogel, der gemeiniglich Krähe geheißen ist, begann um sein Haupt zu flattern und setzte ihm so unablässig zu, dass ihn der heilige Mann mit der Hand hätte ergreifen mögen, so er ihn fangen gewollt.
Er aber schlug das Zeichen des Kreuzes, da wich der Vogel.
Wie aber derselbe Vogel verschwunden war, folgte eine so große Versuchung des Fleisches, wie sie der heilige Mann noch niemals erprobte. Denn vor langer Zeit hatte er eine gewisse Frau erschauet. Diese stellte ihm der böse Feind jetzt vor die Augen des Geistes und entzündete das Herz des Knechtes Gottes durch jene Gestalt mit solchem Feuer, dass eine verzehrende Liebe in ihm zu glühen begann und er, von Lust und Sehnsucht bewältigt, seinen Einsiedelstand jäh zu verlassen gedachte.
Da warf plötzlich des Himmels Gnade einen Schein auf ihn, dass er zu sich selber rückkehrte. Und er sah ihm zur Seite ein dichtes Gebüsch von Brennesseln und Dornern stehen, zog sein Gewand aus und warf sich nackt in die Stacheln des Gedorns und den Brand der Nesseln, bis dass er am ganzen Körper verwundet von dannen ging.
Also löschete er des Geistes Wunde durch die Wunden der Haut und siegte ob der Sünde...«
Frau Hadwig war von dieser Vorlesung nicht erbaut; sie ließ ihre Augen gelangweilt im Saal die Runde machen. Der Kämmerer Spazzo – deuchte auch ihm die Wahl des Kapitels unpassend, oder war ihm der Valtelliner zu Häupten gestiegen? schlug unversehens dem Vorleser das Buch zu, dass der holzbeschlagene Deckel klappte, hob ihm seinen Pokal entgegen und sprach: Soll leben der heilige Benedikt! und wie ihn Ekkehard vorwurfsvoll ansah, stimmte schon die jüngere Mannschaft der Klosterbrüder lärmend ein, sie hielten den Trinkspruch für ernst; da und dort war das Loblied auf den heiligen Mann intoniert, diesmal als fröhlicher Zechgesang, und lauter Jubel klang durch den Saal.
Dieweil aber Abt Cralo bedenklich umschaute und Herr Spazzo immer noch beschäftigt war, mit den jungen Klerikern auf das Wohl ihres Schutzpatrons zu trinken, neigte sich Frau Hadwig zu Ekkehard und frug ihn mit nicht allzulauter Stimme:
Würdet Ihr mich das Lateinische lehren, junger Verehrer des Altertums, wenn ich's lernen wollte?
Da klang es in Ekkehards Herz wie ein Widerhall des Gelesenen: »Wirf dich in die Nesseln und Dornen und sag Nein!« er aber sprach:
Befehlet, ich gehorche!
Die Herzogin schaute den jungen Mönch noch einmal mit einem sonderbar flüchtigen Blicke an, wandte sich dann zum Abt und sprach über gleichgültige Dinge.
Die Klosterbrüder zeigten noch kein Verlangen, des Tages günstige Gelegenheit unbenutzt verstreichen zu lassen. In des Abts Augen mochte ein gnädig milder Schein leuchten, und der Kellermeister schob auch keinen Riegel für, wenn sie mit leeren Krügen die Stufen hinab stiegen. Am vierten Tisch begann der alte Tutilo gemütlich zu werden und erzählte seine unvermeidliche Geschichte mit den zwei Räubern; immer lauter klang seine starke Stimme durch den Saal: Der eine also zur Flucht sich gewendet – ich ihm nach mit meinem Eichpfahl – er Spieß und Schild weg zu Boden, – ich ihn am Hals gefasst – den weggeworfenen Spieß in seine Faust gedrückt; du Schlingel von einem Räuber, zu was bist auf der Welt? Fechten sollst mit mir!...
Aber sie hatten's schon allzu oft hören müssen, wie er dann dem Kampfgenötigten den Schädel eingeschlagen, und zupften und nötigten an ihm, sie wollten ein schönes Lied anstimmen; wie er endlich mit dem Haupte nickte, stürmten etliche hinaus: bald kamen sie wieder mit Instrumenten. Der brachte eine Laute, jener ein Geiglein, worauf nur eine Saite gespannt, ein anderer eine Art Hackbrett mit eingeschlagenen Metallstiften, zu deren Anschlag ein Stimmschlüssel dienlich war, wiederum ein anderer eine kleine zehnsaitige Harfe, Psalter hießen sie das seltsam geformte Instrument und sahen in seiner dreieckigen Gestalt ein Symbol der Dreieinigkeit. Und sie reichten ihm seinen dunkeln Taktstab von Ebenholz. Da erhob sich lächelnd der graue Künstler und gab ihnen das Zeichen zu einer Musica, die er selbst in jungen Tagen aufgesetzet; mit Freudigkeit hörten's die andern. Nur Gerold, dem Schaffner, ward's mit dem Aufklingen der Melodien melancholisch zu Gemüte, er überzählte die abgetragenen Schüsseln und die geleerten Steinkrüge, und wie ein Text zur Singweise flog's ihm durch den Sinn: Wie viel hat dieser Tag verschlungen an Klostergeld und Gut? Leise schlug er mit sandalenbeschwertem Fuße den Takt, bis der letzte Ton verklang.
Zu unterst am Tische saß ein stiller Gast mit blass gelbem Angesicht und schwarzkrausem Gelock; er war aus Welschland und hatte von des Klosters Gütern im Lombardischen die Saumtiere mit Kastanien und Öl herübergeleitet. In wehmütigem Schweigen ließ er die Flut der Töne über sich erbrausen.
Nun, Meister Johannes, sprach Folkard, der Maler, zu ihm, ist die welsche Feinfühligkeit jetzt zufrieden gestellt? Den Kaiser Julianus mutete einst unserer Vorväter Gesang an wie das Geschrei wilder Vögel, aber seitdem haben wir's gelernt. Klingt's Euch nicht lieblicher als Besang der Schwanen?
Lieblicher – als der Gesang der Schwanen – – wiederholte der Fremde wie im Traum. Dann erhob er sich und schlich leise von dannen. Es hat's keiner im Kloster zu lesen bekommen, was er in jener Nacht noch ins Tagebuch seiner Reise eintrug:
Diese Männer diesseits der Alpen, schrieb er, wenn sie auch den Donner ihrer Stimmen hoch gegen Himmel erdröhnen lassen, können sich doch nimmer zur Süße einer gehobenen Modulation erschwingen. Wahrhaft barbarisch ist die Rauheit solch abgetrunkener Kehlen; wenn sie durch Beugung und Wiederaufrichtung des Tons einen sanften Gesang zu ermöglichen suchen, schauert die Natur und es klingt wie das Fahren eines Wagens, der in Winterszeit über gefrorenes Pflaster dahin knarrt... Herr Spazzo gedachte, was löblich begonnen, auch löblich zu enden, er schlich sich fort über den Hof in das Gebäude, wo Praxedis und die Dienerinnen waren, und sprach: Ihr sollet zur Herzogin kommen, und zwar gleich – sie lachten erst ob seiner Kutte, folgten ihm aber zum Saal, und war keiner, der sie von der Schwelle zurückhielt. Und wie die Mägdlein an des Refektoriums Eingang sichtbar wurden, entstand ein Gemurmel und ein Kopfwenden im Saal, als sollte jetzt ein Tanzen und Springen anheben, wie es diese Wände noch nicht gesehen haben.
Herr Cralo, der Abt, aber wandte sich an die Herzogin und sprach: Frau Base?! – und sprach's mit so duldender Wehmut, dass sie aus ihren Gedanken auffuhr. Und sie sah auf einmal ihren Kämmerer und sich selber in der Mönchskutte mit andern Augen an denn zuvor, und schaute die Reihen trinkender Männer, dem entferntesten verdeckte der Kapuze vorstehender Rand das Antlitz, dass es aussah, als werde der Wein in leeren Gewandes Abgrund geschüttet, und die Musik klang ihr gellend in die Ohren, als würde hier ein Mummenschanz gefeiert, der schon allzulang gedauert...
Da sprach sie: Es ist Zeit schlafen zu gehen und ging mit ihrem Gefolge nach dem Schulhaus hinüber, wo ihr Nachtlager sein sollte.
Wisst Ihr auch, was des Tanzens Lohn gewesen wär'? fragte Sindolt einen der Mönche, der ob dieser Wendung der Dinge höchlich betrübt schien. Der schaute ihn starr an. Da machte ihm Sindolt eine unverkennbare Gebärde, die hieß »Geißelung«!
Fünftes Kapitel: Ekkehards Auszug
Früh morgens darauf saß die Herzogin samt ihren Leuten im Sattel, heimzureiten, und der Abt hatte keine Einwendung erhoben, da sie sich jegliche Abschiedsfeierlichkeit verbat. Darum lag das Kloster in stiller Ruhe, als drüben schon die Rosse wieherten, nur Herr Cralo kam pflichtschuldig herüber. Er wusste, was die Sitte gebot.
Zwei Brüder begleiteten ihn.
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