Die Münze kennen wir nicht!
Was wollt ihr denn für ein Lösegeld? fragte die Herzogin. Sie war der Ungeduld nahe.
Der Bischof Salomo von Konstanz war auch unser Gefangener, sprach der Schüler, der hat uns drei weitere Vakanztage erwirkt im Jahre und eine Rekreation an Fleisch und Brot, und hat's in seinem Testament gebrieft und angewiesen. O nimmersatte Jugend! sprach Frau Hadwig, so muss ich's zum mindesten dem Bischof gleichtun. Habt ihr schon Felchen aus dem Bodensee verspeist?
Nein! riefen die Jungen.
So sollt ihr jährlich sechs Felchen zum Angedenken an mich erhalten. Der Fisch ist gut für junge Schnäbel.
Gebt Ihr's mit Brief und Siegel?
Wenn's sein muss!
Langes Leben der Frau Herzogin in Schwaben! Heil ihr! rief's von allen Seiten, Heil, sie ist frei! Die Schulbänke wurden in Ordnung gestellt, der Ausgang gelichtet, springend und jubelnd geleiteten sie die Gefangene zurück. Im Hintergrund flogen die Pergamentblätter der Logica als Freudenzeichen in die Höhe, selbst Notker Labeos Mundwinkel neigten sich zu einem gröblichen Lachen, und Frau Hadwig sprach: Sie waren recht huldvoll, die jungen Herren; wollt ihr die Rute wieder in den Verschlag tun, Herr Professor!
An ein Weitererklären des Aristoteles war heut nicht mehr zu denken. Ob die Ausgelassenheit der Schüler nicht in nahem Zusammenhang mit ihrem Studium der Logik stand? Der Ernst ist oftmals ein gar zu dürrer blattloser hohler Stamm, sonst hätt' die Torheit nicht Raum, ihn üppig grün zu umranken...
Wie die Herzogin mit dem Abt den Hörsaal verlassen, sprach dieser: Es erübrigt noch, Euch des Klosters Bücherei zu zeigen, die Arzneikammer lernbegieriger Seelen, das Zeughaus für die Waffen des Wissens. Aber Frau Hadwig war ermüdet, sie dankte. Ich muss mein Wort halten, sprach sie, und die Schenkung an Eure Schulknaben urkundlich machen. Wollt ihr die Handfeste aufsetzen lassen, dass wir sie mit Unterschrift und Siegel versehen.
Herr Cralo führte seinen Gast nach seinen Gemächern. Den Kreuzgang entlang wandelnd, kamen sie an einem Gelass vorüber, deß Türe war offen. An kahler Wand stand eine niedere Säule, von der in halber Mannshöhe eine Kette niederhing. Über dem Portal war in verblaßten Farben eine Gestalt gemalt, sie hielt in magern Fingern eine Rute. Wen der Herr lieb hat, züchtigt er; er stäupet einen jeglichen, den er zum Sohne annimmt (Hebr. XII. 6), war in großen Buchstaben darunter geschrieben.
Frau Hadwig warf dem Abt einen fragenden Blick zu.
Die Geißelkammer! sprach er.
Ist keiner der Brüder zur Zeit einer Strafe verfallen, fragte sie, es möcht' ein lehrreich Beispiel sein...
Da zuckte der böse Sindolt mit dem rechten Fuß, als wär' er in einen Dorn getreten, rückte sein Ohr rückwärts, wie wenn von dort eine Stimme ihm riefe, sprach: Ich komme sogleich, und enteilte ins Dunkel des Ganges.
Er wusste warum.
Notker, der Stammler, hatte nach jähriger Arbeit die Abschreibung eines Psalterbuchs vollendet und es mit zierlich feinen Federzeichnungen geziert; das hatte der neidische Sindolt nächtlicherweile zerschnitten und die Weinkanne darüber geschüttet. Drob war er zu dreimaliger Geißelstrafe verdammt, der letzten Vollzug stand noch aus: er kannte das Örtlein und die Bußwerkzeuge, die ihrem Rang nach an der Wand hingen, vom neunfältigen »Skorpion« herab bis zur einfachen »Wespe«.
Der Abt drängte, dass sie vorüber kamen. Seine Prunkgemächer waren mit Blumen geschmückt. Frau Hadwig warf sich in den einfachen Lehnstuhl, auszuruhen vom Wechsel des Erschauten. Sie hatte in wenig Stunden viel erlebt. Es war noch eine halbe Stunde zum Abendimbiss.
Wer zu dieser Frist einen Rundgang durch des Klosters Zellen gemacht, der hätte sich überzeugen mögen, wie kein einziger Bewohner des Stiftes unberührt vom Eindruck des vornehmen Besuches geblieben. Auch die weltabgeschiedensten Gemüter fühlten, dass einer Frau Huldigung gebührt.
Dem grauen Tutilo war's beim Empfang schwer aufs Herz gefallen, dass der linke Ärmel seiner Kutte mit einem Loch geschmückt war; sonst wär's wohl bis zum nächsten hohen Festtag ungeflickt geblieben, aber jetzt galt kein Verzug; mit Nadel und Zwirn bewaffnet saß er auf dem Schragen und besserte den Schaden aus.
Und weil er gerade im Zug war, legte er auch seinen Sandalen eine neue Sohle an und befestigte sie mit Nägeln. Er summte eine Melodie, dass die Arbeit besser gedieh.
Radolt, das Denkmännlein, ging mit gerunzelter Stirn auf seiner Zelle auf und nieder, vermeinend, es werde sich eine Gelegenheit ergeben, in frei ersonnener Rede des hohen Gastes Ruhm zu preisen. Den Eindruck unmittelbaren Ergusses zu erhöhen, studierte er sie vorher. Er wollte des Tacitus Spruch von den Germanen zu Grund legen: »Sie glauben auch, dass den Frauen etwas Heiliges und Zukunftvoraussehendes inwohne, darum verschmähen sie niemals ihren Rat und fügen sich ihren Bescheiden.« Es war dies fast das Einzige, was er aus Hörensagen von den Frauen wusste, aber er zwinkte mit den Eichhörnleinsaugen und war sicher, von dort unter etlichen bissigen Ausfällen auf seine Mitbrüder einen Übergang zum Lob der Herzogin zu finden. Leider blieb die Gelegenheit zur Anbringung einer Rede aus, weil er sie nicht zu finden verstand.
In anderer Zelle saßen der Brüder sechs unter dem riesigen Elfenbeinkamm, der an eiserner Kette von der Decke herabhing, – Abt Hartmuths nützliche Stiftung – die vorgeschriebenen Gebete murmelnd erwies einer dem andern den Dienst sorglicher Glättung des Haupthaares. Ward auch manch überwachsene Tonsur in jener Zeit zu strahlendem Glanze erneut.
In der Küche aber ward unter Gerold, des Schaffners, Leitung eine Tätigkeit entwickelt, die nichts zu wünschen übrig ließ.
Jetzo läutete das Glöcklein, dessen Ton auch von den frömmsten Brüdern noch keiner unwillig gehört: der Ruf zur Abendmahlzeit. Abt Cralo geleitete die Herzogin ins Refektorium. Sieben Säulen teilten den luftigen Saal hälftig ab, an vierzehn Tischen standen, wie Heerscharen der streitenden Kirche, des Klosters Mitglieder, Priester und Diakonen; sie erwiesen dem hohen Gast keine sonderliche Aufmerksamkeit.
Das Amt des Vorlesers vor der Imbissstunde in dieser Woche lag bei Ekkehard, dem Pörtner. Der Herzogin zu Ehren hatte er den vierundvierzigsten Psalm erkoren, er trat auf und sprach einleitend: »Herr öffne meine Lippen, auf dass mein Mund dein Lob verkünde,« und alle sprachen's ihm murmelnd nach, als Segen zu seiner Lesung.
Nun erhub er seine Stimme und begann den Psalm, den die Schrift selber einen lieblichen Gesang nennt:
Es quillet mein Herz eine schöne Rede, ich will reden mein Gedicht dem Könige, meine Zunge sei der Griffel des Geschwindschreibers.
Der Schönste bist du von den Söhnen des Menschen. Anmut ist gegossen über deine Lippen, denn Gott hat dich gesegnet ewig.
Gürte um die Hüfte dein Schwert, du Held, deinen Ruhm und deinen Schmuck. Und geschmückt zeuch aus, ein Hort der Wahrheit, Milde und des Rechts.
Ja, Wunder wird zeigen deine Rechte! Deine Pfeile seien geschärft, Völker sollen unter dir stürzen, die im Herzen Feinde des Königs sind.
Dein Thron vor Gott steht immer und ewig, ein gerechter Zepter ist der Zepter deines Reichs.
Du liebest das Recht und hassest das Unrecht, drum hat dich Gott, dein Gott, gesalbt mit dem Öl der Freude, mehr denn alle Genossen; Myrrhen, Aloe und Cassia duften all deine Kleider, aus elfenbeinernen Palästen erfreuen Saiten dich...«
Die Herzogin schien die Huldigung zu verstehen; als wenn sie selber mit den Worten des Psalms angeredet wäre, hefteten sich ihre Augen auf Ekkehard. Aber auch dem Abt war's nicht entgangen, da gab er ein Zeichen abzubrechen, und der Psalm blieb unbeendet, als sich zu Tisch setzte.
Das aber konnte Herr Cralo nicht hindern, dass Frau Hadwig dem emsigen Vorleser befahl, an ihrer Seite Platz zu nehmen; es war zwar der Rangstufung folgend der Sitz zu ihrer Linken dem alten Dekan Gozbert zugedacht, aber dem war's schon lang zu Mute, als käm' er auf glühende Kohlen zu sitzen, denn er hatte mit Frau Hadwigs seligem Gemahl dereinst einen gröblichen Wortwechsel gepflogen, wie der dem Klosterschatz das unfreiwillige Kriegsanlehen auflegte, und war von damals auch der Herzogin giftig gestimmt, – kaum merkte er die Absicht, so rückte er sich vergnüglich seitwärts und schob den Pörtner auf den Dekanssitz. Neben Ekkehard kam der Herzogin Kämmerer Spazzo zu sitzen, dem zur Seite der Mönch Sindolt.
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