Die Spanier schlugen Schweden mit 2:1 und Italien mit 2:0. Im Spiel um Silber warteten die Niederlande. Spanien gewann das Entscheidungsmatch mit 3:1, und Félix Sesúmaga gelang ein Doppelpack. Als Held jedoch kam ein anderer Baske zurück. In der Partie gegen die Schweden hatte Spanien zur Pause mit 0:1 hintengelegen. In der 51. Minute glückte den Iberern der Ausgleichstreffer durch José María Belauste, eine vom Kampf gezeichnete Persönlichkeit. Seine Nase war durch regelmäßige Schläge plattgedrückt, und die geschwollenen Ohren wurden nach hinten gebogen vom zusammengeknoteten Taschentuch, unter dem Belauste seinen beginnenden Haarausfall verbarg. Zwei Minuten später gelang Domingo Acedo das Siegtor. Trotzdem blieb es Belaustes Tor – das Tor, mit dem der Aufschwung eingeleitet wurde –, das die baskische Spielweise gewissermaßen repräsentierte. „Als das Spiel nach der Halbzeitpause wieder begann“, schrieb Manolo de Castro unter dem Pseudonym Handicap, „schien Spanien geschlossen einem Schlachtruf zu folgen und stürmte so heftig drauflos, dass es innerhalb von zwei Minuten einen Freistoß direkt an der Strafraumgrenze zugesprochen bekam.“ Belauste warf sich einem Lupfer in die Mitte hinterher und riss diverse Schweden mit sich, als er den Ball über die Linie bugsierte. In den Worten Handicaps war es „ein wahrlich herkulisches Tor“. Tags darauf verglich eine niederländische Zeitung Spaniens Fußball mit der grausamen Strategie, mit der spanische Truppen 1576 Antwerpen in Schutt und Asche gelegt hatten. Sie prägte dabei den Begriff La Furia , den die Spanier nur zu gerne übernahmen.
Das Tor wurde zur Geburtsstunde von La Furia hochstilisiert und maßlos aufgebauscht. Torwartlegende Ricardo Zamora verstieg sich später zu der Behauptung, dass Belauste den Ball auf der Brust ins Tor geschleppt habe, während sich vier Schweden in sein Trikot gekrallt hätten. Bald waren die Spanier der festen Überzeugung, dass ihr Fußball, La Furia, die einzig wahre Art zu spielen sei. Burns charakterisiert La Furia als „eine besonders kraftvolle und aggressive Spielweise, die gleichzeitig noch erfolgreich war. Zwar beanspruchten auf Vereinsebene die Basken eigentlich bereits eine Art Markenschutz für diesen Stil, dennoch wurde nun auch die Nationalmannschaft damit in Verbindung gebracht.“
Kaum war La Furia allgemein akzeptiert, wurden allerdings auch schon die Grenzen dieser Spielweise offenbar. Im Juni 1921 brach eine baskische Mannschaft mit einer Reihe spanischer Nationalspieler, einschließlich Belauste, zu einer Südamerikareise auf. Zunächst ging es nach Argentinien, wo man eine 0:4-Schlappe gegen eine Stadtauswahl aus Buenos Aires hinnehmen musste. Trotz ihres läuferischen Einsatzes waren die Basken nicht in der Lage, ihrem Gegner, der einen präzisen, flüssigen und technisch guten Fußball zeigte, den Ball streitig zu machen. Weiter ging es nach Rosario, Montevideo und São Paulo, wo die Basken überall Schwierigkeiten mit technisch beschlagenen Gegnern bekamen. Die acht Spiele der Reise endeten mit zwei Siegen, einem Unentschieden und fünf Niederlagen.
Auch in Bilbao gab es Veränderungen. Barnes blieb zwar nur eine Saison, gewann aber in dieser Zeit noch einmal die Copa del Rey. Athletic suchte nun in England per Anzeigen in der Daily Mail und Sporting Life einen Nachfolger und entschied sich unter mehreren Hundert Bewerbern für einen gewissen Mr. Burton. Allerdings versagte nach nur zwei Monaten Tätigkeit dessen Lunge, die im Krieg durch Giftgas geschwächt worden war. Zwischenzeitlich leitete ein Stab aus dem Kapitän und zwei weiteren Spielern die Mannschaft, dann wurde Athletic durch Fred Pentland gerettet. Er sollte der am meisten verehrte aller britischen Trainer werden, die in der Zwischenkriegszeit in Spanien arbeiteten.
Pentland war der Sohn des Lord Mayor von Birmingham und hatte als Rechtsaußen in Blackburn, bei Queens Park Rangers und in Middlesbrough gespielt. Hinzu kamen fünf Einsätze für England. 1913 beendete Pentland seine Karriere als Spieler und ging nach Berlin, wo er Trainer der deutschen Olympiamannschaft wurde – nachdem Jimmy Hogan die Stelle ausgeschlagen hatte, um bei den Österreichern zu arbeiten. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde Pentland im Gefangenenlager für Zivilisten in Ruhleben interniert, einer Trabrennbahn etwa zehn Kilometer westlich des damaligen Berlin. Anfangs waren die Bedingungen grauenhaft. Die Gefangenen mussten in von Läusen befallenen Pferdeboxen auf Stroh schlafen, hatten lediglich ein einziges Wasserrohr zum Waschen und trugen Holzpantoffeln und Mäntel, die ihnen großzügigerweise von Einheimischen gespendet worden waren. Die Tagesration bestand aus einer Kelle wässerigem Haferbrei und einem Stück Blutwurst.
Bald jedoch gestanden die deutschen Dienststellen den Internierten eine gewisse Autonomie zu. Eine komplett neue Lebensgemeinschaft wuchs heran, einschließlich Postdienst, Polizeikräften, Warenlager und Bücherei. Auf einem Plan des Lagers sind Tennisplätze, ein YMCA, ein Kasino, ein Postamt, ein Teehaus, Bürobaracken, Waschbaracken und zwei große Fußballplätze zu sehen. Es war, wie Barney Ronay es in Ausgabe drei des Fußballmagazins The Blizzard ausdrückte, „eine Hommage an die beherzte britische Art, sich selbst zu organisieren. Gleichzeitig kam darin die kreative kulturelle Mischung zum Ausdruck, die eine Folge des Empire ist, die angesichts seines zweifelhaften Vermächtnisses häufig gar nicht wahrgenommen wird.“
Die Einwohnerschaft war ausschließlich männlich, ansonsten aber von erstaunlicher Vielfalt. „Vom Herrenhaus bis zum Armenviertel: Es gab kaum eine Spezies oder Profession, die nicht vertreten gewesen wäre“, schrieb ein Internierter in einem kurz nach Kriegsende gedruckten Pamphlet. „Alle Mann waren in einem kleinen Stallhof zusammengepfercht – Betriebsleiter und Seeleute, Konzertmusiker und Fabrikarbeiter, Universitätsprofessoren und Jockeys. … Wir waren wahrlich eine bunt gemischte Truppe. Ich bin gemeinsam mit dem Earl of Perth (Spitzname: ‚Pearl of the earth‘), einem Farbigen und einem Feuerwehrmann zur Küche marschiert.“
Das Lager war voller großer Persönlichkeiten und Exzentriker. Da waren F. Charles Adler, ein Dirigent von Weltruf und Schüler Gustav Mahlers, ferner Sir James Chadwick, Physiker und Nobelpreisträger, der als Erster die Idee einer Atombombe entwickelte, und Prince Monolulu, Tipster für Pferderennen und der wohl bekannteste dunkelhäutige Promi im damaligen Großbritannien. Ebenfalls interniert waren „Bertie“ Smylie, der dem Alkohol verfallene und gewöhnlich Sombrero tragende Herausgeber der Irish Times , und schließlich Geoffrey Pyke, der den Flugzeugträger aus Eis erfunden und diesen einst in seinem Badezimmer Winston Churchill vorgeführt hatte.
Außerdem gab es neben Pentland eine bemerkenswerte Zahl weiterer Fußballspieler, aktive wie ehemalige. Dazu zählten Steve Bloomer, Pentlands ehemaliger Mitspieler bei Middlesbrough, der in seinen 23 Partien für England 28-mal getroffen hatte und im Juli 1914 zum Trainer von Britannia 92 Berlin ernannt worden war; Verteidiger Sam Wolstenholme, ehemaliger Mitspieler Pentlands bei den Blackburn Rovers und seit Frühjahr 1914 Cheftrainer der Auswahl des Norddeutschen Fußball-Verbands; Fred Spiksley, ehemaliger Linksaußen von Sheffield Wednesday, der als Trainer noch die Landesmeisterschaften in Schweden und Deutschland (1927 mit dem 1. FC Nürnberg) gewinnen sollte, nachdem ihm das 1911 bereits in Mexiko gelungen war; John Cameron, Trainer beim Dresdner SC und vormaliger schottischer Nationalspieler und Spielertrainer von Tottenham Hotspur; John Brearley, der unter Cameron bei den Spurs gespielt und den Trainerposten bei Viktoria 89 Berlin übernommen hatte; und schließlich der deutsche Nationalspieler Edwin Dutton, dessen Eltern von South Shields in Nordengland nach Deutschland ausgewandert waren.
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