Der Wind wehte aus Nordosten von Frankreich her, die „Good Luck“ segelte momentan mit halbem Wind über Backbordbug seewärts, während die Galeone nahezu platt vor dem Wind lag und dementsprechende Fahrt lief.
Unter den Umständen Höhe zu gewinnen, war so gut wie unmöglich. Unsere einzige Chance bestand darin, zunächst die Distanz zu halten und später die guten Segeleigenschaften der Karavelle auszunutzen. Während der Nacht hatten wir bestimmt eine Chance, unbemerkt zu entwischen, doch bis dahin vergingen noch Stunden.
Also zeigten wir der Galeone unser Heck und gingen auf neuen Kurs Südwesten zum Westen.
Die Verfolger, die immer noch nicht daran dachten, Flagge zu zeigen, schwenkten in unser Kielwasser ein und segelten nur wenig nach Steuerbord versetzt. Damit war endgültig klar, daß sie uns gnadenlos jagen würden.
„Die Herausforderung nehmen wir an“, sagte Cynthias Vater. „Wir haben die bessere Crew, und das ist entscheidend.“
Die „Good Luck“ war zwar nur eine kleine Karavelle mit entsprechend wenig Segelfläche, aber ihre schlanke Rumpfform und der geringe Tiefgang ließen bei gutem Wind Geschwindigkeiten bis zu knapp sieben Knoten zu. Bewaffnet war sie vor allem mit Drehbassen und leichten Geschützen wie Sacers und Demi-Culverinen.
Die Galeone war gedrungener gebaut, verfügte über deutlich mehr Segelfläche und eine mindestens zehn Mann größere Mannschaft, aber an Schnelligkeit war sie uns bestimmt nicht überlegen. Wir durften sie nur nicht bis auf Schußweite heranlassen, denn die beiden Reihen Stückpforten, die während unseres Manövers kurz zu erkennen gewesen waren, redeten eine unmißverständliche Sprache. Das Schiff verfügte über mindestens zwölf schwere Geschütze auf jeder Seite.
„Ruder zwei Strich Steuerbord!“ Der Kapitän war die Ruhe in Person, er stand nahezu unbewegt auf dem Achterdeck und beobachtete durchs Spektiv. An seiner Stelle hätte ich wahrscheinlich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um rasch vor den Verfolgern zu fliehen.
„Zwei Strich Steuerbord, aye, aye“, bestätigte der Rudergänger.
Die Segel standen prall. Insgeheim sehnte wohl jeder an Bord ein Abflauen des Windes herbei, weil die „Good Luck“ erst dann ihre Stärke ausspielen konnte, doch Petrus hatte vorerst kein Einsehen. Der Wind sprang lediglich während der nächsten halben Stunde auf Ost um.
Der Kapitän ließ auf Westnordwest gehen. Während des Anluvens fiel die Galeone bis auf mehr als eine Seemeile zurück, nachdem sie zuvor stetig aufgeschlossen hatte. Aber immer noch hatten die Verfolger genügend Höhe, daß sie jedes weitere Anluven rechtzeitig unterbinden konnten. Unsere beste Chance wäre es gewesen, so hoch wie möglich an den Wind zu gehen und die Galeone auf einen Kreuzkurs zu zwingen, der sie unweigerlich zurückfallen ließ.
„Betet, daß der Wind sehr alt und bald von Norden einfällt“, sagte der Bootsmann.
Ich faßte mir ein Herz und sprach ihn an, ohne dazu aufgefordert worden zu sein: „Sir, haben wir viel Pulver an Bord?“
Er blickte mich fragend an. „Ein Gefecht können wir durchstehen, falls du das meinst.“
„Dann bitte ich, Sir, mir einige Fässer zu überlassen.“
„Wir haben im Moment die dreifache Kernschußweite. Jedes Pulver wäre sinnlos vergeudet.“
„Ich will keineswegs vorschlagen, auf die Galeone zu feuern.“
Mit einer deutlichen Geste gab mir der Bootsmann zu verstehen, daß er nichts mehr hören wollte und verschwand achtern.
Eben noch war ich felsenfest davon überzeugt gewesen, sozusagen den Stein der Weisen gefunden zu haben, jetzt zweifelte ich schon daran. Vielleicht hätte mein Vorschlag, die Galeone auf einfache Weise aufzuhalten, doch nur dazu geführt, daß ich von jedermann ausgelacht wurde. Immerhin mußte ich mich fragen, warum nicht schon andere vor mir die gleiche Idee gehabt hatten.
„Was ist los, Clint? Du siehst aus, als hätte dir jemand das letzte Stück Zwieback abgenommen.“
Weil ich die Galeone fixierte, hatte ich Cynthia nicht bemerkt, die mit schnellen Schritten neben mich trat.
„Ich habe keine Angst“, sagte sie nach einer Weile gemeinsamen Schweigens. „Die Spanier segeln nicht besser als wir auch.“
Sie war überzeugt, daß wir es mit Spaniern zu tun hatten, und mit Piraten allemal, denen ein einzelnes englisches Schiff eine höchst willkommene Beute war.
„Ich weiß, wie wir sie uns vom Hals halten können“, sagte ich, obwohl ich keine zweite Abfuhr erhalten wollte.
„Hast du darüber mit dem Bootsmann geredet?“ fragte sie.
Ich nickte nur.
„Dann heraus damit! Ich kann’s Vater sagen und der dem Kapitän …“
War ich nur ein kleiner Junge mit dummen Gedanken oder wirklich schon ein angehender Seemann? Obwohl ich nichts lieber getan hätte, als meinen Vorschlag in die Tat umsetzen, ließ ich mich von dem Mädchen betteln. Ich genoß ihre sanfte Berührung.
Cynthia zeigte sich von meinem Vorschlag überrascht.
„Warum eigentlich nicht?“ fragte sie, und so ähnlich äußerte sich auch der Kapitän, als sie ihn informierte.
Obwohl er meiner Idee nur geringe Erfolgsaussichten beimaß, sagte er, daß ihm Leute mit eigenen Gedanken lieber seien als alle, die stur Befehle befolgten. Da ich in der momentanen Situation ohnehin nirgendwo helfen konnte, sollte ich mich selbst um die Ausführung kümmern.
Mit Cynthias Hilfe beschaffte ich mir Zimmermannswerkzeug und genügend Planken, die ich zu kleinen Plattformen zusammennagelte. Sie mußten stabil genug sein, um nicht zu kentern und jeweils ein Pulverfäßchen tragen können.
Die Decksleute bedachten mich mit verwunderten, teils spöttischen Blicken, einige hielten mit entsprechenden Bemerkungen nicht hinter dem Berg. Die Probleme entdeckte ich dann allerdings selbst.
Mir waren drei Pulverfäßchen zugestanden worden, mehr nicht. Wenn ich drei Plattformen mit jeweils fünfzehn Yards langen, dünnen Tauen aneinanderband, war die Gesamtlänge noch zu gering und das Pulver würde wahrscheinlich an der Galeone vorbeitreiben. Dabei schwebte mir vor, daß sich eins der Taue am Bug des Schiffes verfing und die Pulverfäßchen infolgedessen an den Rumpf gezogen wurden, wo sie dann detonierten.
Die zweite Schwierigkeit war, das Pulver zur Explosion zu bringen. Das konnte nur mit einer brennenden Lunte geschehen, die aber so bemessen sein mußte, daß die Ladung nicht schon weit vor dem Ziel hochging. Eine lange Lunte war wiederum anfällig gegen Spritzwasser.
Ich gab mir wohl vergeblich Mühe, aber den Dickschädel hatte ich von Vater geerbt, und so stand ich eine Stunde später stolz vor dem Ergebnis meiner Bemühungen. Ich hatte die Lunten kurzerhand um die Fässer gewickelt und mit Segeltuch abgedeckt.
Decksleute halfen mir, die provisorischen Flöße abzufieren, wobei ich großen Wert darauf legte, daß die Taue nicht zu locker durchhingen. Ob der Wellengang die drei Fässer wieder näher zusammenschob, darauf hatte ich leider keinen Einfluß mehr.
Der Kapitän befahl, abzufallen. Tatsächlich folgte die Galeone. Da wir die Flöße an Backbord ausgesetzt hatten, konnten die Verfolger nicht sehr viel davon mitgekriegt haben. Wahrscheinlich waren sie sogar ahnungslos.
Ungeduldig wartete ich, was geschehen würde. Cynthias Vater reichte mir ein Spektiv.
„Für unseren großen Strategen“, sagte er. „Du hättest gegen die Armada dabeisein sollen, Clinton.“
„Danke, Sir.“ Mehr brachte ich vor Erregung nicht heraus.
Nie zuvor war mir so richtig bewußt geworden, wieviel Zeit ein Schiff brauchte, um eine halbe Meile zurückzulegen. Noch hielt die Galeone ziemlich genau auf die Pulverfässer zu.
Ich war viel zu aufgeregt, um den Kieker ruhig zu halten, und reichte ihn dem Mädchen weiter.
Kaum mehr als zwanzig Yards vor der Galeone detonierte das erste Pulverfaß. Ich hätte mich dafür in den Hintern beißen können. Nur ein paar Inches mehr Lunte, und das Pulver wäre am Rumpf des Schiffes hochgegangen.
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