„Danke für die Rettung“, sagte ich.
Keiner, reagierte. Natürlich verstanden sie mich ebensowenig wie ich sie. Trotzdem wurde mir mulmig. Mich beschlich das Gefühl, vom Regen in die Traufe geraten zu sein. Die Gesichter starrten mich unverhohlen feindselig an, zum Teil lag auch Gier in den Blicken verborgen.
Der Bursche, der mir das Tau zugeworfen hatte, war der jüngste unter ihnen, ich schätzte ihn auf knapp zwanzig. Er hatte kaum Haare auf dem Kopf, das rechte Ohrläppchen war ein verkrusteter Stummel, und die glatte Schnittkante ließ darauf schließen, daß er es im Kampf eingebüßt hatte. Sein Oberkörper wies unzählige helle Striemen und wildes Fleisch auf, beides unverkennbar die Folge einiger Dutzend Peitschenhiebe.
Die meisten anderen Männer hatten ebenfalls Narben oder körperliche Besonderheiten. Mein Verdacht, daß ich keineswegs von Händlern aufgefischt worden war, wurde zur Gewißheit. Vor Indiens Küsten trieb sich genug Gesindel herum.
„Ich bin Engländer“, wiederholte ich langsam und betont, zugleich bemüht, keine Unsicherheit erkennen zu lassen. „Bitte bringen Sie mich zu meinem Schiff, oder setzen Sie mich an Land ab.“
Im Hintergrund entstand Bewegung. Der Mann, vor dem die anderen freiwillig zur Seite wichen, war annähernd sechs Fuß groß. Er war kahlköpfig, trug einen goldenen Ohrring, und von seiner Nasenwurzel aus zog sich quer über die rechte Wange eine schlecht verheilte Narbe.
Als einziger an Bord trug er einen am Hals geschlossenen, bis zu den Knien reichenden Umhang. Der schwarze Stoff war mit Goldfäden durchwirkt. Erst beim zweiten Hinsehen erkannte ich das stilisierte Abbild eines langmähnigen Löwen.
Der Mann sagte etwas in einem indischen Dialekt. Sofort sprangen mich zwei Kerle seiner Crew an, der eine trat mir vor die Schienbeine, daß ich aufschrie, der andere stieß mich zu Boden. Ihre Gesten waren eindeutig: Ich sollte dem Kahlköpfigen meine Ehrerbietung erweisen.
„Woher?“ herrschte er mich an.
Ich war erstaunt, ein portugiesisches Wort zu vernehmen, obwohl das eigentlich nahelag. Immerhin beherrschte ich so leidlich einige Brocken dieser Sprache und konnte mich nun wenigstens mit den Indern verständigen.
„Von da“, sagte ich und deutete nach Südosten. „Über Bord gegangen.“
„Inglés?“
Das war mehr Feststellung als Frage. Trotzdem bestätigte ich.
„Großes Schiff?“
„Ja und nein.“
„Was heißt? Ist Kauffahrer?“
Eine innere Stimme warnte mich davor, die Frage zu verneinen. Deshalb nickte ich, woraufhin die dunklen Augen des Glatzköpfigen einen eigenartigen Glanz erkennen ließen. Ich war nun endgültig überzeugt, Küstenpiraten in die Hände gefallen zu sein.
Solange sie sich von mir einen Vorteil versprachen, würden sie mich am Leben lassen, mir aber ohne mit der Wimper zu zucken die Kehle durchschneiden, falls ich für sie wertlos wurde. Am liebsten wäre ich wieder über Bord gesprungen, aber das konnte ich nicht. Die Männer waren wachsam und würden mich zurückhalten.
„Viele Kanonen?“
„Ein paar“, sagte ich. „Aber warum …?“
„Wie viele?“ Ehe ich mich’s versah, zuckte die Rechte des Piratenhäuptlings vor. Die Hand war zwar knochig, doch ihr Griff war ebenso unwiderstehlich wie der unseres Profosen. Mühelos zog er mich zu sich hoch. „Ich will es genau wissen.“
Er drückte mir die Luft ab und merkte das auch, aber statt mich loszulassen, fletschte er nur höhnisch sein kräftiges Pferdegebiß.
„Sechs auf jeder Seite“, hauchte ich, kaum noch zu einem vernünftigen Wort fähig. Der Griff lockerte sich daraufhin ein wenig.
„Große Geschütze?“
„Nur mit mittlerer Reichweite.“ Ich log bewußt. Falls die Piraten vorhatten, die Schebecke anzugreifen, sollten sie ihr blaues Wunder erleben. Al Conroy würde sie mit seinen Culverinen in Grund und Boden schießen.
Der Glatzkopf stellte mich unsanft wieder auf die Füße, hielt mich aber noch am Hemd fest. Ich nutzte die kurze Atempause, um mich etwas ausgiebiger als zuvor umzusehen.
Die Pattamar war mit einer Reihe unterschiedlicher Geschütztypen bestückt. Ob die Piraten unter diesen Umständen in der Lage waren, ein längeres Gefecht durchzustehen, bezweifelte ich. Die voneinander abweichenden Kaliber erforderten eine Vielzahl unterschiedlicher Geschosse. Davon abgesehen, mußten die Pulvermengen abgeschätzt oder abgewogen werden. Die richtigen Kartuschen gab es an Bord der Pattamar bestimmt nicht, zumal diese Ladetechnik keineswegs weit verbreitet war.
Von Schiffsgeschützen verstand ich trotz meiner Jugend eine Menge. In Vaters Geschäft für Schiffsausrüstungen gab es schlichtweg alles zu kaufen, angefangen von Segelnadeln über Taue und Proviant bis hin zu Lafetten und gebrauchten Geschützrohren, die nicht unter das Monopol der Gießereien fielen. Ich hatte als Kind viel darüber gelernt und war aus dem Grund auf der „Respectable“ unter anderem als Pulveraffe eingeteilt worden.
Drei Schritte vor mir stand eine Bastard-Culverine mit einem Geschoßgewicht von nur sieben englischen Pfund. Sie brauchte eine Pulverladung von sechseinviertel Pfund für ein optimales Schußergebnis.
Gleich dahinter entdeckte ich eine Vierpfünder Minion. Zu gern hätte ich gewußt, wie die Kerle ausgerechnet an zwei englische Kanonen geraten waren.
Die anderen Stücke, jedenfalls soweit mir ein Überblick möglich war, schienen obskurer Herkunft zu sein. Vielleicht stammten sie aus spanischen oder portugiesischen Gießereien. Auch ein holländisches Schiff war als unfreiwilliger Waffenlieferant nicht auszuschließen.
„Welche Waren?“ fragte der kahlköpfige Anführer der Piraten schroff und schon zum zweitenmal. In Gedanken, versunken, hatte ich nicht darauf geachtet.
Der Tonfall verriet, daß seine Geduld zu Ende war. Ich mußte irgend etwas sagen, um ihn zufriedenzustellen.
„Die Schebecke hat Tauschwaren aus England geladen. Sie segelt nach Madras, um Gewürze und edle Hölzer einzuhandeln.“
In meiner Aufregung hatte ich englisch gesprochen. Der Kahlkopf verstand mich nicht.
„Madras?“ wiederholte er lediglich.
Ich nickte. Daraufhin musterte er mich noch einmal verächtlich, wandte sich um und ging nach achtern.
Sollte ich noch versuchen, über Bord zu springen? Oder standen meine Chancen besser, wenn ich darauf wartete, daß die Piraten die Schebecke angriffen?
Ich zögerte zu lange. Zwei Inder stießen mich unter Deck und sperrten mich in einen engen, stinkenden Raum, in dem ich nicht mal die Hand vor Augen sah. Wasser tropfte von den Wänden und sammelte sich in Pfützen auf dem unebenen Boden.
Außerdem war ich nicht allein.
Als etwas Warmes, Weiches meine Beine berührte, trat ich sofort zu. Das Vieh wurde gegen das Schott geschleudert, quietschte schrill und griff wieder an. Offenbar waren seine Augen weit besser als meine, die sich nur langsam an die Dunkelheit gewöhnten.
Zwei hungrige Ratten teilten mit mir das Gefängnis, und ich hatte nicht mal einen Dolch, um ihnen zu beweisen, wer der Stärkere war.
Als ich damals, nach dem Untergang der „Seawind“, gerettet wurde, hatte ich es weitaus besser getroffen …
März 1598.
„… er ist fast noch ein halbes Kind.“ Die Stimme, die das sagte, klang zwar bärbeißig, entbehrte aber keineswegs eines sympathischen Untertons. Wahrscheinlich hätte ich in dem Moment jede menschliche Stimme als angenehm empfunden.
Ich befand mich in einem eigenartigen Zustand zwischen Wachen und Ohnmacht, unfähig, mich zu artikulieren, doch keineswegs von allen Wahrnehmungen ausgeschlossen.
Starke Arme hoben mich hoch.
Für einen winzigen Moment gelang es mir, die Augen zu öffnen. Ich sah nur blendende Helligkeit und, falls der Eindruck nicht trog, ein rotbraunes Lateinersegel im Hintergrund.
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