Ein unsanfter Stoß beförderte mich die letzten Stufen des Niedergangs hinauf an Deck. Die schon tief über dem Meer stehende rote Sonne blendete.
Ehe ich mich versah, wurden mir die Arme auf den Rücken gezerrt und die Hände mit Hanfstricken gefesselt.
„Verdammt, ihr lausigen Rübenschweine, was soll das?“ schimpfte ich. „Ich gehe euch schon nicht verloren.“
Den Ausdruck Rübenschweine – und noch einiges mehr – hatte ich dem Profos der Seewölfe abgelauscht. Daß ich ihn jetzt gebrauchte, gab mir irgendwie das Gefühl einer starken Hand im Hintergrund. Außerdem verstand mich keiner der Küstenpiraten, ich hätte ihnen also noch ganz andere, weniger schmeichelhafte Ausdrücke an den Kopf werfen können.
Daß ich es nicht tat, war einzig und allein meiner Überraschung zuzuschreiben, als ich das andere Schiff sah.
Eine portugiesische Zweimastkaravelle lag mit aufgegeiten Segeln gerade zehn Schritte neben der Pattamar. Drüben wurde ein Boot zu Wasser gelassen. Nacheinander enterten vier Decksleute, zwei mit Musketen bewaffnete Seesoldaten in ihren prächtigen Uniformen mit den federgeschmückten Hüten und ein Offizier ab. Sie pullten zu uns.
Ich hatte keineswegs den Eindruck, daß sich Piraten und Portugiesen feindselig gegenüberstanden. Eher war das Gegenteil der Fall. Die Mannschaften beider Schiffe schienen einander zu kennen.
Die Begrüßung zwischen dem kahlköpfigen Anführer der Inder und dem portugiesischen Offizier, der zusammen mit den Seesoldaten aufenterte, erfolgte zwar nicht mit Handschlag, aber doch mit vertraulichen Gesten.
Der Portugiese redete indisch. Er war ein kleiner Mann mit scharfgeschnittenen Zügen und kostbarer Kleidung, die seinen feisten Wanst allerdings nicht zu kaschieren vermochte. Ich kann nicht behaupten, daß er mir besonders sympathisch erschienen wäre – sein rotfleckiges, von Schweißperlen glänzendes Gesicht wirkte eher abstoßend. Seine Haltung zeugte von Arroganz, die der Inder jedoch geflissentlich übersah.
Sie redeten miteinander wie alte Bekannte. Daß sie über mich sprachen, bemerkte ich an den Blicken, die mir der Offizier zuwarf. Zu gern hätte ich erfahren, über was sie verhandelten, denn der Portugiese schüttelte zunehmend heftiger den Kopf. Schließlich schien er einen Vorschlag oder ein Angebot zu unterbreiten, das sein Gegenüber völlig aus dem Häuschen geraten ließ.
Der Piratenkapitän befahl meinen Bewachern, mich wieder unter Deck zu bringen. Bevor sie mich die Stufen des Niedergangs hinabstoßen konnten, trat jedoch der portugiesische Offizier dazwischen.
Er war die Überheblichkeit in Person.
„Du bist also Engländer“, sagte er und spie verächtlich aus. Er sprach sehr gutes Englisch. „Weißt du, daß Dragha dich an uns verkaufen wollte?“
Ich hatte es mir gedacht. Nur war aus dem Geschäft offensichtlich nichts geworden.
Der Portugiese wirkte enttäuscht. Natürlich hatte er erwartet, daß ich mich dazu äußerte. Mein Schweigen ärgerte ihn.
„Dragha hat einen gepfefferten Preis für dich verlangt. Ich brauche zwar einen Schiffsjungen, aber bestimmt keinen Engländer, der mir bei der erstbesten Gelegenheit einen Dolch zwischen die Rippen stößt. Ist es nicht so?“
Ich schwieg immer noch. Der Offizier zielte auf etwas Bestimmtes ab, das war mir klar.
„Dein Schiff segelt weiter draußen. Dragha sagt, du seist über Bord gegangen.“ Er lachte kurz. „Ist es der schlanke Mittelmeerdreimaster mit den Lateinersegeln, der seit einiger Zeit vor der Küste für Aufregung sorgt? Ich habe erst vor zwei oder drei Tagen davon gehört.“
Er beobachtete mich genau, und ich spürte, daß mir die Röte ins Gesicht schoß.
„Die Inder werden dich zu deinem Schiff zurückbringen. Sie sind sehr uneigennützig.“ Wieder lachte er wie über einen besonders gelungenen Scherz. „Weißt du, was ich diesem Halsabschneider Dragha erzählt habe? Natürlich weißt du es nicht, aber ich will es dir sagen: daß nämlich die Schebecke große Schätze geladen hat, Gold und Silber und Perlen.“
„Warum?“ fragte ich erschrocken. Was wußte der Kerl vom Schatz des Maharadschas?
Er pfiff überrascht durch die Zähne. „Bei der heiligen Jungfrau, habe ich den Nagel auf den Kopf getroffen? Das Schiff hat tatsächlich Schätze geladen? Deine Reaktion verrät dich.“
„Ich weiß nichts.“ Lieber hätte ich den Mund halten sollen, doch ich fühlte mich herausgefordert.
„Natürlich weißt du nichts“, spottete der Offizier. Er vollführte eine wegwerfende Handbewegung. „Was soll’s! Auf das Gold verzichte ich gern, wenn dafür ein paar Engländer aus unserem Handelsgebiet verschwinden. Deine Leute fangen an, lästig zu werden, und Dragha nimmt uns die Dreckarbeit gern ab.“
So war das also. Am liebsten wäre ich dem schmierigen Kerl für seinen Verrat an die Gurgel gesprungen, hätten mich die Fesseln nicht daran gehindert. Was dabei aus mir geworden wäre, war mir im Moment egal. Wie es aussah, hatten es die Piraten gar nicht nötig, offen gegen die Schebecke vorzugehen, sie konnten mich als Lockvogel benutzen.
Der Portugiese wechselte einige Worte mit dem Kahlkopf Dragha, danach wandte er sich mir wieder zu.
„Ich habe dem Halsabschneider gesagt, du hättest ungewollt ausgeplaudert, daß die Schebecke viel Gold geladen habe. Er brennt geradezu darauf, deine Leute abzumurksen.“
„Du Schwein!“ Ich spuckte ihm ins Gesicht.
Für einen Moment stand er wie erstarrt und schien die Beleidigung nicht fassen zu können, dann schlug er zu.
Das war, als hätte mich eine über Deck wischende Spiere getroffen. Für eine Weile war ich zu keiner Regung mehr fähig.
März 1598.
Seit zehn Tagen weilte ich an Bord der „Good Luck“ und packte inzwischen kräftig mit an. Der Kapitän ließ sich sogar zu der Bemerkung hinreißen, ich sei der geborene Seemann. Ich muß dabei ziemlich dumm aus der Wäsche geschaut haben, denn anschließend brach er in schallendes Gelächter aus und versicherte mir, daß er es wirklich ernst meinte. Er hätte selten einen Schiffsjungen gesehen, der so schnell begriff wie ich.
Cynthia, die neben mir an der Back saß und gerade ihren Zwieback in den Tee tauchte, lächelte vielsagend. Ihr Onkel hatte schon recht – so dumm wie auf der „Seawind“ stellte ich mich nicht mehr an. Außerdem steckte ich inzwischen sogar das Schlingern und Rollen des Schiffes bei harter See mühelos weg. Ich war selbst überrascht, daß mein Magen nicht mehr rebellierte.
Daß mir die Arbeit zunehmend Vergnügen bereitete, lag an dem familiär zu nennenden Umgangston auf der Karavelle. Der Kapitän scheute sich nicht, das Vorschiff aufzusuchen und mit den Decksleuten zu reden.
Strafen wurden nicht ausgesprochen. Obwohl ich eine Zeitlang ungläubig mit Argusaugen wachte, fiel mir kein einziger Vorgang auf, der den Zuchtmeister gezwungen hätte, zur Peitsche zu greifen. Verglichen mit der „Good Luck“ – den Namen empfand ich inzwischen als äußerst zutreffend –, war die „Seawind“ der reinste Seelenverkäufer gewesen.
Der zweite Grund für meinen plötzlichen Ehrgeiz hieß Cynthia. In ihrer Nähe spürte ich ein seltsames Prickeln, sie erinnerte mich an Mutter, und ich mochte sie, wenn auch auf eine völlig andere Art.
Seit achtundvierzig Stunden herrschte wieder schwere See. Es regnete ununterbrochen, nicht stark zwar, aber die Sicht war dennoch eingeschränkt.
Wir hatten die Straße von Gibraltar und die portugiesische Küste hinter uns gelassen, ohne ein anderes Schiff gesichtet zu haben, aber ausgerechnet vor der Biskaya meldete der Ausguck Segel querab.
Eine Galeone hielt auf uns zu. Die Entfernung betrug gerade noch eineinhalb Meilen, als das unter vollen Segeln laufende Schiff in den Regenschleiern sichtbar wurde. Es führte keine Flagge.
Читать дальше