„Genauso sehe ich das auch, Ed.“
„Na, dann bin ich ja erleichtert.“
„Nicht nur du.“
Der Mahaut bat sie, auf den Elefanten Platz zu nehmen. Auf den mächtigen Rücken der Tiere befanden sich die sänfteähnlichen Körbe mit einem Stoffdach und langen Fransen an den Seiten.
Hasard und seine Söhne enterten auf. Die drei anderen Arwenacks bestiegen ebenfalls die großen Tiere.
Der Mahaut, der die Kolonne anführte und dem die anderen unterstanden, hatte sehr schnell bemerkt, daß die Söhne des Seewolfs etwas von seiner Sprache verstanden.
„Wir reiten auch nachts, um den Vorsprung aufzuholen“, erklärte er. „Ihr könnt beruhigt schlafen, wenn ihr müde seid. Es wird ein langer Weg durch den Regenwald, aber wir kennen ihn. Wir haben nach Ana schon oft Waren gebracht.“
Die beiden Jungmänner verklarten das Vater Hasard und dem Profos, der sich eins grinste.
„Hab noch nie auf einem Elefanten gepennt“, sagte er strahlend. „Noch nicht mal auf einem Ziegenbock.“
„Ein wirklich seltsamer Vergleich“, sagte Hasard kopfschüttelnd.
Der Mahaut trieb das vorderste Tier mit einer Holzgabel an, die er jeweils dem Elefanten hinter das Ohr drückte.
Es waren Arbeitselefanten, die sich auch gehorsam in Trab setzten und ihre Rüssel schlenkerten. Mit ihren fast menschlich wirkenden Augen wirkten sie ausgesprochen freundlich.
Etwas später nahm sie der feuchtwarme Dschungel auf. Aber es gab für die erste Strecke einen Pfad, der sich einwandfrei erkennen ließ und den auch die heiligen Männer benutzt hatten.
Die Sonne schien dunkler zu werden. Das Grün der Blätter verdeckte sie und ließ alles dämmrig erscheinen.
Die Mahauts trieben ihre Tiere unermüdlich an, und schon nach kurzer Zeit war von Mannar und dem Hafen nichts mehr zu sehen.
Noch einer bewegte sich lautlos wie ein Schatten durch den Dschungel. Es war Malindi Rama, der es geschafft hatte, die Spur der Männer wieder aufzunehmen.
Er, der religiöse Fanatiker und Eiferer, dem die Arwenacks den ganzen Ärger zu verdanken hatten und der auch den Weisheitszahn Buddhas aus den heiligen Tempeln gestohlen hatte, gab nie auf.
Es war ihm gelungen, die Reliquie aus dem gesicherten Tempel zu stehlen, und so war er fest davon überzeugt, daß es ihm noch einmal gelingen würde.
Die Kerle hatten ihre Reliquie jetzt und glaubten sie in Sicherheit. Niemand rechnete mit ihm, keiner der heiligen Männer.
Hatten sie den Zahn aber erst mal im Tempel, dann war es unmöglich, ihn ein zweites Mal zu rauben. Das stand für Malindi Rama mit absoluter Sicherheit fest.
Hier im Regenwald und unter der Last ihrer Schätze würden sie nicht so aufmerksam sein.
Malindi spürte wieder die Schmerzen, die seinen Körper intervallartig durchfluteten.
Die Halunken hatten ihn, als sie ihn erkannt hatten, halbtot geprügelt und so zusammengeschlagen, daß er nur noch gebückt gehen konnte.
Da hatte er in seiner Angst, daß sie ihn ganz totschlagen würden, das Geheimnis der Schebecke verraten und dadurch für beträchtlichen Wirbel und Aufruhr gesorgt. Die Kerle hatten was von Gold und Silber gehört, und so waren sie außer Rand und Band geraten.
Bei der Gelegenheit war ihm die Flucht gelungen, und er hatte sich vor Angst und Schmerzen zunächst verkrochen, bis er einigermaßen wieder laufen konnte.
Malindi war dürr und unglaublich zäh. Auf seinem Kopf befand sich eintätowiert eine Karte, die die Tempelanlagen von Kandy zeigte. Das hatten die Kerle auf dem Schiff, die ihn von einer Insel gerettet hatten, sehr schnell herausgefunden. Weil er Läuse hatte, waren ihm von ihnen die Haare einfach abgeschoren worden.
Inzwischen bedeckten aber wieder Haare die Platte, außerdem trug er noch einen Turban zu seiner eigenen Sicherheit.
Auf seinen dürren Beinen hastete er gebückt durch den Dschungel und folgte den unübersehbaren Spuren, die die Männer mit den beiden Elefanten hinterlassen hatten.
Er war schneller als die alten Kerle, schneller und ausdauernder und vom gleichen fanatischen Eifer besessen. Außerdem bereitete es ihm nach der Prügel geradezu eine diebische Freude, die heilige Reliquie zum zweiten Male zu stehlen.
Wenn ihn der Durst überwältigte, trank er aus den kleinen Quellen des Regenwaldes, und wenn er Hunger verspürte, aß er die fleischigen Beeren der Eugeniasträucher, die hier überall wuchsen.
Als er sich gerade wieder mal ein paar Hände voll in den Mund stopfte, sah er den Leopard. Er stand nicht weit von ihm entfernt sprungbereit da und fixierte ihn aus seinen Augen.
Malindi vergaß das Kauen. Unbeweglich blieb er stehen und tastete nach seinem scharfen Messer mit der spitzzulaufenden Klinge.
Der Leopard schätzte ihn wohl als leichte Beute ein, weil er klein, dürr und ausgemergelt war.
Er sah, wie der Schweif ganz unmerklich den Boden peitschte.
Malindi bewegte sich unendlich langsam auf einen Baum in der Nähe zu und zog sehr langsam das Messer.
In diesem Augenblick sprang der Leopard.
Malindi Rama verschwand wie der Blitz hinter dem Baum und bot dem Angreifer nur noch eine Handbreite Silhouette. Diese Handbreite war sein rechter Arm mit dem Messer, das jetzt vorschnellte.
Noch im Sprung schlitzte es dem Leoparden die Unterseite auf. Das Tier warf sich fauchend und brüllend herum und hieb mit den Pranken wild um sich. Der mit Blättern und Laub bedeckte Pfad wurde rot vom Blut.
Ungerührt sah der Inder zu, wie das Tier verblutete, wie seine Bewegungen nach einer Weile schwächer wurden, und wie es schließlich nur noch zuckte.
Malindi schnitt dem Leopard das Herz heraus und aß es stückchenweise so roh, wie es war.
Den Kadaver ließ er liegen, denn es war unwahrscheinlich, daß ihm jemand folgte. So glaubte er jedenfalls.
Er fühlte sich gestärkt und eilte weiter, bis es im Dschungel zu dämmern begann und schließlich finster wurde.
Die alten Kerle würden jetzt sicher eine Rast einlegen und mit den Elefanten nicht weiterziehen.
Malindi sah nichts mehr, nur eine undurchdringliche schwarze Wand, die sich von allen Seiten um ihn herum befand. Aber er verfügte über einen ausgeprägten Tastsinn und einen wachen Instinkt.
Seine Hände verrieten ihm an abgebrochenen Zweigen, wo die Elefanten gegangen waren. Er verlor die Spur nur ein einziges Mal in der Nacht, als er eine Lichtung überqueren mußte.
Doch schon bald hatte er sie wieder und konnte seinen Weg mühsam fortsetzen.
Irgendwann in der Nacht war er endlich am Ziel. Vor ihm lag eine weitere Lichtung mit einem Flußlauf, und direkt daneben kampierten die Kerle, die ihn so jämmerlich verdroschen hatten.
Die Elefanten standen wie aus Stein gehauen da und bewegten sich so gut wie gar nicht. Die anderen Kerle lagen im Halbkreis oder lehnten schlafend ganz einfach an Baumstämmen.
In der Finsternis konnte Malindi trotzdem einiges unterscheiden. So die schlafenden Gestalten, die mächtigen Leiber der Elefanten und den Mahaut, der Wache hielt. Meist stand er unbeweglich da, aber hin und wieder drehte er doch den Kopf.
Malindi versteckte sich hinter einem Baum. Er wußte auch, wo er den heiligen Zahn zu suchen hatte. Den trug ein bärtiger Alter in demselben Lederbeutel mit sich herum, und dem Alten fehlte das linke Ohr. Dieser Alte war auch der Anführer der heiligen Männer.
Vorsichtig bewegte er sich weiter an die Schläfer heran. Er tastete zwei von ihnen ab, ohne daß sie etwas bemerkten. Von den Bäumen des Regenwaldes fiel immer mal Getier herab, und dann genügte eine reflexartige Bewegung des Schläfers, um es zu verscheuchen. Die Männer wachten davon nicht mal auf.
Schon beim vierten hatte er Glück. Es war der Alte mit seinem verfilzten Bart, und als Malindi vorsichtig nach seinem Ohr tastete, war da nur ein Loch seitlich auf der linken Kopfseite.
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