Die Kerle schwiegen entsetzt und starrten den Seewolf an. So eine Donnerstimme, die den ganzen Dschungel erfüllte, hatten sie noch nie gehört. Dagegen war selbst das Organ des Profosen Edwin Carberry ein sanftes Zwitschern.
Völlig verdattert starrten sie den Seewolf an.
Der Mahaut redete wieder auf sie ein. Auch zwei andere versuchten es noch einmal geduldig.
Doch der Alte war stur. Er griff sogar nach seinem Dolch und begann damit herumzufuchteln.
Einer der Mahauts hatte jetzt genug. Er steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus.
Was dann geschah, erschreckte selbst die Seewölfe.
Der Leitbulle hob plötzlich den massigen Schädel und stieß ein wütendes Trompeten aus.
Übergangslos setzte sich die Elefantenherde in Bewegung und trabte auf die Gruppe Fanatiker zu.
Sie walzten den Dschungel platt, als sich ihre gewaltigen Leiber in Bewegung setzten, und sie trompeteten so laut, daß es den Arwenacks in den Ohren schmerzte.
Diese Sprache schienen sie endlich zu verstehen, die Sprache der Gewalt, das Trampeln der Elefanten.
Der Alte flitzte wie ein Affe in den Dschungel. Er schrie aus Leibeskräften, hielt aber den Lederbeutel eng an sich gepreßt und schlug sich wie ein junger Sprinter in die Büsche.
Die anderen rasten ebenfalls auseinander, und die Arwenacks brachten sich mit wilden Sprüngen hinter dickeren Baumstämmen in Sicherheit.
Tonnenschwere Leiber rannten mit einem erstaunlichen Tempo den flüchtenden Fanatikern nach.
Hasard wandte sich ab, als er sah, daß einer der zornigen Elefanten durch ein Gebüsch walzte, einen brüllenden Kerl mit dem Rüssel umschlang und ihn voller Wut gegen einen Baum schmetterte.
„Verfluchtes Gold“, sagte er. „Nichts als Ärger hat es uns gebracht. Ich bin froh, wenn wir endlich in Madras sind.“
Zwei weitere grelle Pfiffe ertönten.
Die Elefanten waren gut abgerichtet. Sie gehorchten den Mahauts, blieben stehen und trotteten langsam zurück. Auch die beiden anderen Elefanten der Fanatiker kehrten rüsselschwingend zurück, nachdem sie ein Stück in den Dschungel gelaufen waren.
Der Platz war plötzlich wie leergefegt. Bis auf den einen Inder, der tot neben dem Baum lag, war niemand mehr zu Sehen.
„Sie werden nicht mehr zurückkehren“, sagte der Mahaut mit rollenden Augen. „Ihre Angst vor den Elefanten ist zu groß. Sie haben den Zahn und werden ihn nach Ana bringen. Wir können alles aufladen und dann zurückkehren.“
Hasard war unsagbar erleichtert.
Sie ruhten sich noch ein wenig aus, bevor sie Kisten und Ballen wieder aufluden.
„Stimmt alles überein?“ fragte der Mahaut.
Der Seewolf hatte längst nachgezählt.
„Ja, es stimmt alles“, sagte er. „Nichts fehlt.“
Eine Stunde später begaben sie sich auf den Rückweg durch den Regenwald.
Am anderen Tag gegen Abend trafen sie wieder in Mannar ein, wo sie sich bei dem Kaufmann bedankten.
Die für den Sultan von Golkonda bestimmten Schätze wurden an Bord gebracht und verstaut.
An diesem Abend waren sie Gäste des Kaufmanns in seinem großen Haus, und es gab eine Abschiedsfeier, die sich bis spät in die Nacht hinzog. In der Frühe des nächsten Tages segelten sie weiter durch die Palkstraße auf nordnordöstlichem Kurs, ihrem eigentlichen Ziel Madras entgegen.
Hasard hoffte nur, daß damit alle Zwischenfälle erledigt waren, aber noch hatten sie ihr Ziel nicht erreicht …
ENDE
Zitternd und schweißgebadet schreckte ich hoch. Das dumpfe Wummern der Kanonen und das Ächzen und Stöhnen hämmerte mein Herz gegen die Rippen, in den Schläfen pochte das Blut, mein Atem ging kurz und keuchend.
Der ersten Regung nachgebend, sprang ich auf, um mich über Bord zu stürzen, denn die See erschien mir in dem Moment weitaus freundlicher als die vom Feuer heimgesuchten Decks, doch eine eiserne Faust hielt mich zurück. Jemand redete beschwörend auf mich ein. Er sagte Dinge, die ich nicht verstand, aber immerhin begriff ich, daß die Wirklichkeit anders aussah.
Ich hatte schlecht geträumt. Die Schreie, die ich zu hören glaubte und die mich aufgeschreckt hatten, waren meine eigenen gewesen.
Wahrscheinlich würde ich nie vergessen können …
„He, Clint, träumst du immer noch?“ Der Mann mit dem mächtigen grauen Bartgestrüpp, der sich über mich gebeugt hatte, umfaßte meine Schultern und schüttelte mich. Mein Versuch einer Gegenwehr fiel kläglich aus. Ich stammelte wirres Zeug von Feuer an Bord, Spaniern und schweren Breitseiten.
„Wenn Clinton ein paar Jahre älter wäre und ich nicht genau wüßte, daß er keinen Tropfen Rum angefaßt hat, würde ich behaupten, er hat mächtig einen geladen.“ Ein zweiter Mann schob sich in mein Blickfeld, ein kräftiger blonder Riese, zweifellos ein harter Kämpfer, doch seine hellen Augen strahlten Ruhe und Gelassenheit aus.
„Er segelt gegen die Spanier“, sagte der Bärtige und hörte endlich auf, mich durchzuwalken. „Dabei schreit er wie am Spieß.“
„Das sind die üblichen Alpdrücke“, erwiderte der andere. „Irgendwann hatte die jeder von uns, der eine eher, der andere eben später.“
Das Gespräch flutete an mir vorbei wie Brecher an einem Molenkopf. Erst allmählich wurden mir beide Gesichter vertrauter. Ich begriff, daß die letzte Fahrt der „Seawind“ vor eineinhalb Jahren im Feuer der Spanier geendet war und ich mittlerweile zu den Korsaren des Seewolfs gehörte, wenn auch als jüngstes Mitglied und damit Moses seiner Crew.
Aber schon die Tatsache, unter dem Kommando von Philip Hasard Killigrew zu segeln, war eine unsagbare Ehre für mich. Den Tag, an dem ich auf der „Respectable“ einfach über Bord sprang und mich den Arwenacks anschloß, werde ich mein Leben lang nicht vergessen.
„Alles wieder in Ordnung, Junge?“ fragte der Graubärtige, der frühere Schmied von Arwenack und darüber hinaus ein ausgezeichneter Langbogenschütze. Sein Blick drückte Besorgnis aus, und das hatte ich auf den Schiffen, auf denen ich zuvor gewesen war, nie erlebt. Dort war ein Schiffsjunge der letzte Dreck, gerade gut genug, um an ihm allen Ärger auszulassen.
„Ich habe schlecht geträumt, Sir, Mister Shane“, erwiderte ich. „Nichts von Bedeutung.“
„Geschrien hast du wie am Spieß“, sagte der Blonde. Er hieß Stenmark und war Schwede. „Blaß bist du außerdem, als wäre dir der leibhaftige Gottseibeiuns über den Weg gelaufen.“
Ich atmete tief ein und hielt die Luft an, um wieder Farbe zu kriegen. Nach einer Weile atmete ich prustend aus.
„Alles halb so schlimm, Mister Stenmark“, versicherte ich.
Er grinste. „Jetzt bist du rot wie ein frisch gerupfter Puter, Clint. Schade, daß du dich nicht sehen kannst.“
„Der Junge braucht frische Luft und Bewegung“, sagte Big Old Shane. „Kein Wunder, daß er bei dem Mief unter Deck schwermütig wird.“
So schlecht fand ich die Luft im Vorschiff der Schebecke zwar nicht, und verglichen mit dem Gestank auf der „Respectable“ waren selbst die Ausdünstungen in der Büge noch der reinste Wohlgeruch, aber Mister Shane verfolgte wohl eine Absicht, wenn er so redete. Prompt nahm er mich am Arm und führte mich nach oben.
„Der Morgen graut bereits“, sagte er, „und eine Mütze voll Schlaf hast du ohnehin erwischt, Mister Wingfield.“
Wahrscheinlich um mich aufzumuntern, nannte er mich „Mister“. Vor ihm hatte das noch niemand getan. Wozu auch? Ein zwölfjähriges Bürschchen, blond, mit Haarwirbeln, Stupsnase und grauen Augen verdiente keinen Respekt. In dem Alter war man gerade gut genug für das Prügeldasein eines Pulveraffen und Läufers.
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