„Was kann es dann gewesen sein?“
Ein paar waren abgestiegen und untersuchten den Boden. Auch der Kadaver wurde hin und her gedreht. In den Gesichtern der Männer stand Ratlosigkeit.
„Wer weiß, ob die Männer überhaupt so heilig sind“, sagte Carberry. „Das sind doch verrückte Fanatiker.“
„Sie tun es nicht“, wiederholte der Mahaut stur.
Hasard erhielt auf seine Frage keine Antwort weil niemand eine wußte. Es stand nur fest, daß der Leopard durch ein scharfes Messer aufgeschlitzt worden war. Jemand hatte ihm dann das Herz herausgeschnitten. Nur der Zweck war nicht klar.
Die Mahauts tuschelten, tauschten besorgte Blicke und sprachen untereinander von Dämonen.
Als die Sonne den höchsten Punkt überschritten hatte und wie ein gedämpftes Flammenrad über dem Dschungel stand, tauchte eine größere Lichtung auf. Ein kleiner Fluß war zu sehen – und dann ein grausiges Bild, das sich ihnen in die Seele brannte.
Die Elefanten schienen es immer zuerst zu wittern, denn sie schnaubten unwillig, schlenkerten die Rüssel und wurden scheu. Der Leitbulle der Herde trompetete laut und anhaltend.
Etwas weiter rechts zur Mitte der Lichtung hin stand unübersehbar eine Stange im Boden, und auf die Stange war der Kopf eines Mannes gespießt.
Das Gesicht war wie zu einem grauenhaften Schrei verzogen, die Augen geschlossen, der Mund weit geöffnet.
Sie stiegen schaudernd ab und starrten auf die Stange.
Die Mahauts nahmen das wesentlich gelassener hin. Sie blickten ebenfalls den Kopf an und nickten sich zu.
Der Seewolf ging ein paar Schritte weiter, denn trotz der gräßlichen Mimik kam ihm das Gesicht irgendwie bekannt vor.
Der Profos und die anderen folgten ihm. Carberry stand schluckend vor der Stange und fühlte, wie sich sein Magen umdrehte.
Dieser Kopf schien ihn anbrüllen zu wollen in einem namenlosen und wilden Schrei.
Dann erkannte er zu seinem Entsetzen die Zeichnung auf dem Kopf. Dort hatte man die Haare abgesengt, aber die Tätowierung war noch klar und deutlich zu erkennen.
„Der Läusekerl, den wir von der Insel geholt haben“, sagte Carberry. „Malindi Rama.“
„Kein Zweifel, er ist es“, erwiderte Hasard tonlos. „Himmel, was mag hier vorgefallen sein? Das ist ja grauenhaft. Er scheint ebenfalls hinter dem Zahn hergewesen zu sein.“
Der Mahaut ließ es sich übersetzen und nickte dann, als sei das absolut verständlich.
„Er ist hinter den heiligen Männern hergeschlichen“, sagte er. „Und er war es auch, der den Leopard getötet hat. Er ist ein Teufel, und er hat seine Strafe verdient.“
„Er hat den Zahn stehlen wollen?“ fragte Hasard.
„Ja, zum zweitenmal, aber die heiligen Männer haben ihn dabei erwischt. So endet jeder Frevler, der die Gottheit beleidigt. Sie haben seinen Kopf zur Warnung und zur Schande abgeschnitten und auf diese Stange gesteckt. So wird er nie ins Nirwana eingehen, denn der Weg in die Seligkeit bleibt ihm für alle Zeiten versperrt. Sie müssen ihn heute nacht getötet haben.“
„Malindi Rama“, wiederholte Ferris leise. „Dem haben wir den ganzen Ärger zu verdanken. Der Kerl hat durch seinen dreisten Diebstahl eine Menge Leute auf dem Gewissen. Uns hat er jedenfalls nichts als Ärger bereitet, ohne ihn wären wir längst in Madras.“
„So ist es“, sagte Hasard. „Was aber haben sie mit seinem Körper getan?“
„Ihn weggeworfen wie einen Kadaver“, sagte der Mahaut. „Irgendwo in den Dschungel oder auch in den Fluß. Wenn Kopf und Körper getrennt werden, kann er niemals wiedergeboren werden und muß als ewig Verfluchter durch die große Leere wandern.“
Hasard wollte den Mahaut fragen, ob man den Kopf nicht begraben sollte, doch der Mahaut schien diese Frage zu ahnen.
„Keiner darf ihn berühren“, erklärte er. „Die Ameisen werden kommen und ihn bearbeiten, bis nur noch der blanke Schädel übrig ist. Und eines Tages wird er von der Stange fallen und im Waldboden vermodern, genau wie sein Körper.“
Sie stiegen wieder auf, aber das schaurige Bild ließ sich nicht aus ihrer Erinnerung verdrängen.
„Rauhe Sitten“, sagte der Profos. „Aber wir befinden uns eben auch in einem anderen Land, dessen Religion wir von unserem Standpunkt aus nicht richtig begreifen.“
„Du sagst es, Ed.“
Der Marsch ging weiter, bis zum späten Nachmittag. Da begann der Leitbulle wieder röhrend laut zu trompeten. Er hob den Rüssel und schwenkte ihn durch die Luft.
„Er wittert wieder etwas“, sagte Batuti.
„Kein Wunder bei der langen Nase“, meinte Carberry. „Wenn ich so einen Rüssel hätte, würde ich sogar die nächste Kneipe wittern.“
Aus der Ferne antwortete ein anderer Elefant.
„Sie sind vor uns“, sagte der Mahaut. „In einer halben Stunde treffen wir auf die heiligen Männer.“
„Na dann“, meinte Hasard. „Hoffentlich sind die Kerle einsichtig, sonst müssen wir uns das Gold mit Gewalt holen, und das möchte ich gern vermeiden. Es hat schon genug Tote deshalb gegeben.“
„Wir werden sie überzeugen“, versprach der Mahaut.
Hasard war da noch etwas skeptisch, wenn er an die religiösen Eiferer dachte, die völlig unberechenbar waren.
Dort, wo der Dschungel für eine Weile endete und Kampfer- und Zimtbäume wuchsen, stießen sie auf die Gruppe.
Hasard schätzte sie nach einem kurzen Blick auf insgesamt vierzig Männer.
Die Fanatiker blieben mit ihren beiden Elefanten stehen. Die anderen Kerle setzten ihre schweren Lasten ab. Sie waren mit Krummdolchen bewaffnet, die sie in ihren Lendenschurzen trugen.
„Wir werden verhandeln“, sagte der Mahaut. „Und wenn sie nicht einsichtig sind, lassen wir die Elefanten auf sie los. So hat es mein Herr befohlen, und so werden wir es halten.“
„Zuerst verhandeln“, sagte der Seewolf. „Weist auf den Sultan von Golkonda hin, auf Ischwar Singh und den großen Akbar, für den das Gold bestimmt ist.“
Die Fanatiker waren mißtrauisch, als sich ihnen die Männer näherten. Ihre Finger lagen wie gekrümmte Klauen um die Krummdolche.
Der Mahaut ließ die Elefanten ganz langsam auf sie zutraben. Die Kerle wichen nur zögernd zurück, gleich darauf flogen unverständliche Wortfetzen durch die Luft.
„Sieht ganz so aus, als würde es gleich losgehen“, meinte Ferris. „Ein paar von diesen Gesichtern habe ich noch in Erinnerung, besonders den alten Kerl mit dem Bart.“
Die Seewölfe stiegen ab. Sie trugen ihre Pistolen, aber noch bestand kein Grund zum Eingreifen.
Fünf Mahauts waren jetzt bei den Kerlen und redeten anfangs ruhig, dann immer hitziger auf sie ein.
„Versteht ihr etwas?“ fragte Hasard seine Söhne.
„Nur, daß da ein paar Namen gefallen sind“, antwortete Philip. „Jene, die du genannt hast, Dad.“
„Hoffentlich zeigen sie Wirkung.“
Es sah nicht so aus. Die Kerle schrien sich gegenseitig mit hochroten Köpfen an und palaverten wild drauflos.
„Verdammt, wenn man sie nur verstehen könnte“, sagte der Profos. „Aber man steht wie ein Idiot daneben und kapiert kein Wort.“
Die Mahauts deuteten auf die Ballen und Kisten. Etliche von ihnen hingen noch bei den Elefanten.
Der Alte mit dem Bartgestrüpp, der Malindi Rama getötet hatte, benahm sich am verrücktesten. Seine dürren Hände fuhren durch die Luft und seine Stimme wurde immer schriller bei dem Wortgefecht. Er schien nicht einsichtig zu sein und begann mit heiserer Stimme zu kreischen.
Das Gesicht des Mahaut lief dunkelrot an. Abrupt wandte er sich an Hasards Söhne, die wieder übersetzen mußten.
„Er sagt, wir hätten es nur auf den Zahn abgesehen, und davon läßt er sich nicht abbringen.“
„Den Zahn kann er sich sonstwohin stecken!“ brüllte Hasard, der plötzlich in Wut geriet. „Der interessiert uns absolut nicht. Wir wollen lediglich das Gold.“
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