Der Rest war schrecklich und grauenvoll gewesen. Die riesige Bestie hatte das Netz zerrissen und dann nach seinem Vater geschnappt. Malindi hatte noch einen verzweifelten Schrei gehört und gesehen, wie sich das Wasser der Lagune blutrot färbte.
In der Zwischenzeit war der Nachen durch einen weiteren Schlag der Panzerechse gekentert, und Malindi hatte auf dem Kiel des Bootes gehockt und mit ansehen müssen, wie ein zweiter dieser gefräßigen Räuber auftauchte.
Sie hatten seinen Vater in die Tiefe gerissen und ihn regelrecht zerfleischt und gefressen.
Die Erinnerung an das furchtbare Unglück schlug wie ein Blitz in sein Gehirn, und auch jetzt sah er unter Wasser eine rosarote Wolke, die in alle Richtungen quoll und sich ausbreitete.
Der Inder handelte wie in Trance. Was er tat, geschah instinktiv und nicht aus Überlegung. Er konnte einfach nicht anders.
Er griff nach dem dünnen scharfen Messer, nahm es in die rechte Hand und stürzte sich kopfüber ins Wasser.
Erst als das Wasser hochaufspritzte, fiel ihm ein, daß er überhaupt nicht schwimmen konnte. Er hatte es nie gelernt.
Er paddelte wild herum, kriegte das Boot zu fassen und hielt sich mit einer Hand daran fest.
Mit der Messerhand stach er zu, als der gepanzerte Rücken der Echse auftauchte. Immer wieder stach er zu, traf manchmal ins Leere, gab aber nicht auf.
Blut färbte jetzt das Wasser rot. Malindi konnte nicht unterscheiden ob es Chandras Blut oder das des Krokodils war.
Er hieb solange ins Wasser, bis seine Kräfte erlahmten und die Echse längst nicht mehr zu sehen war. Er hätte auch fast noch auf Chandra eingestochen, als der auftrieb.
Mit allerletzter Kraft half er Chandra ins rettende Boot, wo sie lange über den Duchten hingen und vor Erschöpfung keinen Ton hervorbrachten.
Malindi starrte den anderen an. Er bemerkte, daß von Chandras Arm Blut tropfte und auf die Gräting fiel, und er sah auch, daß die scharfen Zähne der Riesenechse eine lange Fleischwunde gerissen hatten.
Er sah sich die Wunde genauer an und nickte schließlich. Sein Atem pfiff beim Sprechen immer noch.
„Du hast Glück gehabt, Chandra. Das Biest hätte dich zerfleischen können. Die Götter haben dir beigestanden.“
Chandra war weiß im Gesicht und blickte auf die Wunde, die schlimmer aussah, als sie war. Aber sie blutete stark.
„Ein Wunder ist geschehen“, sagte er keuchend. „Es war mein Glück, daß ich gut schwimmen kann, aber es hätte wirklich nicht viel gefehlt, und ich wäre …“ Er brach ab, erschöpft, ausgelaugt von der langen Zeit unter Wasser, wo er nicht atmen konnte.
„Wie mein Vater“, sagte Malindi dumpf. „Den hat auch ein Krokodil angegriffen und – und …“
„Dein Vater ist von einem Krokodil getötet worden?“ fragte Chandra entsetzt.
„Ja“, sagte Malindi einsilbig. „Und jetzt wollen wir deinen Arm verbinden, damit du nicht verblutest. Tut es sehr weh?“
Chandra nickte heftig und verzog das Gesicht. Er erhob sich mühsam, stand auf und kniete sich über die Ducht. Dann erbrach er sich, und erst jetzt setzte der Schreck bei ihm ein.
Danach untersuchte Malindi die Wunde, die die scharfen Zähne gerissen hatten. An einigen Stellen war das Fleisch zerfetzt und hing lose herab.
Der große Subedar hatte ihnen auch ein paar Salben und Pülverchen mitgegeben. Auch ein paar Stücke grobes und feines Tuch befanden sich in der kleinen Kiste.
„Es wird ein bißchen weh tun“, sagte Malindi, „aber so können wir den Arm nicht lassen.“
Als er sein Messer nahm und es vorsichtig abwischte, schloß Chandra die Augen und preßte die Lippen zusammen.
Malindi blickte über Bord und sah der rosaroten Wolke nach, die jetzt auseinandertrieb und zu einem bläßlichen Rosa wurde. Von den Salzwasserkrokodilen war nichts mehr zu sehen.
Chandra schrie nicht, als er das Messer ansetzte. Die Wunde wusch er mit Seewasser aus und paßte höllisch auf, daß sich keins dieser gefräßigen Monster in der Nähe zeigte.
Er strich Salbe auf die Wunde und verband sie mit einem der kleinen Stoffetzen. Jetzt konnte er nur hoffen, daß alles von selbst heilte, denn in der ärztlichen Kunst war er nicht bewandert.
Am späten Nachmittag segelten sie weiter, immer dicht unter der Küste entlang, denn der Wind frischte wieder auf, und falls es ein plötzliches Unwetter geben sollte, konnten sie schnell das Land aufsuchen und Schutz in einer der vielen einsamen Buchten finden.
Noch lag eine weite Strecke vor ihnen.
Drei Tage später hatten sich die Wundränder geschlossen, ohne daß Komplikationen aufgetreten waren. Chandra war auch vom Fieber verschont geblieben, das meist auf solche gefährlichen Verletzungen folgte.
Einmal liefen sie eine kleine Bucht an, die frei von Krokodilen war. Dort erlegten sie einen großen Vogel, der sich zwischen den Mangroven ein Bein abgeknickt hatte.
Sie entzündeten ein Feuer und verspeisten den Vogel.
In einem nahen Wäldchen schnitten sie einen überhängenden, starken Ast ab und fertigten daraus einen provisorischen Riemen. Den alten hatte das Krokodil total zerbissen.
Am fünften Tag tauchte vor ihnen eine riesige Landzunge auf, der eine ebenso riesige Einbuchtung folgte. In der Einbuchtung lagen verstreut etliche kleine Inseln, fast eirund und mit dichten Kokospalmen bewachsen. Sie hielten auch die vorragende Landzunge anfangs für eine große Insel, bis sie ihren Irrtum bemerkten.
„Da können wir nicht durchsegeln“, sagte Malindi. „Das Land schließt sich später wieder und dann sitzen wir wie in einer riesigen Falle.“
Sie stritten darüber, denn Chandra behauptete genau das Gegenteil.
„Dann segel nur weiter!“ höhnte Malindi. „Später werden wir mindestens einen Tag brauchen, um wieder zurückzusegeln. Das kostet uns dann schon zwei volle Tage.“
„Wir haben ja Zeit.“
Nach ein paar Stunden erkannte Chandra jedoch, daß es keine weitere Verbindung zum Meer gab und sie tatsächlich in einer Falle sitzen würden, wenn sie weitersegelten.
Beschämt wendete Chandra das Boot und übersah das Grinsen Malindis.
„Wenn du nicht mehr weiter weißt, kannst du ja auf der Karte auf meinem Kopf nachsehen. Ich war auch noch nicht hier, aber ich habe die Einzelheiten alle genau im Kopf. Der nächste Ort, den wir passieren, müßte Puttalam sein.“
„Wahrscheinlich hast du recht.“
An diesem Tag herrschten Unstimmigkeiten zwischen ihnen, und sie sprachen kaum miteinander.
Malindi starrte manchmal auf das Auge des Subedar und ärgerte sich wieder darüber, daß andere sie belauschen oder sehen konnten. Wenn sich eine günstige Gelegenheit ergab, würde er die Wundernadel durch einen Zufall verschwinden lassen.
Das wichtigste für ihn war jedoch, das Heiligtum der Singhalesen in seinen eigenen Besitz zu bringen, und da hatte er noch einiges an Rätseln herauszufinden und zu lösen. Aber da er selbst Singhalese war, sollte das nicht allzu schwer fallen.
Das Fischerdorf Puttalam sahen sie erst am nächsten Tag, bevor die Sonne den Zenit erreichte. Es bestand nur aus ein paar kleinen Hütten am Rand des Dschungels, und sie konnten es auch nur dann sehen, wenn sie sich im Boot erhoben und die Köpfe reckten.
Malindi Rama hatte eine größere Ansiedlung erwartet, und so war er ein wenig enttäuscht.
Weitere zwei Tage später stießen sie abermals auf ein. Dorf und waren überrascht.
Sie bewegten sich gerade auf eine Landzunge zu und segelten bei ziemlich schwachem Licht dicht unter der Küste.
Gerade als sie die Landzunge passierten, blickten sie in die Bucht. Sie war tief eingekerbt und führte schlauchartig ins Land hinein. Hier gab es einen feinen Sandstrand mit Kokospalmen und kleinen Hütten. Die Bucht war seicht und eine Lagune, die vormals aus Mangroven bestanden hatte. Jetzt war ein Teil der Bucht versandet, und die Mangroven waren abgestorben.
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