Eine knappe halbe Stunde pullten sie angestrengt und schweigend. Der Schweiß lief ihnen in Bächen über die Gesichter, aber es half nicht, ihn abzuwischen.
Hin und wieder blickte Malindi auf die Ausbuchtung in der einen Ducht, wo die Wundernadel leicht zitterte. Er wandte den Blick wieder ab und pullte verdrossen weiter. Es paßte ihm nicht, daß in dieser Nadel magische Kräfte steckten und ihn jemand beobachten konnte. Aber er ließ sich nichts anmerken.
Der große Subedar sollte nicht mißtrauisch werden.
Nach einer Ewigkeit, wobei ihre Körper nur so trieften, hatten sie es endlich geschafft und den stickigen Flußnebenarm verlassen.
Sie blickten auf den Golf von Mannar und atmeten erleichtert auf.
Hier war alles ganz anders. Die Luft roch frisch nach Salzwasser, und einen laue Brise, schlug ihnen in die Gesichter. Gegen das Brackwasser war es hier im Golf herrlich erfrischend.
Sie zogen die Riemen ein und ließen sich ein paar Augenblicke treiben, bis der Schweiß auf ihren Körpern verdunstete und sie freier atmen konnten.
„Jetzt können wir endlich das Segel setzen“, sagte Malindi, froh drüber, nicht mehr pullen zu müssen und auch die lästigen Stechfliegen hinter sich zu haben. „Ich denke, es wird eine prächtige Überfahrt.“
Chandra Muzaffar reckte sich. Sein Blick fiel auf die Nadel, und er verneigte sich leicht vor ihr.
„Das Auge Subedars wird auch weiter über uns wachen“, sagte er feierlich. „Ohne die geheimnisvollen Kräfte würden wir es allein nicht schaffen.“
„Wie lange werden wir bis zur Küste brauchen?“
„Bei gutem Wind etwa zwei bis drei Tage. Vielleicht werden es auch vier Tage. Die längste Strecke ist der Küstenabschnitt bis Negombo.“
Malindis Blick fiel wieder auf die Nadel. „Ob der große Subedar auch unsere Worte hören kann?“
„Natürlich kann er das“, sagte Chandra überzeugt. „Er kann uns sehen und jedes unserer Worte hören. Manchmal glaube ich, daß er auch unsere Gedanken lesen kann.“
Er sah nicht, wie Malindi heftig schluckte.
Nein, das kann nicht wahr sein, überlegte er. Wenn der große Subedar Gedanken erfassen konnte, dann hätte er ihn wohl nicht auf die Reise geschickt und sich der ganzen Mühen unterzogen. Der Subedar hätte dann ja wissen müssen, daß er, Malindi, für diese Aufgabe unbrauchbar war, weil er den Weisheitszahn für sich behalten wollte.
Zum ersten Male kamen ihm Zweifel an den Fähigkeiten des Subedar. Vielleicht war er gar nicht so groß, wie er immer vorgab? Vielleicht konnte er sie nicht mal sehen und gab das nur vor, um sie einzuschüchtern und zum Gehorsam zu zwingen.
„Warum grinst du so?“ fragte Chandra.
„Ich bin froh, daß das Abenteuer beginnt und wir beweisen können, was in uns steckt, und ich bin froh darüber, daß wir das Meer erreicht haben und eine kühle Brise unsere Körper kühlt.“
„Ja, darüber bin ich auch froh. Wir werden wie Helden gefeiert werden, sobald wir mit dem Zahn des großen Erleuchteten zurückkehren. Jetzt aber sollten wir den Mast aufrichten und das Segel setzen.“
Sie trieben dicht unter der Küste. Die Sonne stand fast im Zenit, und Chandra beugte sich über die Nadel und die geheimnisvollen Zeichen auf dem Brettchen, die jetzt, da er sie kannte, längst nicht mehr so geheimnisvoll waren.
Die zitternde Nadel gab ihm die beruhigende Gewißheit, daß alles in Ordnung war und der Subedar über sie wachte. Sie zeigte mit ihrer bläulichen Spitze nach Norden und blieb immer auf diesen Punkt ausgerichtet, während das Boot sich um die Nadel bewegte. Es war faszinierend und einfach unglaublich. Ständig schien einer der Götter über die Nadel zu wachen.
Der Mast war schnell aufgerichtet und das Segel gesetzt. Es war nur ein kleines Mattensegel, aber der Wind blähte es und schob das Boot ziemlich rasch über das Wasser.
Malindi setzte sich an die Pinne und bewegte das Ruder so, bis sie genau nach Osten segelten. Zitternd zeigte die Nadel nach Norden. Es war ganz einfach, das Boot nach ihr auszurichten, sobald man erst ein wenig Übung darin hatte.
Chandra nahm sein Messer und zerteilte damit eine der großen Wassermelonen. Er schnitt sie in halbe Scheiben und reichte eine davon Malindi.
Das Fruchtfleisch war rosarot und sehr saftig, und es löschte hervorragend den Durst.
Von jetzt an ging alles spielend leicht, und sie hatten nichts weiter zu tun, als sich alle paar Stunden an der Pinne abzulösen.
Schon nach kurzer Zeit versank der Küstenstrich hinter ihnen und wurde zu einem dunstigen Gebilde, das sie nach einer weiteren halben Stunde aus den Augen verloren.
„Bis hierher fahren die Fischer immer hinaus“, sagte Chandra. „Ich glaube, soweit, wie wir jetzt draußen sind, ist noch kein Fischer jemals hinausgefahren.“
„Bestimmt nicht. Ich war auch noch nie soweit draußen, aber das ist ja erst der Anfang. Wir müssen noch viel weiter hinaus.“
Nach einer Weile wurde allen beiden etwas unbehaglich zumute. Nirgendwo war mehr Land zu sehen. Sie bewegten sich fast lautlos auf einer riesigen Fläche, die scheinbar keinen Anfang und kein Ende hatte.
„Keine Angst“, sagte Malindi und gab sich etwas überlegen. „Wir schaffen es schon. Es ist nur etwas ungewohnt, und wir müssen beten, daß kein Sturm losbricht.“
Weil sie alle beide Angst hatten, flehten sie die Götter an, ihnen keinen Sturm zu schicken.
Die Götter erhörten ihre Gebete jedoch nicht, und auch der große Subedar schien die Kontrolle über sie verloren zu haben.
Am späten Nachmittag jagten dunkle Wolkenbänke heran, die rasch größer wurden und immer stärker aufquollen. Sie ballten sich zusammen, bis sich der Himmel verfinsterte.
„Das ist der Kal-baishakhi“, flüsterte Chandra. „Der Gewittersturm, den wir schon vor ein paar Tagen erlebt haben. Er hat sich verspätet, wie er das oft tut.“
Malindi nickte nur und blickte in den finsteren Himmel. Dort, wo Himmel und Wasser sich scheinbar berührten, war alles schwarz, und man konnte oben und unten nicht mehr unterscheiden.
Überall sah es jetzt so aus. Auch der Wind flaute merklich ab, um neue Kräfte zu sammeln.
Sie kannten diesen Gewittersturm, der mit verheerender Gewalt über das Land und Meer raste. Er fegte auch durch die Sümpfe und knickte Bäume und Sträucher, und er wühlte im Sumpf, den er zu großen Blasen aufwarf, bis er zu kochen schien.
Nach einer Weile war es totenstill um sie herum geworden. Das Meer war dunkel, tief und ruhig wie schwarzes Glas, durch das man nicht hindurchsehen kann. Das Segel hing schlaff vom Mast, und die ganze Welt hielt den Atem an.
„Wir sollten das Segel wegnehmen“, sagte Malindi heiser. „Wenn der Wind einfällt, kann er es zerfetzen. Dann sind wir hilflos.“
In aller Eile holten sie das Segel ein und sahen nach, ob auch die eingebauten Holzkammern dicht waren.
„Das Auge Subedars ruht nicht mehr wohlgefällig auf uns“, sagte Chandra verzweifelt. „Was haben wir falsch gemacht?“
Malindi dachte an seine bösen Gedanken und wurde erneut von Zweifeln gemartert. Es konnte sein, daß der Geist der Nadel sie nur auf die Probe stellen wollte. Es konnte aber auch sein, daß er etwas gemerkt hatte und jetzt böse wurde.
Inzwischen hatte sich der Himmel noch weiter verfinstert. Es war jetzt so dunkel wie bei der kurzen Dämmerung. Auch das Meer hatte die gleiche, unheimliche Farbe angenommen.
Da sahen sie, wie der dunkle Himmel sich spaltete. Er zeriß übergangslos in zwei riesige Teile.
Ein gewaltiger Blitz hieb ins Meer. Bevor er verschwand, verästelte er sich wie ein Baum. Ein gewaltiges Donnergrollen war zu hören. Es ertönte von überallher und brüllte in ihren Ohren, und es schien kein Ende mehr zu nehmen. Auch roch die Luft plötzlich so ganz anders.
Die beiden zuckten zusammen und kauerten sich zwischen den Duchten nieder. Angstvoll starrten sie auf das sich ankündigende Unwetter.
Читать дальше