Dann geht es in den ungeheuren Einsamkeiten an Hawaii vorbei und an verlorenen Atollen, und irgendwann knallt ein kilometerhoher Rauchpilz in den Himmel, und meilenweit sterben die Fische in den radioaktiven Giften militärischer Massenmordexperimente, und die Lungen der Fischer stinken, bedroht von Zerfall. Aber der Atem der Meeresströme duftet rein wie am ersten Schöpfungstag.
Lang ist der Weg bis Insulinde, wo die Wasser nach Süden und Norden auseinanderprallen (der gen Nord gehende Kuro-Schio ist der Golfstrom Japans), und nur schmale Strähnen finden in den Indischen Ozean, und wieder steht eine Schranke im Weg, der Klotz Afrika, und wieder beginnt das Ausweichen, diesmal nach Süden, herum ums Kap der Guten Hoffnung mit dem Agulhasstrom in den Atlantik und wieder gen Nord mit dem Benguelastrom und mit diesem einfließend in die Südpassatdrift und wieder gen Brasilien und hinüberschwingend in den Nordwestpassat und, von ihm getrieben, die berüchtigte Pfefferküste hinauf, an der Teufelsinsel vorbei wieder hinein in das Schlangenmaul und den Drachenschlund und in die See der Kariben. So kommt das letzte wieder zum ersten und zurück zu dir, Tlaloca.
Das ist ein Teil des wunderbaren Kreislaufes, der über unabsehbare Entfernungen durch die Ozeane der Welt geht und dessen großartigste Erscheinung der Golfstrom ist.
*
Runter die Mütze, Kuddl,
(dohl mit de Klott!)
dies ist der Golfstrom.
Wird dir warm unterm Hemd?
Ja, das kitzelt von tief her,
das Ziehende, Schmatzende,
durch den Schiffsbauch durch
bis ins Gedärm.
Und so glitzrig, so blau, so harmlos manchmal
wie ein Meerweib auf einem Seebadplakat
und, Deubel noch mal zu,
mit allen Wettern gewaschen.
Das streichelt dahin,
tiefer, als jeder Fabrikschornstein hoch ist,
oder die gesamte Takelage nebst Kirchturm
oder Wolkenkratzer und verschiedne Gebirge
und genau so tückisch
und schon so gräßlich lange,
eh es noch so viel Kram gab
und eh unsere Vorgroßväter sich von Ast zu Ast
in unsere glorreiche Gesittung schwangen.
Mahlzeit!
Und dies nasse Gesäusel
hat schon die Nina gehätschelt,
auf der jener Phantast und Geschäftsmann
Don Cristoforo Colon
– als Jungs nannten wir ihn Klumbumbus –
heimseilte, nachdem er den Bahamas
und den Inseln unter und über dem Winde
eine schlimme Entdeckung gewesen.
Höchst symbolisch war inzwischen sein Flaggschiff,
die Santa Maria (Beschützerin der Unschuld),
zu Bruch gegangen.
Aber vor ihm waren schon andre auf der Route,
die kleinen Barken von Plymouth Sound
und Dieppe und Bilbao
und die vom Clyde und von Cobh
und wo immer Europa die Visage
schnuppernd in die Kimm reckt.
Unglaubliche Burschen alle,
und nicht zu vergessen die Knorren von Nordland,
die auf Kabeljau- oder Feigenfahrt wollten
und sich nach Winland verirrten,
und weiß der Satan, was alles sonst noch
an unzufriedenen Seelen auf Westkurs ging,
denen die Grütze zu Haus
und das Gefasel der Zeitgenossen
zu blöd und zu mager war.
Bis sie dann merkten,
es ist überall Topf wie Henkel,
und dann Gegenkurs nahmen,
taschen- oder nasevoll oder nicht,
und wieder ankamen auf dem lauen Geruschel,
wenn es sie nicht mit einem Zwölfjackenpuster
zu den Haien geschickt.
Die, die an der Mole geblieben,
dachten sowieso längst,
die sind versoffen.
Bedeck dich, Kuddl!
Es fängt an zu wehen,
und Bootsmann pfeift.
Rauf auf die Bram und Reuels!
Setzt Bonnets, Jungs!
Homeward bound alle Lappen!
Dat weiht as’n Katt
so gulfy,
so moi.
Der golfstrom fliesst ins bewusstsein der welt
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Es wird nun Zeit, Tlaloca, zu berichten, wie der Golfstrom nach und nach ins Bewußtsein der Menschheit gedrungen ist, wie also die Neugier sich seiner bemächtigte und – man kann es auch anders sagen – wie der Mensch lernte, seine Erfahrungen anderen nicht vorzuenthalten.
Entschieden waren die ersten Wikinger des Mittelmeeres nicht die Phönizier, sondern die Kreter, deren Lebensstandard uns durch die Ausgrabungen zu Mykenä und Tiryns bekannt wurde. Er steht an Eleganz und Solidität denen moderner Großstädte nicht nach. Wir wissen auch, daß die Kapitäne, die den Ägyptern Zinn aus den spanischen und vielleicht sogar britischen und Gold aus irischen Minen besorgten, zumeist Kreter waren, aber ihre Segelhandbücher sind nicht aufbewahrt, und nur wenig mehr wissen wir von den Phöniziern, die das ägyptisch-kretische Seefahrtserbe antraten. Der Ahne aller wissenschaftlichen Unterhaltungsschriftsteller, Herodot, hat von einer ägyptisch-phönizischen Umschiffung Afrikas berichtet, die auf Befehl des Pharaonen Necho II. ausgeführt wurde, vom Roten Meer startete und nach zwei Jahren die Straße von Gibraltar (die späteren Säulen des Herkules) erreicht haben soll. Welche Erfahrungen die Schiffe mit den Küstenströmungen gemacht haben, ist nicht berichtet. Sie laufen durchweg höchst günstig auf diesem Kurs, bis bei den Kapverden die Plackerei gegen den Strom und gegen den Wind beginnt. Das mag um das Jahr 650 vor Christus mit den Ruderschiffen und der primitiven Besegelung schwieriger gewesen sein als heute, und die Besatzungen werden aufgeatmet haben, als sie endlich das Kommando: Hart Steuerbord! vernahmen und die spanische Küste über die Kimm blinzelte, als der Atlantik ein Einsehen hatte und sie mit stetigem Schwunge in das alte Fuchsloch, die Gaditanische Enge – wie der Wasserpaß zwischen Afrika und Europa hieß, ehe die Griechen und dann endgültig die Mauren andre Namen prägten –, ins heimische Mittelmeer schob.
Der erste Kapitänsbericht, der auf uns gekommen, ist der des karthagischen Admirals Hanno. Er leitete um 530 v. Chr., in der punischen Blütezeit, einen Transport von Auswanderern, die einige Stützpunkte an der afrikanischen Atlantikküste besiedeln sollten. Die Flotte scheint aus sechzig Schiffen zu je fünfzig Ruderern bestanden zu haben, mit insgesamt dreißigtausend Fahrgästen, darunter Frauen, und scheint nach Absetzung der Siedler an sechs Stellen bis nach Kamerun vorgestoßen zu sein. Es wird in der Aufzeichnung ein feuerspeiender Berg namens „Götterwagen“ erwähnt, und da angeblich die Eingeborenen den Kamerunberg heute noch so nennen, so wäre das wohl ein Beweis für die Echtheit jener Reise (falls nicht ein gebildeter Missionar sich als Überlieferungsträger eingeschaltet hat). Hanno ist angeblich wegen Proviantmangel umgekehrt. Wahrscheinlich aber wird ihm der Guineastrom in die Quere gekommen sein. Auch schwenkte die bis dort günstige Drift gen Westen in den allzu offenen Ozean, und der gute Nordostpassat drehte auf Süd.
Leider ist uns die Votivtafel, die Hanno nach glücklicher Heimkunft mit der Schilderung des Reiseverlaufs zu Karthago im Tempel des phönizischen Heimatgottes Melkart oder wahrscheinlich dem einer Meeres- und Mondgöttin hat anbringen lassen, nur in einer griechischen Abschrift überliefert. Deren einziges Exemplar befindet sich als wertvollstes Dokument nautischer Geschichte in der Universitätsbibliothek zu Heidelberg. Diese Abschrift, vom Verfertiger als Periplus des Hanno bezeichnet, was Segelanweisung einer „Umschiffung“ bedeutet und irreführend ist, enthält allerlei Flüchtigkeitsfehler und offenbare Mißverständnisse und sieht so aus, als stamme sie von einem Geheimagenten, der in der Sorge, beobachtet zu werden, seine Notizen eilig hingekritzelt oder gar aus dem Gedächtnis festgehalten hat.
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