Nataly von Eschstruth - Ungleich!

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Cyprian – genannt «Juvivallera» –, der junge Sohn des Grafen Lankwitz, hat schon als kleines Kind im wörtlichen wie im übertragenen Sinn gelernt, «die Rute zu schwingen». Gleichzeit ist er jedoch auch «die verkörperte Liebeswürdigkeit neben all seinen Unarten und tollen Streichen» und er strahlt «wie eitel Sonnenschein». Da lernt er die junge Prinzessin Rafaela kennen, die, wie er noch ein Kind, seine Zuneigung nicht unerwidert lässt. Doch Rafaela ist die Thronerbin, falls die Ehe des Herzogs kinderlos bleibt, und so darf sie nur einen Prinzen von Geblüt heiraten. Unheil bahnt sich an: Denn schließlich wird Rafaela in eine Hochzeit gedrängt, bei der «alles ungleich und ungrad» ist, während Cyprian zunehmend sein kindlich-sonniges Strahlen zu verlieren beginnt … Aber muss, was ungleich ist, auf ewig ungleich bleiben?

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Nataly von Eschstruth

Ungleich

Band I

Roman

Mit Illustrationen von Hd. Wald

Saga

Ungleich - Band I

German

© 1894 Nataly von Eschstruth

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711469958

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com– a part of Egmont, www.egmont.com

Meinem hochverehrten Vetter

Herrn General

Wilhelm von Knobelsdorff

und seiner Gemahlin

Frau Sophie von Knobelsdorff

geb. Gräfin Pahlen, Freiin von Astrau

in herxlicher Zuneigung gewidmet.

I.

Juvivallera“ hiess er. Wie er zu diesem ganz aussergewöhnlichen Spitznamen kam, wusste eigentlich nur die alte Kinderfrau, welche den einzigen Sohn des Grafen Lankwitz grossgezogen hatte. Dermalen, als sie den kleinen Cyprian noch auf den Armen wiegte, war sie eine rüstige, kreuzfidele junge Bäuerin, welche kein besseres Schlummerlied für den jungen Herrn wusste, als das vergnügliche "Juvivallera“, welches einst ihr „Student auf Sommerfrische“ im heimatlichen Dorfkrug alltäglich geträllert!

„Juvivallera! Juvivallera!“ klang es dem Gräflein Cyprian von früh bis spät in die Ohren, — was Wunder, wenn das erste Wort, welches er lallte, nicht „Papa“ oder „Mama“, sondern in sehr spasshaften Gurgellauten: „Juvivallera“ lautete! Und als er kaum sprechen konnte, begann er auch schon zu singen, genau in der Weise seiner lustigen Frau Rosel; ein Juvivallera um das andere, — so drollig und niedlich, dass die Eltern ihn schliesslich selber den „kleinen Juvivallera“ nannten und damit das Signal zur allgemeinen Nachahmung gaben!

Und es gab wohl kaum einen Namen, welcher passender für das junge Herrlein gewesen. Verzogen und unartig, wie einzelne kleine Nesttyrannen es meistens sind, dominierte und kommandierte er das väterliche Schloss vom Keller bis zum Boden, aber in einer so gewinnend heitern und übermütigen Weise, dass kein Mensch ihm böse sein oder strafend entgegentreten konnte.

Cyprian war die verkörperte Liebenswürdigkeit neben all seinen Unarten und tollen Streichen. Wie eitel Sonnenschein strahlte es von seinem goldlockigen Köpfchen und dem lachenden, kecken Kindergesicht aus. Er war lediglich ein wilder Schlingel, um sich zu amüsieren, nicht um andere zu ärgern oder zu schädigen, und da er ohne jegliche Furcht vor irgend welcher Strafe, sehr selbstbewusst und sorglos emporwuchs, so trat er lachend für jede seiner kleinen Schandtaten ein, stets lustig und guter Dinge, frank, frei, keck und unberechenbar und dabei so herzgewinneud, dass er wie ein junger Siegesgott unter der Fanfare „Juvivallera“ seinen Triumphzug durch das Leben antrat.

Prügel hatte er nie bekommen. Als sich die Gräfin und die weiblichen Geister seiner Bedienung einst allzu bitterlich bei Graf Lankwitz beklagten, das Söhnlein wachse ihnen in geradezu beängstigender Weise über den Kopf, fasste der entrüstete Vater den martialischen Entschluss — eine Rute anzuschaffen! Das grosse Ereignis ging auch tatsächlich vor sich. Wunderschön mit Bandrosetten in den Farben des Lankwitzschen Wappens geschmückt, prangte eine nagelneue Rute hinter dem Spiegel der Kinderstube, und gefolgt von dem Personal, schritt das Elternpaar feierlich herzu, dem Sprossen die entsetzliche Bedeutung dieses Instrumentes klar zu machen.

Cyprian stand bereits, beide Fäustchen in den Taschen der blauen Sammethöschen versenkt, vor der neuen Akquisition und kam der väterlichen Rede durch die ganz entzückte Frage zuvor: „Aber Papa, was ist denn das da oben für ein famoses Ding?!“

Der Graf machte ein bitterernstes Gesicht: „Das ist eine Rute!“ sprach er mit furchtbarer Betonung.

„Eine Rute? Zu was braucht man die?“ forschte das Söhnchen mit bezauberndem Lächeln.

Mit etwas unsicherer Hand griff der Schlossherr empor und langte die farbenprächtige Peinigerin herab.

„Diese Rute ist dazu da, Cyprian, um damit zu prügeln“, begann er feierlich, aber die wohlausgedachte Ansprache gedieh nicht weiter, sie ward durch den hellen Jubel des Kleinen in der Knospe erstickt.

„Juvivallera! Juvivallera!“ jauchzte er auf, stürzte sich auf die Rute los und entwand sie den Händen des verblüfften Vaters. „Zum prügeln? Das ist ja prachtvoll!“ Und ehe die entsetzte Zuhörermenge das Überraschende fassen konnte, schwang seine kleine Hand die Birkenreiser und sauste damit züchtigend auf Frau Rosel los. Kreischend und zeternd stob die Schar auseinander, Freund Juvivallera mit lustblitzenden Äuglein hinterdrein, wie wenn der Wolf die Herde scheucht!

Fern hin verklang der Lärm, — und Graf und Gräfin sahen sich sprachlos an, bis die Mutter in ein schallendes Gelächter ausbrach und der Vater resigniert seufzte: „Diese Sache war in der Anlage verfehlt, Dorettchen! Die Rute ist jetzt wohl da, aber Herr Cyprianus geruht, sie selber zu schwingen!“ — — —

Schloss Neudeck war ein schöner und altvornehmer Besitz, aber Graf Lankwitz sah ein, dass in heutiger Zeit ein recht respektables Privatvermögen dazu gehört, einen Landbesitz über Wasser zu halten. Das Barvermögen jedoch, welches er seinem Sohn Cyprian einst hinterlassen konnte, war nicht sehr bedeutend, und darum konzentrierten sich alle Hoffnungen des gräflichen Paares auf einen alten Onkel, den Paten des kleinen Juvivallera, welcher diesen zu seinem Erben machen wollte. Onkel Adolf war pensionierter Reitergeneral, besass ganz ausserordentliche Kapitalien und war ein so eingefleischter Junggeselle, dass man kaum noch fürchten konnte, er werde jetzt als hoher Siebziger, noch auf Freiers Füssen gehen.

Zu Cyprians fünftem Geburtstag hatte Onkel Adolf seinen beglückenden Besuch in Aussicht gestellt, und das Ehepaar Lankwitz lebte seit Wochen nur den Bemühungen, ihr unberechenbares Söhnlein genügend für diesen bedeutungsschweren Tag einzudrillen. Onkel Adolf war von der Natur sehr stiefmütterlich bedacht, was äussere Reize anbetraf, und gerade, was diese seine Hässlichkeit anbelangte, war er äusserst empfindlich und sehr leicht aufs bitterste gekränkt.

Die Sorge der Lankwitzschen Eltern ging nun hauptsächlich darauf hin, Klein-Juvivallera zu bearbeiten, dem Onkel nur die allerliebenswürdigsten Sachen zu sagen, und wider Erwarten zeigte der Sprosse auch viel verständnisvolles Entgegenkommen und versprach, den gestrengen Onkel in jeder Weise zärtlich und liebevoll zu behandeln. Er hielt auch Wort.

Mit geheimem Entzücken beobachteten es die Eltern, wie herzgewinnend der kleine Bursch den wichtigen Gast umschmeichelte, wie sehr Onkel Adolf von ihm begeistert war, wie das Verhältnis zwischen beiden stets inniger und zärtlicher ward.

Die Dinergäste der umliegenden Schlösser trafen ein, darunter auch die sehr hübsche und amüsante Nichte der Baronin Bohden, welche dem General bereits aus der Residenz her bekannt war.

Mit ihr promenierte er hauptsächlich in dem schattigen Park, und dabei hielt er das weiche Händchen Cyprians in der seinen, stolz und beglückt, dass das Kind so zärtlich und anhänglich ihn auf Schritt und Tritt begleitete. Und das war keine Berechnung bei Cyprian, sondern ehrliche Überzeugung, denn der alte Herr mit seinen derben Liebkosungen gefiel ihm, und seine von den Eltern so glorifizierte Persönlichkeit übte den Reiz des Neuen und Interessanten auf ihn aus.

So bestand er auch zu des alten Junggesellen besonderer Genugtuung darauf, beim Diner an der Seite des Onkels verweilen zu dürfen, und weil er sein Champagnerbecherchen sehr flott zu heben verstand, so ward das weinselige Verhältnis zwischen beiden stets inniger. Onkel Adolf war ja niemals schön, aber wenn er etwas eifrig pokulierte, gaben die erhöhten Farben seinem wulstigen Gesicht etwas geradezu lächerlich Hässliches.

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