Trotz der oft schmerzvollen Auswirkungen dieses Zusammenpralls halten Courage -Mitglieder an ihrer Überzeugung fest, dass die Stimme der Kirche zum Thema Homosexualität die Stimme Christi ist. Sie bleiben standhaft in ihrem Streben nach Enthaltsamkeit – und darüber hinaus nach der Heiligkeit des Lebens – wegen ihres Glaubens an die Macht, die Weisheit, die Güte und das Erbarmen des gekreuzigten und auferstandenen Erlösers. In dieser Hinsicht sind sie beachtenswerte Vorbilder glaubwürdiger Jüngerschaft. Die Mitglieder von Courage und dem angeschlossenen Dienst EnCourage für Familienmitglieder von Menschen mit gleichgeschlechtlichen Neigungen haben meinen priesterlichen Dienst in herausragender Weise bereichert und gesegnet. Sie bieten der Welt ein glaubwürdiges, deutliches und dringend benötigtes »Zeichen des Widerspruchs« (Lk 2,34) in einer Zeit, in der wir leichtfertig über etwas so Grundlegendes wie die sexuelle Identität für die menschliche Person in die Irre geführt und getäuscht werden.
Aufgrund der neun Jahre, in denen ich in der Zentrale von Courage International gearbeitet habe, kann ich Pater Harveys Aussage nur bestätigen. Ich habe an vielen Konferenzen und Studientagen für Kleriker, Ordensleute und Laien teilgenommen, die treu ihren Dienst in einem Apostolat hier in den Vereinigten Staaten und auch im Ausland verrichten. Obwohl die verschiedenen Zuhörergruppen sich für meine Ausführungen über die christliche Anthropologie und die kirchlichen Normen für die Seelsorge interessierten, waren sie immer – und zu Recht – noch mehr daran interessiert, etwas von Courage -Mitgliedern über deren persönliche Erfahrungen mit gleichgeschlechtlichen Neigungen zu erfahren, aber auch etwas über die kirchliche Stellungnahme zu diesem Thema, besonders im Hinblick darauf, was sich als hilfreich und als nicht hilfreich herausgestellt hat. Während sich die stärksten Argumente für die kirchliche Lehre auf die menschliche Natur und die göttliche Offenbarung stützen, sind diese Argumente oftmals nicht überzeugend in einer Welt, in der wissenschaftliche Erkenntnisse und individuelle Erfahrungen wichtiger genommen werden als die Metaphysik, das Naturrecht und die Heilige Schrift, sogar unter einigen der »Glaubensgenossen« (Gal 6,10).
Die »Diktatur des Relativismus«, wie Kardinal Ratzinger die moderne moralische Methodologie bezeichnete 1, ist tief in der Geschichte der Menschheit verwurzelt. Seit dem Fall Adams steht der Mensch in seinem Inneren der Wahrheit zwiespältig gegenüber, was beim hl. Markus in seiner Beschreibung der inneren Vorgänge in der Seele des Herodes, als er Johannes dem Täufers zuhörte, gut wiedergegeben wurde. Denn »Herodes fürchtete sich vor Johannes, weil er wusste, dass dieser ein gerechter und heiliger Mann war. Darum schützte er ihn. Wenn er ihm zuhörte, geriet er in große Verlegenheit und doch hörte er ihm gern zu« (Mk 6,20).
Warum hat Herodes Johannes »gerne« zugehört? Weil Herodes für die Wahrheit bereit war und erkennen konnte, dass Johannes ihm die Wahrheit mit offensichtlicher Nächstenliebe verkündete. Deshalb fühlte Herodes sich zur Wahrheit hingezogen. Aber gleichzeitig war Herodes auch »durcheinander«, weil Johannes ihn aufforderte, sich von etwas zu distanzieren – dem Ehebruch – und auch von jemandem – der Frau seines Bruders, Herodias –, die Herodes’ Seele Schaden zufügte und die ihrerseits auch von Herodes verletzt wurde durch ihre unkeusche Beziehung. Beide Männer fallen auf unterschiedliche Weise den Gefahren zum Opfer, die von der sexuellen Unmoral ausgehen: Herodes enthauptet Johannes, weil sein Wille schwach ist, und bleibt ein Gefangener seiner Leidenschaften. Johannes wird ein Märtyrer der Enthaltsamkeit, die Jesus bald als menschliche Tugend, die notwendig ist für die Freiheit, den Frieden und die Erlösung eines jeden Menschen, verkünden wird.
»Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen«, sagte Jesus (Lk 21,33). Der Inhalt der Heiligen Schrift bleibt für die Christen von prophetischer Gültigkeit, weil wir glauben, dass sie uns unsere eigene Geschichte erzählt, die Geschichte der Kinder Gottes, in deren Herzen oft Tugend und Laster nebeneinanderstehen. Für uns ist es vorteilhaft, wenn wir über Herodes nachdenken, weil wir in Demut und Aufrichtigkeit wissen, dass wir in Bezug auf die Wahrheit die gleiche Erfahrung der Zwiespältigkeit machen, wie es bei ihm der Fall war. Nicht jeder ist ein Ehebrecher, das ist klar, aber wir alle sind von unserer menschlichen Schwachheit in dieser oder jener Ausprägung betroffen. Sogar der hl. Paulus hat demütig eingeräumt: »Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will, das vollbringe ich« (Röm 7,19).
Ich führe Herodes als ein Beispiel für unsere Kultur an, obwohl ich den hl. Paulus vorziehen würde. In so vielen Bereichen unseres Lebens ist unser Verhältnis zur Wahrheit sowohl ein »Ja« als auch ein »Nein«. Wir freuen uns über die Wahrheit, aber zur gleichen Zeit bringt sie uns auch durcheinander. Wir bewundern diejenigen, die ihre Versprechen auch unter Schwierigkeiten halten, und würden sie auch gerne nachahmen. Tatsächlich erwarten wir, dass die anderen ihre Versprechen uns gegenüber halten. Aber wir wollen uns auch von unseren eigenen Versprechungen frei machen. Wir schätzen demütige und dankbare Leute und hätten diese Charakterzüge gerne selbst. Aber was uns betrifft, sind wir geneigt, unseren Stolz und unseren Egoismus zu entschuldigen. Wir bewundern diejenigen, die die größten Opfer bringen, und hoffen, dass wir selbst zu gegebener Zeit so edel wären. Aber wir vermeiden es, etwas von unserem Überfluss abzugeben. Wir verlangen von anderen Wahrhaftigkeit und möchten gerne als integre Personen anerkannt werden. Aber wir selbst entsprechen diesen Idealen nicht.
Vielleicht bleibt uns ja trotz allem eine Hoffnung, dass selbst in einer Atmosphäre des moralischen Relativismus niemand sich selbst gerne als Heuchler sieht oder von anderen als ein solcher bezeichnet werden will. Tief im Herzen hat jeder den Wunsch, das Richtige zu tun, und auf diese Weise können wir uns – Gott sei Dank – mit teilweisem Erfolg der Erkenntnis entziehen, dass unsere Worte, Taten und unser echtes Verlangen nicht immer deckungsgleich sind. Die Frage stellt sich dann, welchen Weg wir wählen, den des Herodes oder den des Paulus?
Die Geschichte des Herodes lehrt uns etwas, jedoch ist er für Christen kein bewundernswerter Held. Wir brauchen den hl. Paulus und den hl. Johannes den Täufer und andere Stimmen, die, »von der Liebe geleitet, die Wahrheit bezeugen« (Eph 4,15), um uns von unseren selbst auferlegten Widersprüchen und unseren inneren Konflikten zu befreien. Es scheint mir, dass diese Selbstverletzung, die im Gegenzug auch andere verletzt und unseren Schöpfer beleidigt, nirgends offensichtlicher hervortritt als in Dingen, die die Sexualität betreffen. Was diesen Bereich angeht, so sind wir hier in besonderer Weise selbst die Ursache für unser Unglück, weil wir dazu neigen, »das Böse gut [zu] nennen« (Jes 5,20). Sicher ist, dass wir auch in der Lage sind, das »Gute böse« zu nennen (ebd.). Was in früheren Zeiten als sexuelle Promiskuität – Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe – betrachtet wurde, ist nun zur akzeptierten Norm geworden. Auf der anderen Seite werden Jungfräulichkeit, Enthaltsamkeit, Treue, Reinheit des Herzens und Bescheidenheit im Auftreten und in der Sprache mehr und mehr als eigenartig oder sogar anormal empfunden.
Es gibt mehrere Anzeichen für Not und Elend, wenn es um den Missbrauch der Sexualität geht. Da ich einen Großteil meines priesterlichen Dienstes der Lehre der Sexualethik und der Heilung der Wunden von Sünden auf dem Gebiet der Sexualität gewidmet habe, will ich hier einige erwähnen: Einsamkeit, gebrochene Herzen und enttäuschte Liebe. Man könnte diese Merkmale anhand statistischer Daten überprüfen. Aber ich glaube, dass die Geschichten von Leuten aus unserem Umfeld oder vielleicht unsere eigene Geschichte genügen, sie zu bestätigen, und hoffentlich etwas dagegen zu unternehmen.
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