Wo der Mensch den ungeordneten Neigungen nachgibt und sich in ihnen verfängt, kann es auch zu einem Hass kommen auf Gott und auf seine Gebote, die uns der Sünde überführen. Erst durch die Erlösungsgnade werden wir neu geschaffen, wenn auch die Neigung zur Sünde im Getauften noch bleibt. Sie ist Neigung zur Sünde, aber nicht selbst Sünde, wie das Konzil von Trient erklärt. Sie dient nun als Medium der Prüfung und der tieferen Reifung im Glaubensgehorsam gegenüber Gott.
Durch die Erbsünde ist die menschliche Natur verletzt, aber nicht zerstört. Der Mensch ist aufgerufen, mit der Gnade der Rechtfertigung und der Erhöhung zur Gotteskindschaft und Gottesfreundschaft mitzuwirken. Mit dem Heiligen Geist können wir das Begehren des Fleisches, d. h. der desintegrierten geist-leiblichen und sozialen Natur und der Persönlichkeitsstruktur, besiegen. »Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Enthaltsamkeit; gegen all das ist das Gesetz nicht. Die zu Christus Jesus gehören, haben das Fleisch und damit ihre Leidenschaften und Begierden gekreuzigt« (Gal 5,22–24).
Die Identität des Menschen ergibt sich aus seiner personalen Beziehung zu Gott, welcher der Garant unser Würde und Freiheit ist. Wir erkennen, dass Gott Ursprung und Ziel des Menschen ist. Der Sinn des Lebens kann nicht im sinnlichen Genuss, im Ausleben der Triebe, in der Befriedigung sexueller Lust bestehen, sondern nur im Suchen und Finden der Wahrheit und im Tun des Guten.
Deshalb wehrt sich der Autor zu Recht dagegen, wegen der sexuellen Anziehung durch Personen des eigenen Geschlechtes für eine Ideologie vereinnahmt zu werden, die aus dieser ungeordneten Neigung neben Mann und Frau eine dritte Kategorie von Menschen erfindet, nämlich den Gay . In der Gender-Ideologie erweitert man diese Kategorien ins Unendliche, indem man aus jeder Form von sexueller Vorliebe eine eigene geschlechtliche Identität konstruiert. Sich also als Gay zu identifizieren oder sich als solcher identifizieren zu lassen heißt, den ganzen Reichtum des Menschseins, die Entfaltung aller geistigen und künstlerischen Gaben, die Verantwortung für die Welt und die Transzendenzoffenheit mit der Berufung zum ewigen Leben nur auf eine sexuelle Attraktion durch Menschen des eigenen Geschlechtes zu reduzieren.
Diesem Menschenbild, das sich einer sozialen Konstruktion verdankt, steht die christliche Anthropologie entgegen, die sich an der geschaffenen Natur des Menschen und an der Offenbarung der Wahrheit und der Liebe Gottes orientiert. Indem man Begriffe wie Gay aus einer Kopfgeburt hervorgehen lässt, macht man die Normalität einer ehelichen Beziehung von Mann und Frau zu einer Variante der menschlichen Natur. Statt der Unterscheidung von Mann und Frau gibt es auf einmal zwei andere grundlegende Menschentypen: nämlich den homosexuellen und den heterosexuellen Menschen. Mit der Veränderung der Sprache, ihrer Begriffe und gedanklichen Kategorien verändert man die Wahrnehmung der Wirklichkeit, ohne sie in der Realität verändern zu können. Ein Mann bleibt ein Mann und eine Frau bleibt eine Frau – trotz der künstlichen, aber nicht realen »Geschlechtsumwandlung«. So wurde auch der Kampfbegriff der Homophobie erfunden, um jede Alternative zur Ideologie der Homo- und Gender-Bewegungen a priori zu diskreditieren. Menschen mit Problemen der sexuellen Desorientierung, die sich dieser Bewegung nicht anschließen, werden folgerichtig als Verräter geächtet.
Das ist das Wesen der Ideologie, dass sie eine falsche Wirklichkeit konstruiert und den Menschen zu ihrem Sklaven macht. Man muss nur an die brutale Rücksichtslosigkeit denken, mit der scheinbar liberale und sozialistische Regierungen westlicher Staaten diese Agenda durchpeitschen und die Gewissen der Andersdenkenden terrorisieren.
Es geht bei der globalen Auseinandersetzung nicht – wie beschwichtigend gesagt wird – nur um die Rechte von bisher verfolgten Minderheiten, sondern um den ursprünglichen Sinn und das letzte Ziel des menschlichen Daseins.
Was ist überhaupt die menschliche Natur? Was ist Sinn und Ziel der Ehe von Mann und Frau als Keimzelle der Kirche und der Gesellschaft und als Quelle ihres Glücks und Weg zur Vollkommenheit in Gott? Welche Berufung drückt sich aus in der Erkenntnis des Menschen als Person, wenn der Mensch die einzige Kreatur ist, die von Gott um ihrer selbst willen geschaffen ist, »die sich selbst nur durch die aufrichtige Hingabe seiner selbst vollkommen finden kann« (GS 24) 1und die einzigartige Würde jedes einzelnen Menschen sowohl durch die Offenbarung wie auch durch die Vernunft erkannt wird? (DH 2) 2. Kann der Mensch, obwohl er ein irdisches und weltliches Lebewesen ist, aufgrund der unendlichen Offenheit seines Geistes überhaupt im Irdischen und Vergänglichen seine Vollendung finden? Hat er deswegen nicht eine göttliche Berufung, die durch die Selbsttranszendenz seines Geistes in Vernunft und Freiheit in Gott ihre Erfüllung findet?
Das sind die Fragen, die uns auch heute wie zu jeder Zeit bewegen. Die Reduktion auf ein animalisches Wesen, die den Menschen um Gott betrügt und die Gesellschaft spaltet in Lügner und Belogene, bedeutet keinen Fortschritt in der Perfektion des Menschen, sondern erweist sich als ein enormes Defizit in der Anthropologie. Sie lässt den Menschen in Sinnlosigkeit und Verzweiflung zurück. Ihr geheimes Paradigma ist der Nihilismus.
Die Ruinen, die die Reduktion des Menschen auf ein Triebwesen zurücklässt, sind erschütternd: Abtreibung, verbrauchende Embryonenforschung, die unzähligen Menschen, die in ihrer ehelichen Treue verraten wurden, und die, die ihr Versprechen gebrochen haben, die vielen Kinder und Jugendlichen, die um die Geborgenheit ihres Zusammenlebens mit ihrem eigenen Vater und ihrer eigenen Mutter betrogen wurden, die verlogene Umdefinition der Ehe zur einer Sexkomplizenschaft, wenn sie ihrer fundamentalen Einheit von Mann und Frau in der fruchtbaren Liebe beraubt wird.
Die sogenannte sexuelle Revolution hat nicht – wie sie sich selbst beschönigend darstellt – die Menschen von einer rigorosen und prüden bürgerlichen Doppelmoral befreit. Sie ist vielmehr verantwortlich für die Desintegration von Sexus, Eros und Agape, die in der substanzialen Einheit von Seele und Leib grundgelegt sind.
Der Autor kann überzeugend erklären, warum ein Leben nach den Geboten Gottes, wie sie in der Lehre der Kirche erklärt werden, den Menschen nicht krank macht, sondern von innen heraus heilt und ihm Hoffnung und Sinn gibt, die über die Grenzen des nur Menschlichen hinausweisen. Die Gebote Gottes sind vom Menschen nicht im bloß formalen Gehorsam zu erfüllen, weil sie keine von außen auferlegten Normen sind. Sie sind vielmehr Ausdruck des Willens Gottes, der uns liebt und uns gerade darum von unserer Selbstbezogenheit heilen will. Nur in der Liebe zu Gott und zum Nächsten, den wir lieben sollen wie uns selbst, können alle Gebote Heil bringend erfüllt werden. »Denn darin besteht die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten; und seine Gebote sind nicht schwer. Denn alles, was aus Gott gezeugt ist, besiegt die Welt. Und das ist der Sieg, der die Welt besiegt hat: unser Glaube« (1 Joh 5,3–4).
In dem Personalausweis, den dein Schöpfer dir ausstellt, wird deine Identität nicht als Gay oder Ähnliches ausgegeben. Dort steht, wer du wirklich bist: Sohn und Freund Gottes.
Dies mit seiner Lebensgeschichte und einer tiefen philosophisch-theologischen Reflexion aufgezeigt zu haben, ist das Verdienst des Buches von Daniel C. Mattson und seiner Erklärung, warum er es sich verbittet, als Homosexueller bezeichnet zu werden.
Gerhard Ludwig Kardinal Müller
Vorwort zur englischen Ausgabe von Robert Kardinal Sarah
Geheiligt in der Wahrheit
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