Brian Kirk
ROMAN
Titel der englischen Originalausgabe:
WILL HAUNT YOU
1. Auflage
Veröffentlicht durch den
MANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYK
Frankfurt am Main 2020
www.mantikore-verlag.de
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe
MANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYK
Text © 2019 Brian Kirk
Deutschsprachige Übersetzung: Jan Enseling
Lektorat & Korrektorat: Anja Koda & Simon Burandt
Satz: Karl-Heinz Zapf
Covergestaltung: Rossitza Atanassova & Matthias Lück
VP: 295-172-01-04-0920
eISBN: 978-3-96188-133-8
Brian Kirk
Ich habe so ein Buch gelesen, wie du es gerade in den Händen hältst. Und dies ist mir zugestoßen. Mache nicht den gleichen Fehler! Bitte, leg es weg! Oder besser noch: Wirf es weg! Dies ist deine letzte Warnung. Blättere um, und du bist auf dich allein gestellt. Nein, das stimmt nicht ganz. Blättere um, und er wird da sein und dir zusehen .
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Das Buch war das letzte, woran ich dachte, als ich an in jenem Abend zum Auftritt kam. Irgendwas hätte aber meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen sollen, als ich Solomon sah. Die Brandnarbe, die durch den Kragen seinen Hals hinaufkroch. Der gottverdammte Schimmer in seinen Augen.
»Jesse, mein Alter!«, donnerte er, als er mich den dunstigen Raum betreten sah. Solomon ist ein mürrisches Arschloch, kein vergnügter Kumpel, der mich begrüßen würde wie einen heimkehrenden Kriegshelden. »Wie läuft’s?«
Wir gaben uns die Hand, umarmten uns hölzern. Er war heiß. Das hätte ein weiterer Hinweis sein können. Seine Brust und sein Rücken glühten, als hätte er sehr hohes Fieber, aber ich schob es auf die Sommerhitze. Vielleicht das Lampenfieber.
Caspian saß bereits an der Bar und kippte wohl schon seinen dritten Kurzen Jameson. Zwei leere Flaschen lagen wie gefallene Soldaten auf der Theke vor ihm, und ich wusste, was das bedeutete, kannte die Art von Nacht, die es prophezeite. Caspian mit einer Flasche Whiskey war unheilvoller als ein Clown in einer dunklen Gasse.
Und die Erinnerungsfetzen, die der Anblick hervorrief, brachten mich beinahe dazu, umzudrehen und wieder zur Tür hinauszugehen.
Nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte, wenn ich gegangen wäre. Ich war am Arsch, ganz egal, was ich als Nächstes tat.
Das Begrüßungsritual war kurz. Wir hatten seit einem Jahrzehnt nicht mehr zusammen gespielt, waren aber alle in Kontakt geblieben. Caspian trieb sich immer noch herum – hatte eine Fangemeinde aus Speichelleckern, die ihm überallhin folgte. Solomon arbeitete jetzt für eine Merchandising-Firma, die Bandshirts, Autoaufkleber und anderen billigen Nippes verkaufte. Kevin arbeitete als Tontechniker in einem seriösen Studio und verdiente ganz gut, soweit ich wusste.
Ich hatte … tja, dazu komme ich noch, schätze ich.
Ich war kurz vor dem angesetzten Showbeginn angekommen, um das Vorglühen zu meiden. Die Versuchung war noch immer zu stark. Ich kenne meine Grenzen, und um clean zu bleiben, ist Vermeidung das Beste für mich. Nicht, dass der Full Moon Saloon einen Backstage-Bereich hätte, wo das harte Zeug die Runde macht. Aber trotzdem. Ein Ausrutscher, und ich konnte die letzten sieben Jahre in den Wind schießen. Warum das Risiko eingehen?
Der Barmanager gab uns das Zeichen, dass es soweit war, und wir gingen hinüber zur Bühne, um unsere Instrumente einzustellen. Solomon setzte sich auf den Hocker, klopfte auf die Bassdrum, ließ die Snare prasseln. Kevin positionierte sich auf der rechten Seite der Bühne, ich auf der linken. Der Gitarrengurt auf meiner Schulter fühlte sich angenehm an, meine Jim Root Telecaster surrte in meiner Hand. Und in diesem Augenblick kam alles wieder. Die unheimliche Energie, die entsteht, wenn der Verstärker aufgedreht ist und das Publikum auf der richtigen Wellenlänge liegt – selbst in einer halbleeren Spelunke wie dieser.
In der Mitte der Bühne stampfte Caspian zum Takt der Basstrommel mit dem Fuß. Dann, genau zum Einsatz, riss er die Faust hoch, und zum ersten Mal seit zehn Jahren rief er die Toten auf, sich zu erheben. Ein Chor von betrunkenem Grölen ertönte aus der schmalen Menge der wenigen Anhänger, die gekommen waren, um sich ihre liebste Kultband aus einer Ära anzusehen, an die sich kaum erinnerten.
Ich schaute Caspian an und grinste über die Absurdität des Anblicks. Seine ergrauenden Achselhaare flatterten herum wie die Fühler einer kranken Seeanemone. Vor zehn Jahren wäre er oben herum nackt gewesen, glänzendes Öl auf seinen Rockstar-Bauchmuskeln. Heute aber trug er ein Muskelshirt, um seinen herunterhängenden Bierbauch und seine fleischigen Brüste zu verstecken. Wenigstens bekräftigte das Pentagramm, das vorne auf das Shirt gedruckt war, die Wut, die immer noch in seinem alterslosen Herzen tobte. Und die Tattoos auf seinen Armen leuchteten noch immer wie frisches Blut. Solomon hieb nun auf das Pedal ein, ein rituelles Kriegstrommeln, das bis zur Show herunterzählte. Drei, zwei, eins …
Ich schlug die Gitarre so heftig an, wie ich konnte: eine einzige schnelle Bewegung nach unten, die die Uhr um zehn Jahre zurückdrehte und einen so lauten, verzerrten Akkord brüllte, dass einer unserer alten Roadies, Sam Holt, zurücktaumelte und sein Bier fallenließ. Sam wurde aus drei Jobs gefeuert, war von zwei Ehefrauen verlassen worden und verlor die Schlüssel vom Bus öfter, als ich zählen konnte. Aber das war das erste Mal, dass ich jemals gesehen hatte, wie diesem Veteranen das Bier aus der Hand glitt.
Unsere Eröffnungsnummer war »Coffin Dust«, eine Power-Ballade über unerwiderte Liebe, die Caspian geschrieben hatte, als er als Zehntklässler in der Highschool abgeblitzt war. Das Lied war eine schmutzige Metapher dafür, wie seine Exfreundin im Bett gewesen war. Lance Caspian, immer ein Mann von Klasse. Als Nächstes kam »Within a Cage of Hate«. Der Song hat keinen Text, nur Schreie und kehliges Heulen. Das Riff besteht aus nichts weiter, als dass ich mit dem Plektrum so schnell ich kann über die E-Saite harke, während Kevin den Bass dröhnen lässt, als würden Bomben fallen.
Ich spreizte die Beine und ging in die Hocke, nahm eine Pose ein, von der ich mir immer vorgestellt hatte, sie in einer Arena voller kreischender Fans zu zeigen. Passiert war es nie. Das hier musste reichen.
Trotzdem fühlte es sich verdammt gut an.
Die Menge hatte sich nach dem dritten Song aufgelockert, die rund sechzig Leute verteilten sich vor der Bühne. Alte Achtziger-Jahre-Metalheads. Sie trugen ihre Bandshirts immer noch in die zu engen Jeans gesteckt. Die Köpfe ruckten auf steifen Hälsen. Sie klammerten sich an das wenige Haar, das sie noch hatten. Die Arme wütend hochgerissen, Finger zu Teufelshörnern gespreizt.
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