Er murmelte, ließ Luft durch seine ledrigen Lippen entweichen. Hielt inne, atmete schnarchend ein.
Winzig kleine Lichter blitzten im Rückspiegel auf. Scheinwerfer am Horizont, die auf uns zukamen.
Ich ließ mich in den Sitz zurückfallen, empfand plötzliche Erleichterung. Diese ganze Masche musste etwas mit diesem dämlichen, gottverdammten Buch zu tun haben, dass ich dank Solomon gelesen hatte. Gut, okay. Darum ging es also. Er hatte mir sogar eine verlogene Warnung mit auf den Weg gegeben, als ich die Bar verließ; ich war einfach zu abgelenkt gewesen, um darauf zu achten. Er hatte die Karten offengelegt.
Herrgott, wie lange hatten sie daran gebastelt? War das der Grund für die ganze Reunion-Show, mich einfach nur zu verarschen? Wieso?
Weil ich das Heimchen am Herd war, deswegen. Derjenige, der dringend einen kleinen Kick brauchte.
»Nicht schlecht, Caspian«, sagte ich, immer noch unsicher, ob er nur so tat, als schliefe er, oder nicht. »Keine Ahnung, ob ich angepisst oder beeindruckt sein soll. Schätze beides.«
Ich konnte jetzt den Motor des herankommenden Autos hören. Die Scheinwerfer wurden heller.
»Also, was jetzt? Hocken wir einfach hier rum?«
Caspian schnarchte leise weiter. Diese Deppen mussten bei Martin Scorsese in die Schauspielschule gegangen sein.
»Alter!« Mit der Rückhand schlug ich ihm hart gegen die Brust und revanchierte mich damit für den Schlag in meine Magengrube vorhin. Caspian ächzte, rührte sich, wachte aber nicht auf. »Hey!« Ich packte sein langes, dünnes Haar und riss daran. Langsam nervte es. Streich oder nicht, ich musste nach Hause. Cassie würde sich Sorgen machen, wenn ich zu spät kam, ohne vorher anzurufen. Ich riss immer stärker an seinem Schädel, bis ich hörte, wie Haarsträhnen an der Wurzel herausgerissen wurden.
Endlich schnaufte er und hob abwehrend die Hand. »W’s sur Hölle?«, lallte er verschlafen. Ich hielt weiter sein Haar gepackt und drehte ihn zu mir herum.
»Guten Morgen, Sonnenschein.«
Caspians Gesicht schien einen Moment lang etwas zu bemerken, dann erschlaffte es. Seine Lider blieben geöffnet, aber seine Augen wurden glasig. Niemand zu Hause. Entweder vertrug Caspian nichts mehr, oder jemand hatte ihm was in den Drink gemischt. So eine Darbietung konnte keiner vortäuschen.
Ich hörte das Rumpeln von Rädern und sah zu, wie das näherkommende Fahrzeug hinter uns auf dem Standstreifen anhielt. Die vom Rückspiegel reflektierten Scheinwerfer ließen mich die Augen zusammenkneifen, bis ich ihn abblendete. Der Motor war ein lauter, wütend klingender Diesel. Nach der ungefähren Höhe der Motorhaube und der Scheinwerfer zu urteilen, sah es nach einem Abschleppwagen aus. Mit quietschenden Reifen kam er ein paar Meter hinter meiner Stoßstange zum Stehen und entließ dann in einem beängstigenden Keuchen Druckluft. Es war dank der blendenden Lichter unmöglich, durch die Windschutzscheibe zu sehen.
»Keine Sorge« , hatte der blasierte DJ gesagt. »Hilfe naht.«
»Gottverdammt, Caspian! Ich hab’ keine Zeit für diesen Scheiß. Wach auf, du Arschloch!«
Ich erwartete keine Reaktion von ihm. Ich wollte nur meine eigene Stimme hören. Prüfen, wie fest sie klang. Versuchte, die Situation irgendwie in den Griff zu bekommen, die aber immer mehr aus dem Ruder zu geraten schien.
Der Laster rumpelte, und seine grellen Scheinwerfer strahlten derart in mein Auto, dass ich mich ungeschützt und angreifbar fühlte. Ich drehte mich um und starrte genau auf den Laster, wobei ich mein bestes »Fick-dich«-Gesicht auflegte. Wollte ein bisschen Selbstbewusstsein zeigen. Beweisen, dass ich mich nicht einschüchtern oder herumschubsen ließ.
Der Motor wurde abgestellt, aber die Lichter blieben an. Beide Türen gingen auf, und zwei Männer stiegen genau gleichzeitig mit abgestimmten Bewegungen aus der Fahrerkabine. Provinzmechaniker, so wie sie aussahen. Im Partnerlook mit passenden Jeansoveralls, gestreiften Hemden mit hochgerollten Ärmeln, dazu Schirmmützen aus Baumwolle. Ältere Männer. Ende fünfzig, Anfang sechzig. Dicke Brillen mit breiten Gestellen verbargen ihre Augen. Dunkle Flecken auf den Unterarmen. Sie sahen vollkommen gleich aus. Meine Augen huschten hin und her. Scheiße, wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass eineiige Zwillinge auftauchten, um mein Auto abzuschleppen, genau in dem Augenblick, da es den Geist aufgab?
Ich betätigte das Gurtschloss und spürte einen Anflug von Panik, als es klemmte. Bitte, lass mich hier nicht festsitzen. Lass nicht zu, dass sie es manipuliert haben. Dann aber löste sich der Gurt.
Gleichzeitig schlossen die beiden ihre Türen, das Krachen hallte durch die stille Nacht, dann kamen sie zu mir herüber.
»Nein, nein«, murmelte ich. »Scheiß auf das alles.«
Ich öffnete die Tür und stieg aus, sah nie den kleinen Knopf mit der Kamera auf dem Lenkrad. Genau so eine wie die, die jetzt dich sieht.
Die Straße wirkte verlassen, der Nachthimmel zeichnete sich in seiner unendlichen Weite ab. Aus der Zeit, als ich noch auf Partys ging, hatte ich gelernt, dass nie etwas Gutes nach Mitternacht geschieht. Statistisch gesehen stirbt man in den frühen Morgenstunden mit größerer Wahrscheinlichkeit. Verschwindet mit größerer Wahrscheinlichkeit.
Die beiden Männer hielten inne, als ich ausstieg. Ja, sie waren zweifellos identisch. Zumindest schienen sie es auf diese Entfernung zu sein. Hinterwäldlerische Brüder, die nur getrennt worden waren, als sich der Embryo spaltete.
»Gibt es ein Problem?«, sagten sie gleichzeitig, und ihr dicker Südstaatenakzent dröhnte wie aus einem Mund. Das konnte unmöglich nur Zufall sein. Es war zu theatralisch. Zu seltsam. Ich schätzte, bei einer Prügelei konnte ich es mit einem von ihnen aufnehmen, sollte es so weit kommen. Ich war nicht sicher, ob ich mit beiden fertigwerden konnte. »Alles gut«, sagte ich. »Ich hab’ schon den Automobilclub angerufen. Trotzdem danke fürs Anhalten.«
»Den Automobilclub?«, fragte der auf meiner Seite, der bewegungslos dastand und die Arme herunterhängen ließ.
»Hier in die Gegend kommt der nicht«, sagte der andere und vervollständigte die Aussage des anderen.
»Hier draußen gibt’s niemanden außer uns«, sagten beide wie aus einem Mund.
Sie standen vielleicht sechs Meter entfernt. Ich war froh über die Entfernung, wollte aber zeigen, dass ich mich nicht unterkriegen ließ. Ich nahm an, dass die Geschichte bald vorbei sein würde, und wollte meinen Freunden – wenn ich sie immer noch so nennen konnte – nicht noch mehr Munition liefern, die sie später gegen mich einsetzten könnten. Irgendwelche scheiß Aufnahmen von mir, wie ich vor diesen Trampeln davonrannte oder darum bettelte, dass sie aufhörten.
Ich hob die Arme und zuckte mit den Achseln. »Also, wie sieht’s aus? Können wir irgendwie zum Punkt kommen und die Sache hinter uns bringen? Ich hab’ eine Frau und ein krankes Kind zu Hause. Ich will sie nicht warten lassen.«
»Wollen nur helfen«, sagte der Mann, der mir am nächsten stand. Er griff hinter seinen Rücken und zog etwas aus der Schlaufe an seinem Gürtel. Einen großen Schraubenschlüssel aus Stahl, dessen Größe beinahe komisch wirkte. Mehr Waffe als Werkzeug.
Der Mann auf der anderen Seite kicherte – ein feuchtes Geräusch, als würde er seine Dritten verlieren. »Von hier muss man weit gehen, bis man irgendwo hinkommt, und nachts ist um diese Zeit nicht viel Verkehr. Wir wollen nur helfen.« Aus der Schlinge hinten an seinem Gürtel zog er einen Reifenmontierhebel. Zwiddeldum und Zwiddeldei trugen ihre Werkzeuge des Todes.
»Okay, dann müssen wir die Sache wohl durchziehen, schätze ich?« Ich beschloss, selbst theatralisch zu werden. Ich konnte nicht viel tun, außer mitzuspielen. »Ach, Mensch. Ja, Jungs. Mein Auto hat den Geist aufgegeben, und wie ihr schon sagt, nachts ist hier kaum Verkehr. Um es noch schlimmer zu machen, hat mein Handy keinen Saft mehr. Aber ich kann euch gar nicht sagen, wie froh ich bin, euch mit euren praktischen Werkzeugen zu treffen. Was für eine Erleichterung.«
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