b) Arten von Beteiligungsrechten
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Welche Beteiligungsrechte den einzelnen Gremien der Arbeitnehmervertretungen bei einer internationalen Restrukturierungsmaßnahme zustehen, variiert stark nach dem jeweils anwendbaren nationalen Recht. Im Allgemeinen lassen sich Beteiligungsrechte allerdings wie folgt kategorisieren:
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Auf unterster Stufe der Beteiligungsebene stehen die sog. Informationsrechte.28 Sie verpflichten den Arbeitgeber lediglich, die Arbeitnehmervertretung rechtzeitig und umfassend über die Restrukturierungsmaßnahme zu unterrichten und die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Arbeitnehmer darzustellen. Die Arbeitnehmervertretung ist jedoch nicht zur Beratung der Angelegenheit verpflichtet.29 Zu den reinen Informationsrechten gehören nach deutschem Recht z.B. das Informationsrecht des Wirtschaftsausschusses (bzw. des Betriebsrats für den Fall, dass kein Wirtschaftsausschuss besteht) im Falle einer Unternehmensübernahme, einem sog. Share Deal.30
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Eine rechtzeitige Unterrichtung setzt regelmäßig voraus, dass der Arbeitgeber die Arbeitnehmervertretung vor der geplanten unternehmerischen Entscheidung von sich aus zu unterrichten hat.31 Dementsprechend ist eine Unterrichtung regelmäßig dann verspätet, wenn die unternehmerische Entscheidung bereits endgültig getroffen ist.32 Zu einer umfassenden Unterrichtung gehört, dass die jeweilige Arbeitnehmervertretung alle Informationen erhält, die für eine sachgerechte Beurteilung der geplanten (Restrukturierungs-)Maßnahme und deren Auswirkungen für die Arbeitnehmer erforderlich sind.
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Die Unterrichtung erfolgt in der Regel unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen, ohne dass es insoweit eines ausdrücklichen Verlangens der Arbeitnehmervertretung bedarf.33
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Das Informationsrecht der Arbeitnehmervertretungen wird regelmäßig begrenzt durch das Recht des Arbeitgebers, die Auskunftserteilung wegen der Gefährdung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen zu verweigern.
bb) Anhörungs- und Beratungsrechte
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Anhörungs- und Beratungsrechte sollen es den Arbeitnehmervertretern ermöglichen, Einfluss auf den Entscheidungsprozess des Arbeitgebers zu nehmen. So muss sich der Arbeitgeber mit einer Stellungnahme der Arbeitnehmervertretung auseinandersetzen (Anhörungsrechte) oder sich mit der Arbeitnehmervertretung beraten (Beratungsrechte). So ist etwa der deutsche Betriebsrat vor jeder Kündigung anzuhören.34 In Frankreich verfügt der Sozial- und Wirtschaftsausschuss ausschließlich über Anhörungsrechte.35 So ist er z.B. bei jedem Projekt, das wesentliche Auswirkungen für das Unternehmen hat, anzuhören. Das gilt auch in Belgien in Bezug auf den sog. Unternehmensrat, dem lediglich Anhörungs- und Beratungsrechte zustehen.36 Auch in Spanien ist der Betriebsrat anzuhören und von ihm eine Stellungnahme vor Umsetzung einer Restrukturierungsmaßnahme einzuholen.37
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Letztlich ist der Arbeitgeber im Rahmen von Anhörungs- und Beratungsrechten in seiner unternehmerischen Entscheidung jedoch frei.38 Einer Zustimmung durch die Arbeitnehmervertretung bedarf es nicht. Ferner hat sich der Arbeitgeber etwa mit dem deutschen Betriebsrat über eine geplante Betriebsänderung zu beraten.39 Im Falle einer Betriebsänderung besteht jedoch die Besonderheit, dass das Recht des Betriebsrats nicht auf ein reines Beratungsrecht beschränkt ist, sondern eine Betriebsänderung interessenausgleich- und möglicherweise sozialplanpflichtig ist. Allerdings ist ein Interessenausgleich nicht erzwingbar, sodass der Arbeitgeber auch nach dem Scheitern der Verhandlungen mit dem Betriebsrat die unternehmerische Maßnahme umsetzen kann. Die Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers bleibt mithin erhalten.40 Zu beachten sind jedoch drohende Nachteilsausgleichsansprüche.41
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In den Niederlanden verfügt der Betriebsrat zwar ebenfalls über kein echtes Mitbestimmungsrecht im Hinblick auf organisatorische Entscheidungen, jedoch muss der Arbeitgeber einen Monat mit der Umsetzung einer Maßnahme warten, sofern der Betriebsrat diese Maßnahme abgelehnt hat.42 Innerhalb dieser Frist kann der Betriebsrat eine Beschwerde bei Gericht mit dem Ziel einreichen, die ausreichende und rechtzeitige Anhörung der Interessen der Arbeitnehmer zu überprüfen. Sollte das Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass Verfahrensfehler begangen oder Arbeitnehmerinteressen nicht vollständig berücksichtigt wurden, kann das Gericht eine dahingehende Entscheidung erlassen, dass die Unternehmensentscheidung ganz oder zumindest teilweise revidiert wird.
cc) Widerspruchs- und Zustimmungsverweigerungsrechte
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Soweit dies nach der jeweiligen nationalen Rechtsordnung vorgesehen ist, kann die Arbeitnehmervertretung in bestimmten Fällen einer Entscheidung des Arbeitgebers widersprechen. So kann der deutsche Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung in bestimmten Fällen widersprechen, etwa wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat.43 Ein Widerspruch kann zwar bestimmte gesetzlich geregelte Folgen auslösen, z.B. einen Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens,44 die Entscheidung jedoch in der Regel nicht zu Fall bringen.
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Etwas weiter gehen Zustimmungsverweigerungsrechte. Sie geben der Arbeitnehmervertretung unter bestimmten Voraussetzungen das Recht, einer Entscheidung des Arbeitgebers ihre Zustimmung zu verweigern. Häufig sehen die nationalen Regelungen jedoch vor, dass der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht beantragen kann, die Zustimmung zu ersetzen.45 In den Niederlanden steht dem Betriebsrat ein echtes Vetorecht zu, etwa in Bezug auf die betriebliche Arbeitszeit, Urlaub, Entlohnungssysteme etc. mit der Folge, dass der Arbeitgeber die Maßnahme nicht durchführen kann, wenn der Betriebsrat widerspricht.46
dd) Echte Mitbestimmungsrechte
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Auf der höchsten Stufe der Beteiligungsebene stehen die sog. echten Mitbestimmungsrechte. Hier steht die Arbeitnehmervertretung als gleichberechtigter Partner neben dem Arbeitgeber.47 So hat beispielsweise der deutsche Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der vorübergehenden Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit.48 Als weiteres Beispiel ist die Gewerkschaft in Polen zu nennen, der in bestimmten sozialen Angelegenheiten, wie z.B. bei Gruppenentlassungen, ein echtes Mitbestimmungsrecht zugestanden wird.49
c) Zeitpunkt der Einbindung der Arbeitnehmervertretungen
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Neben dem unter Rn. 149 beschriebenen Kommunikationsplan birgt oftmals die Frage des Zeitpunkts der Einbindung der Arbeitnehmervertretungen Schwierigkeiten. Auch hier gibt es je nach Art des Gremiums, geplanter Maßnahme und betroffener Jurisdiktion unterschiedliche Anknüpfungspunkte. Insbesondere gilt es, den richtigen Spagat zwischen einer zu frühen Beteiligung, wenn die konkreten Maßnahmen noch nicht abschließend feststehen, und der verspäteten Beteiligung zu finden.
aa) Zeitliche Reihenfolge der Unterrichtung: Welches Gremium zuerst?
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Im Gegensatz zu rein nationalen Sachverhalten, bei denen die Zuständigkeiten der einzelnen Arbeitnehmervertretungen in der Regel gesetzlich festgelegt sind und die entsprechenden Regelungen zumeist auch auf einen bestimmten Zeitpunkt abstellen, stellt sich bei internationalen Sachverhalten immer auch die Frage der zeitlichen Reihenfolge der Beteiligung der Gremien. Das ist insbesondere in Unternehmensgruppen mit einem Europäischen Betriebsrat der Fall. Es gilt daher, die verschiedenen Beteiligungsverfahren sinnvoll miteinander zu koordinieren und insbesondere in zeitlicher Hinsicht aufeinander abzustimmen.
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