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Teilweise bestehen auch mehrere nationale Arbeitnehmervertretungsorgane, die jeweils entsprechend ihren (gesetzlichen) Aufgaben zu beteiligen sind. So spielt etwa in Deutschland neben dem Betriebsrat der Wirtschaftsausschuss eine wichtige Rolle. Dieser hat allerdings keine eigenen Entscheidungsbefugnisse und ist lediglich Hilfsorgan des Betriebsrats. Er hat eine Doppelfunktion und dient einerseits als Verhandlungsgremium mit der Geschäftsführung und andererseits als Informationsgremium gegenüber dem Betriebsrat.9 In diesen Funktionen berät er den Unternehmer in wirtschaftlichen Angelegenheiten und informiert den Betriebsrat hierüber.10 Anders dagegen verhält es sich seit einer Reform 2017 in Frankreich: In französischen Unternehmen existierten verschiedene Personalvertretungsorgane nebeneinander (Personalvertreter, Betriebsrat, Gewerkschaftsvertreter sowie ein Ausschuss für Hygiene, Sicherheit und Arbeitsbedingungen). Seit dem 1.1.2018 sind diese Personalvertretungsorgane in einem Organ, dem Wirtschafts- und Sozialausschuss (comité social et économique – CSE) zusammengefasst.
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Möglicherweise ist auch der Aufsichtsrat zu beteiligen, z.B. wenn ein Unternehmensteil veräußert wird. Soweit dieser paritätisch bzw. drittelparitätisch besetzt ist, befinden sich auch Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Mit Arbeitnehmervertretern besetzte Aufsichtsräte findet man neben Deutschland unter anderem auch in Dänemark, Luxemburg sowie einigen osteuropäischen Ländern. Oftmals handelt es sich bei den Arbeitnehmervertretern auch um Betriebsratsmitglieder, sodass eine Personalunion besteht. In solchen Fällen empfiehlt sich ebenfalls eine vorherige Abstimmung in Hinblick auf das Timing. Eine zeitlich leicht verzögerte Unterrichtung von Aufsichtsrat und Betriebsrat wird in der Praxis zwar häufig unvermeidbar sein, allerdings sollte man immer daran denken, das jeweils andere Organ zeitnah zu unterrichten. Ansonsten erfahren Betriebsratsmitglieder aufgrund ihrer Funktion im Aufsichtsrat bereits vor Involvierung des Betriebsrats von der geplanten Restrukturierungsmaßnahme mit der Folge, dass den Betriebsräten mehr Zeit eingeräumt wird, über ihre Rechte nachzudenken und dann entsprechende Beteiligungsrechte einzufordern.
bb) Überregionale Arbeitnehmervertretungen
(1) Der Europäische Betriebsrat
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Sobald ein Unternehmen mindestens 1000 Arbeitnehmer in Mitgliedstaaten der EU und davon jeweils mindestens 150 Arbeitnehmer in mindestens zwei Mitgliedstaaten beschäftigt,11 kann ein Europäischer Betriebsrat („ EBR“) gegründet werden. Vor jeder internationalen Restrukturierung ist daher zunächst zu prüfen, ob das Unternehmen über einen EBR verfügt und falls ja, ob der EBR an der beabsichtigten Restrukturierungsmaßnahme zu beteiligen ist.
(a) Umfang der Beteiligungsrechte
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In der Regel besteht zwischen dem Unternehmen und dem EBR eine Vereinbarung, nach der sich der Umfang der Beteiligungsrechte des EBR richtet. Bei der Gestaltung dieser Vereinbarung sind die Parteien über die gesetzlichen Mindestanforderungen12 weitestgehend frei.13 In der Praxis sehen die entsprechenden Vereinbarungen oft umfangreichere Beteiligungsrechte des EBR vor, als diesem nach den gesetzlichen Regelungen zustehen.
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Fehlt es – wie in der Praxis nur selten der Fall – an einer solchen Vereinbarung, gelten die jeweils anwendbaren gesetzlichen Regelungen über die Beteiligung des EBR (sog. EBR kraft Gesetzes). Insofern kommt es darauf an, welches nationale Umsetzungsgesetz zur Europäischen Betriebsräte-Richtlinie (RL 2009/38/EG) Anwendung findet. Dies hängt davon ab, in welchem Mitgliedstaat das Unternehmen seinen Sitz hat,14 bzw., falls das Unternehmen seinen Sitz außerhalb der EU hat, in welchem Mitgliedstaat der Sitz fingiert wird.15
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Hinsichtlich des Umfangs der Beteiligungsrechte des EBR kraft Gesetzes unterscheiden sich die nationalen Umsetzungsgesetze nicht wesentlich. Sie sehen in der Regel vor, dass die zentrale Leitung des Unternehmens den EBR über außergewöhnliche Umstände oder Entscheidungen, die erhebliche Auswirkungen auf die Interessen der Arbeitnehmer haben, zu unterrichten und auf Verlangen anzuhören hat. Als außergewöhnliche Umstände gelten insbesondere die Verlegung oder Stilllegung von Unternehmen, Betrieben oder wesentlichen Betriebsteilen sowie Massenentlassungen.16 Die Unterrichtung hat rechtzeitig und unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu erfolgen. Rechtzeitig setzt insbesondere voraus, dass eine Entscheidung über die Angelegenheit noch nicht unumstößlich getroffen worden ist.17 Zu den erforderlichen Unterlagen gehört ein von der zentralen Leitung vorzulegender Bericht, das heißt eine sachlich geordnete Zusammenfassung über die außergewöhnlichen Umstände.18 Darüber hinausgehende Mitwirkungsrechte sehen die nationalen Umsetzungsgesetze nicht vor. Da der EBR – vorbehaltlich weiterer Rechte in der EBR-Vereinbarung – somit nur Anspruch auf Unterrichtung und Anhörung, nicht jedoch auf echte Mitbestimmung hat, gleicht der EBR eher einem deutschen Wirtschaftsausschuss als einem Betriebsrat nach dem BetrVG.19
(b) Sanktionen bei Missachtung der Beteiligungsrechte
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Die Europäische Betriebsräte-Richtlinie gibt nur vage an, dass die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen für den Fall der Nichteinhaltung der Richtlinie vorzusehen haben.20
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In den meisten Mitgliedstaaten, so u.a. in Deutschland,21 handelt ein Unternehmen, das die Beteiligungsrechte des EBR missachtet, ordnungswidrig. Das deutsche Recht sieht Geldbußen bis zu 15.000 EUR vor,22 das französische Recht sogar bis zu 37.500 Euro. Ein Unterlassungsanspruch gegen beteiligungswidrig geplante Maßnahmen steht dem EBR in Deutschland, wie auch beispielsweise im Vereinigten Königreich, indes nicht zu.23
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Etwas anderes gilt gleichwohl in Mitgliedstaaten, deren nationales Umsetzungsgesetz dem EBR einen Unterlassungsanspruch bei Verletzung der Unterrichtungs- und Anhörungspflicht zubilligt. Dies ist insbesondere in Frankreich der Fall.24 Hier kann der EBR es der Konzernleitung – wie in der Vergangenheit bereits mehrfach geschehen25 – untersagen, das Verfahren der Betriebsstilllegung fortzusetzen, solange die Konzernleitung ihre Verpflichtung zur Information und Konsultation des EBR nicht erfüllt.
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Bei Unternehmen in Gesellschaftsform der Societas Europaea („SE“) erfüllt der Betriebsrat der SE (sog. „SE-Betriebsrat“) letztlich die gleichen Funktionen wie der EBR.26 Die Beteiligungssystematik ähnelt der des EBR. Der SE-Betriebsrat ist zuständig für alle „Angelegenheiten, die die SE selbst, eine ihrer Tochtergesellschaften oder einen ihrer Betriebe in einem anderen Mitgliedsstaat betreffen oder die über die Befugnisse der zuständigen Organe auf der Ebene des einzelnen Mitgliedstaats hinausgehen“.27 Vergleichbar mit dem EBR, sind die Rechte des SE-Betriebsrats in der Regel auf Informations- und Anhörungsrechte beschränkt.
(3) Auswirkungen nach dem Brexit
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Für Unternehmen, die einen Betrieb in Großbritannien unterhalten und über einen Europäischen Betriebsrat oder SE-Betriebsrat verfügen, stellt sich die Frage der Auswirkungen des Brexits. Bis zum 31.12.2020, dem Abschluss der Übergangsphase, gelten die zwischen der Europäischen Union und Großbritannien ausgehandelten Übergangsvorschriften, gemäß deren die derzeit geltenden Regelungen weiterhin Anwendung finden. Unklar bleibt umso mehr die Rechtslage nach Ablauf der Übergangsphase, insbesondere in Hinblick auf bestehende EBR oder SE-Betriebsräte, die nach dem Recht von Großbritannien gegründet wurden. Die Folgen des Umstandes, dass Großbritannien nach Ablauf der Übergangsphase als Drittstaat qualifiziert werden wird, sind noch nicht geklärt. In Betracht kommt, die gesetzlichen Vorschriften Großbritanniens anzuwenden oder die zentrale Leitung neu zu bestimmen. Denkbar sind auch Konstellationen, in denen aufgrund des Wegfalls Großbritanniens die Schwellenwerte für den EBR bzw. den SE-Betriebsrat nicht mehr erfüllt werden. Welche Lösungen der bzw. die Gesetzgeber diesbezüglich finden werden, bleibt derzeit abzuwarten.
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