Mitbestimmung
in wirtschaftlichen
Angelegenheiten
Betriebsänderung
Herausgegeben von
Holger Dahl
Fachmedien Recht und Wirtschaft | dfv Mediengruppe | Frankfurt am Main
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ISBN: 978-3-8005-1693-3
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Wie bereits nach der Wirtschaftskrise 2009 wird das Jahr 2021 von Restrukturierungen und Personalreduzierungen geprägt sein. Neben den Arbeitgebern, die auf den Marktrückgang durch Corona reagieren müssen, wird es viele Unternehmen – insb. internationale Konzerne – geben, die die Post-Corona-Zeit für ohnehin anstehende Neuaufstellungen nutzen. Damit wird auch die Mitbestimmung des Betriebsrats bei Betriebsänderungen nach den §§ 111ff BetrVG wieder in den Fokus treten.
In diesem Band zur Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten beschäftigen sich erfahrene Interessenvertreter aus dem Lager des Betriebsrats und der Arbeitgeberin mit allen Fragen rund um Interessenausgleich und Sozialplan. Neben aktuellen Themen wie internationale Restrukturierungen beleuchten die Autoren unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung grundsätzliche Aspekte wie den Dotierungsrahmen eines Sozialplans und die Regelungen eines Interessenausgleichs.
Wie bereits in den Bänden zur Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten erfährt der Leser nicht nur, ob ein Mitbestimmungsrecht besteht, sondern auch welche Regelungen das Mitbestimmungsrecht ausfüllen und aus der jeweiligen Perspektive von Arbeitgeberin und Betriebsrat Sinn machen.
Königstein, November 2020 |
Holger Dahl |
Einführungen
I. Sozialpläne – ein teures Vergnügen? Üblichkeit von Sozialplanabfindungen aus Sicht des Arbeitgebers
1. Einleitung
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Immer dann, wenn bei Betriebsänderungen oder Betriebsschließungen Sozialpläne beschlossen werden, verhandeln Betriebsräte und Arbeitgeber insbesondere auch über Abfindungen. Auf die Zahlung der Abfindung haben Arbeitnehmer dann – anders als bei sonstigen Abfindungen – einen einklagbaren Anspruch.
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Nun wird im Sozialplan regelmäßig kein fester Betrag von die betroffene Arbeitnehmer vereinbart, sondern die Höhe der Sozialplanabfindung wird normalerweise anhand einer Abfindungsformel berechnet. Die Abfindungsformel berücksichtigt bestimmte Faktoren, wie etwa das Alter des Arbeitnehmers, die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit oder das Gehalt. Daneben werden meist noch diverse Zuschläge oder Sonderleistungen vereinbart.
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Sinn und Zweck der Sozialplanabfindung – wie auch bei individuell ausgehandelten Abfindungen – ist es, den betroffenen Arbeitnehmern eine finanzielle Überbrückungshilfe zu bieten, damit diese die laufenden Kosten für Miete, Unterhalt oder Versicherungen weiter abdecken können.
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Was ist aber eigentlich „üblich“ im Zusammenhang mit Sozialplanabfindung? Meist wird der Arbeitgeber dies anders als der Betriebsrat oder die Arbeitnehmer beurteilen, allerdings dürfte wohl allen Beteiligten klar sein, dass die in § 1a Abs. 2 Satz 1 KSchG vorgesehene Abfindung von „0,5 Monatsverdiensten für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses“, wenn überhaupt, nur einen Anhaltspunkt für etwaige Abfindungen bei betriebsbedingten Kündigungen darstellen kann – der allgemein als „Regelabfindung“ bekannte Faktor ist schon lange nicht mehr maßgeblich.
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Um herauszufinden, was Unternehmen in der Regel im Rahmen von Sozialplänen bezahlten bzw. für angemessen halten, hat die Kanzlei Eversheds Sutherland im Frühjahr 2019 bundesweit eine Umfrage zu Sozialplänen durchgeführt, deren Ergebnis sich interessanterweise kurz wie folgt zusammenfassen lässt: „ Sozialpläne kosten Geld, führen aber in der Regel zur Zufriedenheit aller Beteiligten.“ Teilgenommen haben mehr als 100 Entscheidungsträger aus Unternehmen von unterschiedlichster Größe, aus verschiedenen Regionen Deutschlands und unterschiedlichen Branchen.
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Es kommt auch meist keine späte Reue auf: Rückblickend würden mehr als drei Viertel der Teilnehmer den Sozialplan genauso wieder abschließen. Dies wohl deshalb, weil die betroffenen Mitarbeiter sich mit den angebotenen Leistungen überwiegend zufriedengeben, d.h. vor allem oftmals nur wenige Kündigungsschutzklagen eingereicht werden.
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Häufig spielt dabei auch das Thema Zeit eine Rolle im Hinblick auf das Ergebnis – jeder zusätzliche Monat, in dem die Maßnahme nicht umgesetzt werden kann, kostet Geld, das man ggf. auch in die Abfindungen investieren kann, um die Maßnahmen schnellstmöglich umzusetzen; vor allem, wenn diese innerhalb eines Konzernes in verschiedenen Ländern zeitgleich umgesetzt werden sollen. Die Umfrage ergab in diesem Zusammenhang, dass der Sozialplan in mehr als 80 % aller Fälle spätestes nach einem halben Jahr abgeschlossen war. In knapp der Hälfte der Fälle war er sogar schon nach einem Vierteljahr unterzeichnet. Die Verfahrensdauer steht jedoch durchaus im Zusammenhang mit der Komplexität der anstehenden Umstrukturierungsmaßnahmen sowie der Betriebsgröße.
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Einfluss auf die Sozialplanleistungen hat aber natürlich auch der Grund für die Betriebsänderung; der Sozialplan ist heutzutage nicht immer im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu sehen. Ganz im Gegenteil: In der Umfrage bestand tatsächlich nur äußerst selten die Gefahr einer Insolvenz. Der Sozialplan wird vielmehr vor allem als Begleitmaßnahme für Neuausrichtungen in den Unternehmen eingesetzt; neben Effizienzsteigerungen war auch die Anpassung an die Anforderungen einer sich durch Digitalisierung und Automatisierung stark wandelnden Arbeitswelt der Grund für den Abschluss.
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Da die Betriebsparteien grundsätzlich große Freiräume bei der Gestaltung der Sozialpläne haben, ist das Ergebnis deshalb immer sehr individuell auf das Unternehmen bzw. den Betrieb anzupassen. Zusätzlich zu häufig wesentlich höheren Grundabfindungen als die vorstehend erwähnte „Regelabfindung“ werden oft noch diverse individuelle Zusatzleistungen (vor allem für Beschäftigte mit Kindern bzw. mit einer Behinderung) und Sonderregelungen für Härtefälle vorgesehen.
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Andere attraktive und äußerst sozialverträgliche Gestaltungsmöglichkeiten wurde dagegen nur vereinzelt eingesetzt. Eine Outplacement-Beratung, die Beschäftigten eine neue berufliche Perspektive aufzeigt und damit die Zustimmungsbereitschaft zu einem Aufhebungsvertrag beträchtlich erhöht, wurde beispielsweise nur in einem Drittel aller Fälle in Erwägung gezogen.
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Auch Transfergesellschaften scheinen eher ein Schattendasein zu führen. Auf sie wurde in weniger als einem Fünftel der Fälle zurückgegriffen. Dies ist wohl auch dem Umstand geschuldet, dass die Gründung von Transfergesellschaften sich vermeintlich nur für Großbetriebe mit einer Vielzahl von betroffenen Mitarbeitern anbietet. Dabei bietet sie den Betroffenen durch eine verlängerte Kündigungsfrist sowie das enthaltene Jobfindungsprogramm eine echte Alternative, um nahtlos in einen neuen Job zu wechseln.
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