„Was verschlägt dich in diese abgeschiedene Ecke?“, fragte der, der stand. Sein Mantel war aus gutem Wollstoff, wie er ihn bei den Wallonen gesehen hatte. Er hielt Stulpenhandschuhe in der Hand und schlug damit immer wieder auf die Innenfläche der anderen Hand. Er hatte sehr kurz geschorenes braunes Haar, einen dünnen Oberlippenbart, schmale Lippen, einen senkrechten Bartstrich zum Kinn, der in einen dürftigen braunen Kinnbart mündete. Verwirrend war, dass er in den Augen des Mannes eine Art melancholischer Trauer las, die ihn eigentümlich an die eigene erinnerte.
„Ich habe mich verirrt.“ Ryss’ Herz klopfte. Neben der Hüttentür, keine drei Schritte entfernt, lag die Leiche eines Mannes wie ein hingeworfener Sack. Schweinepisse und Teufelsdreck – der war keines natürlichen Todes gestorben! Das Blut an seiner Seite sprach eine deutliche Sprache. Und was hatte es mit dem Weib auf sich? Auf einer dünnen Strohschütte hinter ihm kauerte ein verängstigtes Mädchen, das einen Säugling in den Armen hielt. Sie gab keinen Mucks von sich. Gehörte sie einem der beiden Misthaufen?
Der Stehende kickte ihm die Stiefelspitze in die Seite. Ryss zuckte von ihm weg.
„Wer bist du? Und was ist das für eine Färbung in deiner Aussprache?“
„Nur ein umherziehender Krämer, Herr.“
Die beiden wechselten einen Blick.
Er deutete mit dem Kinn zum Glas, das Rotnase neben sich am Boden abgestellt hatte, und sagte leichthin: „Ich biete vielerlei Hilfliches an. Die Mausköpfe, sie erleichtern das Zahnen einem Kind. Nichts für Euch, nehme ich an.“
„Mach dich nicht lustig, Milchgesicht! Außerdem heißt es hilfreich.“ Rotnases Stimme schepperte dünn. Sie passte nicht zu diesem verschlagenen Rohling.
„Ich meinte nur, Herr, Ihr selbst braucht ihn nicht, so Ihr jedoch habt ein zahnendes Kind, ich empfehle Euch, ihn um den Hals zu binden dem Kind. Mein Ehrenwort, jede Maus sprang noch putzfidel umher, ehe ich ihr den Kopf abbiss.“
„Erzähl keinen Scheiß!“
„Das tue ich nicht, Herr. Ich handelte ehrlos, würde ich die Köpfe abkaufen dem erstbesten Bettler, von dem ich annehmen muss, dass er zuerst tötete die Maus, bevor er den Kopf abschnitt . Das wäre unwirksam und daher unlauter und daher ich verrichte die Schmutzarbeit selbst und beiße den lebenden Mäusen die Kö…“
„Quatsch mich nicht zu.“
Aber er horchte auf! Ryss äugte zu dem Stehenden, nickte dann zu dem Toten hin, bemühte sich um einen unterwürfigen Ton, gab sich dienstbar und bemerkte bedauernd: „Wäre ich früher zu Euch gefunden, hätte ich sicher helfen können Eurem armen Verwandten. Ich habe Mittel gegen mancherlei Gebrechen.“ Nahmen sie ihm ab, was er damit andeutete? Dass er einen gewaltsamen Tod nicht in Betracht zog? Wohl kaum. Es war ihm ein Gräuel, Rotnase zuzusehen, der Tiegel und Säckchen aus seinem Rucksack klaubte, den Kasten hervorholte und ihn öffnete. Er enthielt Fächer, damit zerbrechliche Dinge nicht kaputtgingen. Beide Männer starrten argwöhnisch auf das Gewirr aus Ton- und Glasgefäßen.
„Was ist das?“, fragte Rotnase und hob ein Gläschen hoch.
„Gummi Arabicum.“
Er schaute fragend, also erklärte Ryss: „Ich mische es mit anderem zu einem Gemenge, um gefeit zu sein gegen Gifte.“
Rotnase feixte – und ließ das Gläschen fallen. Es zerbarst nicht, sondern rollte weg.
Ryss schluckte.
Das nächste Gläschen.
„Pulverisierte Mäuse“, sagte Ryss so gleichgültig wie möglich. In Wahrheit mischte er Staub und Sand und gab vor, es seien pulverisierte Mäuse. „Gegen Fallsucht“, ergänzte er rasch, noch ehe Rotnase fragen konnte.
Diesmal warf der Haudrauf es mit Schwung ins Feuer, wo es mit einem hässlichen Knacken zerbarst.
„Also?“, fragte der, der stand.
„Bitte!“, sagte Ryss und grollte sich selbst für den flehentlichen Ton. Aber sie zerstörten sein Einkommen! Was er in Apotheken oder von Kräuterweibern erwarb, kostete Geld!
„Du bist also zufällig hier?“
Rotnase zurrte ein rotfleckiges Säckchen auf, äugte hinein und warf es dann grinsend ins Feuer. Das waren die getrockneten Wolfsbeeren. Ryss stöhnte auf. „Ja. Ich bin unterwegs nach Süden.“
„Im Winter?“
„Ein Händler wie ich kennt keine Jahreszeiten. Ich brauche auch etwas zu essen im Winter. Zudem – mit Verlaub – ist noch Herbst.“
Rotnase verpasste ihm eine Kopfnuss. „Werd nicht frech, Milchgesicht.“
„Verzeiht“, murmelte Ryss. Er sah, wie sie sich erneut mit Blicken verständigten.
Die Stiefelspitze des Dunkelhaarigen tippte nacheinander einige der umliegenden Gegenstände an. „Tönerne Räucheröfchen, der Fünfstern als glasierte Verzierung. Schmelztiegel, Hahnenkrallen. Und was ist das? Ziegenohren? Ein Krämer? Würzverfälscher wohl eher.“
Rotnase hielt ein Säckchen hoch und schüttelte es. Die Walnüsse darin klapperten. „Dass der Teufel dich schände, Geschäftemacher und Betrüger“, bemerkte er.
„Keineswegs, Herren“, widersprach Ryss und legte Selbstbewusstsein in Stimme und Haltung.
„Kräuter, Öle. Und das hier …“ Die Stiefelspitze trat auf einen mit einer Kordel zusammengehaltenen Bund Flugblätter, die Rezepte und Zaubermaßnahmen enthielten, was man an den Bildern erkennen konnte. „Damit führst du leichtgläubige Menschen hinters Licht.“
„Ich …“
Rotnase hielt ihm sein in schwarzes Leder gebundenes Buch hin, in das er seine Rezepturen und Erfahrungen einzutragen pflegte. Er trug es stets ums rechte Bein gezurrt, und sie hatten es ihm ebenso abgenommen wie seine Beutelchen, als sie ihn nach Waffen durchsuchten. Besonders überlegt waren sie dabei allerdings nicht vorgegangen. Die naheliegendste Stelle hatten sie nicht angetastet. Ryss versuchte, die niedergeschmetterte Miene beizubehalten und sich nicht anmerken zu lassen, dass es ihn anwiderte, dass die dicken Finger mit den schwarzen Nägeln sein geliebtes Buch beschmutzten.
„Verwickelte Verzierungen im schwarzen Leder.“ Er drehte das Buch um und deutete mit dem Finger auf die Rückseite. „Noch einmal der Fünfstern. Und innen drin unverständliche Zeichen und Wörter. Die Zubehöre eines Zauberers, wenn Ihr mich fragt. Herr .“ Er warf das Buch zu den anderen Dingen am Boden.
„Aber Ihr irrt!“ Ryss gab sich empört und zog die Nase hoch. Unverständliche Zeichen und Wörter! Dieser Idiot! Nur weil er selbstverständlich in seiner eigenen Sprache schrieb, die dieser Dummkopf natürlich nicht kannte. Wenn der überhaupt lesen konnte!
„So?“ Der Stehende klang fast belustigt.
Ryss’ Kehle wurde eng, als er sah, wie Rotnase die Hand auf den Schwertknauf legte.
„Lass stecken, Vetter. Er kommt uns wie gerufen. Erspart uns unnötig Weg und Unbill. Und er ist ein Fremder. Wir nehmen ihn.“
Rotnase stieß ein überraschtes Grunzen aus.
„Quacksalber, sagen wir, du wirst uns einen Gefallen tun“, bemerkte der Dunkelhaarige.
Das hieß, dass sie ihn erst einmal nicht kaltmachten. Ryss spürte Erleichterung, auch wenn er Übles ahnte. Er rang sich ein steifes Lächeln ab und erwiderte: „Jederzeit, die Herren, zu Diensten, so es ist nicht unlauter und ich es vermag!“
„Unlauter?! Hirhirhir!“ Rotnases Lachen rasselte dünn. „Unlauter, ich fress dem Ochsen seine Eier! Unlauter!“ So ungestüm, wie er begonnen hatte, war er auch wieder still. Er beugte sich zu ihm herüber, Ryss konnte den üblen Atem des Gesellen riechen, als der ihm drohend langsam Wort für Wort entgegenspie: „Hausierer sind hierzulande keineswegs gut gelitten.“ Er deutete auf die umherliegenden Dinge. „Zauberer auch nicht. Schau dir deinen Mischmasch an. Und dann danke dem Herrn, dass wir dich nicht dem nächsten Büttel ausliefern.“
Ryss schluckte. Das hätte gerade noch gefehlt. Da war er aus diesem Grund aus der Stadt fort, nur, um ausgerechnet mitten im verlassensten Wald auf diese beiden Halunken zu treffen, die ihm damit drohten, ihm genau zu jenem Schicksal zu verhelfen, dem er zu entfliehen gedacht hatte. Oder die ihn umbrachten, wenn er sich nicht geneigt zeigte. „Ich bin sicher, wir kommen überein“, sagte er glatt – und lächelte. Gwae fi ! Wie komme ich da wieder heraus?, überlegte er.
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