1 ...8 9 10 12 13 14 ...22 Was hatte er vor? Philipp war auf der Hut. „Wo ist mein Weib?“, fragte er und ließ ihn nicht aus den Augen.
„Dazu kommen wir jetzt.“ Der Mann packte das Buch in den Sack. „Eselsweg. Oberhalb des ‚Blauen Huts’, die Scharte in der Stadtmauer.“ Unter der Kapuze drehte er Philipp den Kopf zu.
Zum Zeichen, dass er verstand, nickte Philipp unmerklich.
„Übermorgen, wenn dieser Scheißungar kommt, drängt sich sämtliches Volk in der Stadt. Tischzeit in der Kanzlei ist von zehn bis eins. Du kommst um zwölf dorthin …“
Philipp sprang auf. „Übermorgen?!“ , stieß er hervor.
Ein schwarzer Schatten zischte auf ihn zu, der Faustschlag ins Gesicht ließ Philipp rückwärts taumeln. Er hob die Arme in Abwehr, ein Schlag in den Magen. Er japste nach Luft, krümmte sich, sackte zusammen. Fiel auf die Knie, schlang die Arme um die Leibesmitte. Hörte sich keuchen. Ein Schmerz wie tausend eiserne Nadeln, als sein Schopf gepackt wurde, der Kerl ihn an den Haaren mit sich schleifte, sodass er auf Knien hinter ihm herrutschen musste, mit den Armen rudernd in grotesken Verrenkungen. Mit einem Ruck ließ er ihn los, und Philipp schlug mit dem Gesicht in den Schnee.
Ein gebieterisches Zischen dicht über ihm. „Übermorgen Buchübergabe am Eselsweg. Du bringst es zurück in die Kanzlei. Danach Wiedersehen mit deinem Weib in der Jakober Vorstadt. Ich sag dir noch wo.“
Philipp keuchte. Schnee, kalt wie eine Maske aus Eis, schnitt ihm ins Gesicht. Er drückte sich auf den Unterarmen hoch, hob den Kopf an.
Wieder packte der andere ihn an den Haaren, zog den Kopf daran in die Höhe, dass er vor Schmerz aufstöhnte. Dicht an seinem Ohr die verhasste Stimme. „Keinen Knecht, keine Büttel. Du allein. Oder dein Weib treibt im Neckar.“
Philipps Gesicht brannte vor Kälte und von dem Faustschlag, er roch Leder, feuchtes Wolltuch, Schnee.
„Verstanden?“
Er wurde losgelassen, damit er Zeichen geben konnte. Er nickte schwach, rollte sich auf die Seite, stützte sich auf den Ellbogen. Hustete. Fühlte sich hilflos wie ein Wurm und hasste diesen Sauhund dafür. Den Hals durchstechen wollte er dem, seine Überlegenheit aus ihm herauswürgen mit eigenen Händen. Der schwarze Schatten hatte sich von ihm abgewandt und machte sich an dem Tongefäß zu schaffen. Philipp versuchte sich aufzusetzen. Er ächzte, alles tat ihm weh. Und dann war die dunkle Gestalt wieder heran, Philipp wollte die Arme hochreißen, als der Arm des anderen sich von hinten um seine Kehle schlang. Er hörte das gurgelnde Geräusch, das er machte, als der ihm die Luft abpresste, seine Hände krallten sich in den Unterarm des Mannes, wollten ihn fortziehen. Etwas Feuchtes wurde ihm auf den Mund gepresst, er hörte den anderen „Atme!“ zischen. Hart und erbarmungslos hielt er ihn, und Philipp rang verzweifelt nach Luft, sog den fremden Geruch ein, merkte, wie er erschlaffte und ihm die Sinne schwanden.
Die Schenke war zum Bersten voll.
Die Herberge hieß „Zum Schwert“. Mit Mühe hatte er ein Zimmer im Obergeschoss erhandelt, das er mit drei anderen Reisenden teilte, zwei Mann je Bett. Er hatte erst dann daran gedacht, in den Pilgerquartieren vor der östlichen Stadtmauer eine preisgünstigere Unterkunft zu suchen, als die Stadttore längst geschlossen waren. Dumm. Er wäre zwar noch hinausgekommen, aber hinein, falls sein Bemühen vergeblich gewesen wäre, nur noch nach Zahlung eines gehörigen Batzens Sperrgeld, wie sie es hier nannten. Das hatte er nicht wollen. Also war er in die Stadt zurückgekehrt und hatte in dieser Herberge eine Bleibe gefunden. Seit vier Tagen hielt er sich in Heidelberg auf, doch konnte er es sich auf Dauer nicht leisten, ausschließlich in Wirtshäusern abzusteigen. Nicht, dass er kein Geld hatte. Aber der Winter begann eben erst. Ohne eine angemessene Unterkunft konnte es schnell teuer werden.
An zweien von vier Tagen hatte er in dieser geizigen Residenzstadt nicht das eingenommen, was er ausgab. Selbst in dem steinernen Bürgerhaus mit den stattlichen vier Stockwerken über dem Erdgeschoss, den vielen Fenstern, den zahllosen Bildwerken dazwischen, den Medaillons, Wappenzeichen und goldverzierten Inschriften bis hinauf in das oberste Giebelgeschoss, von denen er im Dämmerlicht lediglich hatte „amicitia“ ausmachen können – selbst in diesem offenbar beträchtlich wohlhabenden Haus war er weder eine Kräutermischung noch ein Sälbchen losgeworden. Er hatte danach in jenem Viertel, das sie Oberes Kaltes Tal nannten, noch an zwei, drei Häusern geklopft. Doch weil es längst dunkel war, hatte man ihn auch dort nur mürrisch davongejagt. Einer gar, ein Wichtigtuer mit Mützenbrille, ein Gelehrter wohl, hatte ihm ins Gesicht geschimpft, dass Hausieren und Feilhaben fremder ausländischer Krämer weder in Städten, Flecken noch Dörfern gestattet noch zugelassen, sondern bei Verlust ihrer Waren verboten sei. Er hatte ihm außerdem, die Faust nach ihm schüttelnd, hinterhergebrüllt, dass Landfahrer, Würzverfälscher und andere fremde und unbekannte Hausierer keineswegs geduldet, sondern außer dem Gebiet gewiesen werden sollen . Er hatte zugesehen, dass er Land gewann. Myn diawl ! Die hier mit ihrer vermaledeiten Landesordnung! Der hatte sie ja fast auswendig dahergeschrien. Andererseits musste er zugeben, dass sie milder war als die Bestimmungen in seiner Heimat. Dort galt das englische Gesetz. Und nach dem sollten Landstreicher schwer gepeitscht werden und den Knorpel des rechten Ohrs mit glühendem Eisen durchbohrt bekommen. Hierzulande wurde er nur hinausgeworfen. Und immerhin wäre es ihm erlaubt, zu ordentlichen Wochen- und Jahrmärkten – gegen Erlegung gewöhnlichen Stand-Gelds – seine aufrichtigen, unverfälschten, guten Waren feilzuhaben und um gebührlichen Wert zu verkaufen . Unverfälscht? Wer wollte schon das Wort auf die Goldwaage legen. Geheimnisvolle Zusätze waren das Salz seiner Medizinsüppchen. Ein Quäntchen Magie würzte seine Wunderpillen. Und damit war er bislang gut durchgekommen. Landesordnung hin oder her – er war doch kein Marktschreier!
Ryss sah sich verhalten um, während er die kräftige Ochsenschwanzsuppe aus einer Holzschale löffelte. Um ihn her herrschten Ausgelassenheit und Sinnenfreude. Er saß mit fünf Männern, etwa in seinem Alter, an einem Tisch. Einer, jünger als er, mit freundlichen braunen Augen und kinnlangem, welligem braunem Haar saß ihm gegenüber und reichte ihm einen Kanten Roggenbrot.
Ryss nickte dankend und widmete sich seiner Suppe.
Besser nicht so viel reden, lieber nachdenken, was er nun tun sollte.
In Frankenthal, später in Speyer, hatte er erfahren, dass Heidelberg dieser Tage besonders umtriebig und bevölkert wäre. Der hiesige Fürst unternahm in Kürze eine große Reise. Adelige, Boten, Amtleute, Huren und Musikanten würden sich in der Stadt tummeln. Eine solche Auswahl an zahlungskräftiger, vor allem aber an leichtgläubiger Kundschaft würde er nicht alle Tage auf einem Haufen haben. Also war er hergekommen. Aber das große Stück vom Kuchen hatte er bisher nicht abbekommen. Die Schaulustigen waren längst nicht so zahlreich, wie er gehofft hatte. Oder sie verkrochen sich in warme Löcher. Und die Bürger hielten ihm ihre vermaledeite Landesordnung vor und kauften nichts. Es war wohl doch besser, er machte sich in den Odenwald auf. In einer der zahlreichen Burgen würde er sicher die ein oder andere leichtgläubige Hausherrin mit locker sitzendem Geldbeutel finden. Und in Dörfern war man, wie überall, wo man stadtfern lebte, sicher froh um Abwechslung.
Außerdem – zufrieden tunkte er mit dem Brot die restliche Suppe aus dem Teller – außerdem waren die Mägde auf dem Land … nun, auf ihre eigene Art und Weise gastfreundlicher. In einem Stadthaus boten sich wenig Möglichkeiten, einem wie ihm eine Bleibe für einige Nächte zu gewähren. Auf dem Land hingegen gab es mindestens ein Plätzchen im Stall. Dort fand man ihn oftmals viel zu unterhaltsam, um ihm nicht später, wenn man einen Krug Bier herausbrachte samt Brot und Käse, die mit dunkler, fremdländisch klingender Stimme geraunten Schmeicheleien zu glauben und die Schenkel zu öffnen.
Читать дальше