Cornelia Topf - Einfach mal die Klappe halten

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Pausenlos laufen Radio oder Fernsehen, klingeln Telefon oder Handy und texten Kollegen, Kunden, Partner, Kinder uns zu. Journalisten und Politiker produzieren Sprechlawinen, unter denen jeder vernünftige Gedanke verschütt geht.
Wir leben in einer Sprechblasenzeit. Einer Zeit, in der pausenlos geredet und kaum etwas gesagt wird. Das Problem: Quasselstrippen nimmt keiner ernst. Je mehr geredet wird, desto geringer die Wirkung. Wir haben vielfach verlernt, sparsam mit unseren Worten umzugehen, einfach mal zu schweigen und unseren Worten dadurch Gewicht zu verleihen. Die Botschaft des Buches lautet: Öfter mal die Klappe halten!
Nicht Schweigen statt Reden, sondern die Dosierung ändern und Schweigen bewusst als wirkungsvolles Mittel der Rede einsetzen. Sie werden von den Resultaten begeistert sein!

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Wie gravierend diese Plappersucht unsere Wirtschaft schädigt, zeigen auch kalauernde Bürosprüche wie: »Wenn Siemens wüsste, was Siemens alles weiß.« Damit wird darauf angespielt, dass in großen Unternehmen (und in Familien) die Lösungen meist schon an Stelle X vorhanden sind, die Stelle Y schmerzhaft vermisst und möglicherweise teuer bezahlt. Aber dass die Lösung intern nicht von X nach Y kommt – weil die Leute nicht aufeinander hören und sich ständig nur im Saft der eigenen Sprechblasen wälzen. Keiner hört dem andern zu.

Den Vogel schoss in dieser Hinsicht jüngst eine Familie ab, deren Eltern sich einen ganzen Abend lang um die Reisekosten für den Schullandheimaufenthalt der Tochter stritten, während die Tochter in Hörweite im Wohnzimmer saß und fernsah. Irgendwann schaltete sie aus, ging auf ihr Zimmer und sagte im Vorübergehen: »Ach übrigens, Schullandheim ist abgesagt. War zu vielen Eltern zu teuer.« Die Eltern wollten empört wissen, warum sie das nicht früher schon gesagt habe. Die Antwort der Tochter: »Ihr habt mich nicht gefragt. Und ich wollte euch nicht stören, wenn ihr euch streitet.« Wer streitet, kann nicht hören. Reden ist manchmal eine sehr gefährliche Zeitverschwendung. Weil es Wichtigeres gibt. Schweigen und Zuhören zum Beispiel. Nur wer zuhört, erkennt die Welt.

Warum so oft die Falschen eingestellt werden

Besonders gravierende Folgen hat dieses Unvermögen zu schweigen bei der Einstellung von neuen Mitarbeitern. Die Fehlerquote ist auch im Zeitalter der interstellaren Raumfahrt irrwitzig hoch. Es gibt kaum verlässliche Zahlen darüber (weil das jedem Manager peinlich ist). Doch ich kenne Führungskräfte, die von ihrer eigenen Einstellungspraxis behaupten: »Jeder zweite neue Mitarbeiter erfüllt nicht die Erwartungen, die ich aufgrund der Einstellungsgespräche von ihm hatte.« Warum? Sind die Neulinge alle Hochstapler, die im Vorstellungsgespräch Sachen versprechen, die sie nie halten können? Das wäre schön. Tatsächlich ist die Sachlage viel unheimlicher. Wie Studien zeigen, ist eine zuverlässige Einschätzung der Fähigkeiten von Bewerbern in den meisten Vorstellungsgesprächen gar nicht möglich, weil sich in diesen Gesprächen der Bewerber gar nicht bewirbt. Er bekommt den Mund dafür nicht auf, weil der einstellende Manager ihn zuquasselt! Gesprächsanteile von 80 Prozent aufseiten des Einstellenden sind keine Seltenheit! Der Manager missbraucht das Einstellungsgespräch, um die Vorzüge des Unternehmens herauszustreichen, um eigene Verdienste zu propagieren, mit seinem Fachwissen zu glänzen und die wenigen, spärlichen, kurzen und ständig von ihm unterbrochenen Einlassungen seines Bewerbers mit biblisch langen Kommentaren von herzzerreißender Trivialität zu analysieren. Dabei bemerkt er das noch nicht einmal! Werden diese 80-Prozent-Quassler danach gefragt, wie groß ihr Gesprächsanteil war, dann geben sie diesen regelmäßig als unter der 50-Prozent-Marke liegend an! Das heißt: Selbst Manager mit Spitzengehältern wissen buchstäblich nicht, was sie tun – und machen trotzdem Karriere. Sie sollen globale Netzwerke führen, Konzerne managen und uns vor den Risiken einer wild gewordenen Globalisierung schützen. Dabei können sie noch nicht einmal die Klappe halten in einem Vorstellungsgespräch! Das Ausmaß der Inkompetenz im Management wird allerorten immer noch sträflich unterschätzt. Und zum wiederholten Male: Es gibt rühmliche Ausnahmen. Circa ein Fünftel der Manager auf allen Ebenen kann nicht nur schweigen, diese Leute können auch noch jede Menge anderer nützlicher Dinge. Sie sind zum Beispiel konfliktsicher. Auch diese schöne Fähigkeit hat mit der Kunst des Schweigens zu tun.

Wie man jemanden auf die Palme redet

In Konflikten »gibt ein Wort das andere«. Viele Menschen mit Paarproblemen berichten, dass es bei ihren Beziehungskonflikten »eigentlich egal ist, was ich sage – sie/er regt sich dann über wirklich jedes Wort von mir auf!« Daraus ergibt sich ein verblüffend einfacher Deeskalationstipp:

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Reden Sie in Konflikten weniger. Schweigen Sie mehr.

Aber: Schweigen Sie aufmerksam und respektvoll. Nicht mit verschränkten Armen und gerunzelter Stirn. Ja, gewiss, das geht wider unsere Natur. Wir sind eben immer noch instinktmäßig der Neandertaler, der die Keule zückt, wenn er angegriffen wird. Bei Hunden ist das schön zu beobachten: Kläfft der eine den anderen an, kläfft der andere zurück. Das gebietet der Instinkt dem Tier. Die Frage ist bloß: Wollen Sie von Ihren Instinkten oder von Ihrem Verstand geleitet sein? Sind Sie ein Tier oder ein Mensch? Wer ist der Boss in Ihrem Oberstübchen? Ihr Großhirn oder das limbische System?

In Verhandlungen halte ich nicht viel von Verhandlungspartnern, die zu viel reden. Weil ich weiß: Sie sind instinktgesteuert. Sie denken nicht viel. Solche Menschen kann ich nicht ernst nehmen – und außerdem viel zu leicht austricksen. Instinkte funktionieren auf Reiz-Reaktions-Basis. Wer den richtigen Reiz setzt, provoziert damit zuverlässig die absehbare Reaktion. Pawlows Hund fällt einem dazu ein. Ich weiß, das ist nicht nett. Aber warum verhalten sich denn so viele Menschen wie Pawlows Hund? Wer sich wie ein Hund verhält, darf sich nicht wundern, wenn er an die Leine genommen wird. Ein Kollege, empirischer Forscher, machte dazu ein kleines Experiment. Er ließ zwei Gruppen untereinander über ein kontroverses Thema streiten. Der einen Gruppe sagte er: »Bitte diskutiert unter euch das Thema aus!« Die andere bat er: »Verkneifen Sie sich jede Äußerung, die Ihre Diskussion nicht wirklich weiterbringt.« Das ist eine schwammige Vorgabe, die die Aufmerksamkeit der Streithähne jedoch zuverlässig vom Reden aufs Schweigen lenkt. Die zweite Gruppe benötigte nur die halbe Verhandlungszeit und war danach bedeutend zufriedener mit dem Ergebnis: In Konflikten ist mehr schweigen besser als mehr reden. Das gilt auch für die Steigerung von Streit: offene Aggression und Provokation.

Wer schweigt, ist immun gegen Provokation

»Du inkompetenter Anfänger!«, blafft Klaus manchmal Peter an, wenn dieser bei der Konstruktion einer neuen Maschine einen Haltebolzen oder ein Gewindeloch vergessen hat. Peter keift dann meist zurück, was ihn aber ganz schön belastet. »Ich kann Klaus, seinen überzogenen Perfektionismus und seine beleidigende Art nicht ändern. Aber kann ich meine Reaktion auf Klaus ändern? Besser damit zurechtkommen? Intelligenter damit umgehen?«, fragt er im Coaching. Intelligente Fragen. Die meisten Menschen unterscheiden nämlich nicht zwischen externem Anlass und eigener Reaktion auf den Anlass. Sie glauben, dass das eine untrennbar mit dem anderen verbunden ist: Wenn mich einer anmacht, dann muss ich mich aufregen und zurückschlagen oder mich resignativ verkriechen und mich bei Freunden auskotzen. Unser Instinkt postuliert hier einen kausalen Zusammenhang, der evolutorisch möglicherweise einmal sinnvoll war (Fight-or-Flight-Reaktion). Heutzutage aber ist er einfach nur das: ein Instinkt, der einen Irrtum provoziert. Peter sitzt diesem Kausalitätsirrtum nicht auf. Ich schlage ihm deshalb vor, dass er das nächste Mal nicht zurückkeift, sondern schweigt. »Aber so eine Beleidigung kann ich doch nicht auf mir sitzen lassen!«, erwidert Peter. Danke, Peter. Diese Begründung zeigt, warum es uns oft so schwerfällt, uns vernünftig zu verhalten und zu schweigen:

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Wer nicht schweigen kann, verwechselt Meinung mit Wahrheit.

Dass jemand Ihnen etwas sagt, heißt nicht, dass es auf Ihnen »sitzt«. Was ein Mensch über oder zu Ihnen sagt, ist seine Meinung. Es ist nicht die Wahrheit oder Klebstoff. Beleidigungen und Ähnliches sind auch nichts, das Sie korrigieren müssten im Sinne von: Ich muss den Aggressor jetzt so lange beharken, bis er widerruft. Das glaubte man im Mittelalter. Deshalb drohte man Galileo den Scheiterhaufen an, wenn er nicht widerriefe. Der großen, mächtigen Kirche war es psychotisch wichtig, dass ein einzelner kleiner Mensch seine Meinung ändere. Wie schwach muss eine Organisation sein, um so etwas zu verlangen? Heute würde man sagen: »Lass ihn doch reden! Ist ja bloß seine Meinung.« Klaus hält Peter für einen Anfänger? Warum lacht Peter nicht darüber? Warum sagt er nicht: »Wer mich mit zwanzig Jahren Berufserfahrung noch als Anfänger beschimpft, hat ein Rad ab. Fehler passieren doch jedem. Auch nach zwanzig Jahren.« Warum regt sich Peter so auf, dass er nicht schweigen kann? Die Antwort ist einfach und tiefgründig: Peter stellt die Meinung von Klaus über seine eigene. Deshalb kann er nicht schweigen:

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