Ohne Worte überzeugen
Menschen fragen mich oft, was sie sagen müssen, um andere zu überzeugen. Sie sind meist sehr überrascht, wenn ich ihnen verrate, dass sie möglicherweise weniger sagen und etwas mehr schweigen könnten, um überzeugender zu wirken. Natürlich hat der Vater im Beispiel sich die Zunge blutig gebissen, um nichts zu sagen. Die wütenden Worte stauten sich förmlich in seinem Hals auf. Doch als er sah, welche Wirkung sein diszipliniertes Schweigen hatte, fragte er sich und mich: »Warum habe ich das nicht früher schon gemacht? Das hätte mir viel Geld und ihm viel Peinlichkeit erspart.«
Der komparative Vorteil von Schweigen
Schweigen ist besser als sich wiederholen
Neulich wollte mich ein Kunde einen Deut zu weit herunterhandeln. Ich hatte ihn bereits darauf aufmerksam gemacht, dass ein Seminar nach seinem Wunsch mindestens drei Tage Vorbereitung kostet und dieser Zeitaufwand selbstverständlich abgegolten werden sollte. Als er trotzdem noch einen weiteren Preisnachlass wollte, hatte ich glücklicherweise die Erkenntnis: »Wenn ich jetzt mit meinen Kosten komme, wiederhole ich mich.« Und wer sich wiederholt, wirkt schwach – was nur die wenigsten wissen. Viele klagen: »Ich habe es ihm hundert Mal gesagt!« Das sind genau 99 Mal zu viel. Menschen glauben, wenn sie etwas immer und immer wieder wiederholen, wird es der andere schließlich kapieren. Das ist ein Irrtum, wie schon der Dichter wusste:
»Getret’ner Quark wird breit, nicht stark.« JOHANN WOLFGANG VON GOETHE
Wer sich nur noch wiederholen kann, schweigt besser. Das tat ich auch, nachdem ich kurz gesagt hatte: »Tut mir leid, ich kann Ihnen nicht weiter entgegenkommen. Die Gründe kennen Sie.« Danach schwieg ich. Der Kunde probierte es noch zwei, drei Mal. Dann lenkte er ein. Ich halte jede Wette, dass er das nicht getan hätte, wenn ich wieder mit meinen Kosten angefangen hätte. Dann hätten wir uns in endlosen Diskussionen verloren, was man denn noch alles einsparen könnte. Das hätten Sie sich in einer ähnlichen Verhandlungssituation aber nicht getraut? Richtig erkannt:
Schweigen erfordert Mut. Deshalb plappern Feiglinge viel und gern.
Ein erfahrener Verhandler verriet mir: »Wer viel redet, hat wenig zu sagen. Ich fürchte mich nur vor Verhandlungspartnern, die schweigen können. Die sind undurchschaubar. Das ist wie beim Pokern: Wer quasselt, verrät sich.« Das ganze Leben ist ein Pokerspiel: Je mehr einer redet, desto mehr dreht er sich selbst den Strick.
Schweigen hilft lernen
Sicher kennen Sie den Ausdruck »Kunstpause«. Gute Redner verwenden sie meist ganz unbemerkt. Was wir bemerken, ist lediglich: »Ich kann ihm gut folgen! Ich verstehe alles!« Das liegt nicht an dem, was er sagt. Sondern an dem, was er nicht sagt:
Menschen haben ein viel geringeres Aufnahmevermögen, als wir zumeist annehmen. Sie brauchen Pausen, um das Gesagte zu verarbeiten. Geben Sie sie ihnen. Reichlich.
»Mach deine Hausaufgaben räum dein Zimmer auf stell dein Rad in die Garage und hilf mir danach beim Abwasch!« Wenn ich Mütter (analog: Vorgesetzte) auf diese Weise ohne Punkt und Komma im Maschinengewehr-Stakkato Anweisungen abfeuern höre, habe ich großes Mitleid. Mit der Mutter. Denn sie hat ein Kind geboren, ohne die mitgelieferte Bedienungsanleitung gelesen zu haben. Nicht einmal erwachsene Menschen können sich vier schnell hintereinander aufgezählte Tätigkeiten merken, geschweige denn sie gedanklich verarbeiten.
Wer schweigt, hilft
Beim Kaffeeklatsch beklagte sich eine junge Mutter bei ihrer Freundin, in deren Haus das Treffen stattfand: »Deine Kinder machen so ziemlich alles, was du sagst! Sind meine etwa blöd, oder was?« Nein. Nicht die Kinder. Auch nicht die Mutter. Sie hat bloß nie gelernt, wie man pädagogische Pausen setzt. Die Mutter mit den Musterkindern nämlich würde dieselbe Aufgabenliste wie folgt aufgeben: »Mach bitte erst deine Hausaufgaben.« Pause. Blick ins Gesicht des Sprösslings: Hat er es kapiert? Registriert? Hat er Fragen dazu? Nein? Zeigt er ausreichend große Zustimmung zu der Aufgabe? Dann weiter.
Wer Pausen macht, denkt mit und regt zum Mitdenken an.
Als ich diesen Tipp einmal einem Vorgesetzten gab, erwiderte dieser: »Ach, meine Mitarbeiter wissen schon, was ich von ihnen erwarte. Und so viel Zeit habe ich ja auch nicht. Time is money!« Wie Manager so reden, wenn sie nicht zu schweigen gelernt haben. Ich fragte daraufhin (in Abwesenheit des Vorgesetzten) die Mitarbeiter. Die sagten mir: »Wir kriegen meistens nur die Hälfte mit von dem, was er will. Aber er wiederholt sich ja oft genug.« Man kann sich vorstellen, welche Achtung dieser Vorgesetzte bei seinen Mitarbeitern genießt. Er wird als Mann betrachtet, dessen Wort nicht viel wert ist. Weil er ohne Punkt und Komma redet. Respekt bekommt er von ihnen nicht – und das beruht auf Gegenseitigkeit. Denn das ist eine der erschreckendsten Konsequenzen der ungebrochenen Plappersucht in Management, Politik und Gesellschaft: die chronische Aushöhlung des gegenseitigen Respekts.
Eine Gesellschaft, die den Respekt verloren hat
Bei der ohne Punkt und Komma Anweisungen gebenden Mutter und ihrem Pendant im Management wird eines deutlich:
Wer ohne Pause redet, respektiert sein Gegenüber nicht.
Wer keine Pausen setzt, möchte auf den anderen nicht eingehen
Warum auch? Kinder sind doch bloß Kinder. Was wissen die schon? Und Mitarbeiter sind weisungsgebunden, also weist man sie an! Deshalb sind Waldorfschulen so anders: Da reden auch die Schüler. In einer »normalen« Schule gilt der alte Pennäler-Spruch: »Wenn jeder schläft und einer spricht, dann nennt man das wohl Unterricht.« Vielleicht ist das nötig (warum?), höflich oder respektvoll ist es nicht. Dasselbe gilt für die Alltagskommunikation: Wer redet und redet, möchte dem anderen gar nicht zuhören, möchte sich in erster Linie selbst profilieren, seine Sorgen abladen, sich produzieren. Wenn wir mit anderen reden, wollen wir oft nicht wirklich mit anderen reden. Wir wollen zu anderen reden, Monologe vor Publikum halten.
Bitte verstehen Sie das nicht als Vorwurf! Das geht uns allen so, auch mir. Der Unterschied zwischen Ihnen, mir und dem Rest der Welt besteht lediglich darin, dass Sie und ich es bemerken, wenn wir andere ohne Pause zutexten. Dass uns das ein unangenehmes Gefühl gibt. Dass wir uns dabei fragen: Möchte ich so mit anderen umgehen? So respektlos? Diese Frage ist der erste Schritt zur Befreiung aus der Sklaverei des Sprechzwangs. Es müssen noch viele weitere folgen. Denn der Sprechzwang hält uns mit vielen Fesseln umfangen. Eine davon ist das angeblich »peinliche Schweigen« (siehe ausführlich Kapitel 5):
Wer Schweigen für peinlich hält, schweigt nicht.
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