Trotzdem sollten Sie jetzt nicht zu der Schlussfolgerung gelangen, dass es am Arbeitsplatz immer besser ist, pausenlos dummes Zeug zu quasseln. Das ist möglicherweise gut für die Karriere, weil Vorgesetzte darauf hereinzufallen scheinen (wiederum: Ich weiß nicht, weshalb). Aber es ist ganz schlecht für Image, Respekt und den Kontakt auf kollegialer Ebene. Betrachten wir ein Beispiel.
Wer schweigt, wirkt weise
Ich kenne eine Akademikerin, die als Quereinsteigerin in einem Pharma-Unternehmen die ersten Wochen im neuen Job nur Bahnhof verstand. Sie ahnte, dass sie mit ein paar coolen Sprüchen ihre Vorgesetzten wohl hätte beeindrucken können. Doch dafür hätte sie sich vor den Kolleginnen und Kollegen geschämt: »Die kennen sich in der Regel besser mit der Materie aus als das Management und hätten meinen Bluff sicher durchschaut. Und ich will es mir auf keinen Fall mit den Kollegen und Kolleginnen verscherzen.« Deshalb hielt sie sich in Meetings und Besprechungen am Anfang mit Wortmeldungen zurück. »Aus vorübergehender Inkompetenz«, verriet sie mir. Ihre Kolleginnen und Kollegen sagten etwas ganz anderes über sie: »Die Neue hat was drauf!«, »Sehr angenehm, sehr kompetent.« Obwohl sie gerade nicht kompetent war! Wie kamen die anderen zu diesem Fehlschluss? Weil die Neue sich in Meetings zwar vornehm zurückhielt, aber den Gesprächen aufmerksam folgte und das in ihrer Mimik und mit nonverbalen Äußerungen (»Reassuring Noises«) auch deutlich signalisierte. Sie hielt sich instinktiv an die alte Empfehlung: Bevor ich etwas Dummes sage, sage ich lieber nichts – und strich den Lohn für ihr Schweigen in Form der Anerkennung ihrer Kollegen ein. Kennen Sie jemanden, der sich noch an diese Empfehlung hält? Eben. Die Leute um uns herum scheinen oft nur dummes Zeug zu reden. In bestimmten Bereichen wie Politik und Management scheint sogar das Gegenteil zu gelten: Lieber etwas Dummes als gar nichts gesagt. Und dann wundern sich (einige) Politiker und Manager noch, warum sie so ein schlechtes Image haben …
Wer schweigt, wirkt intelligent. Wirkt intelligent? Tatsächlich ist er oder sie auch wirklich intelligent. Die naiven Zeitgenossen geben unreflektiert dem Impuls nach: »Ich habe keine Ahnung, aber ich muss doch hier etwas sagen!« Intelligente Menschen verspüren diesen Impuls auch. Doch sie geben ihm nicht nach. Sie widerstehen der Versuchung. Und dafür benötigt es ein beträchtliches Maß an Intelligenz. Intelligenz, die ich vielerorts vermisse. Vor allem in Autowerkstätten.
Können Kfz-Mechaniker schweigen?
Wenn das Auto einer Frau liegen bleibt und sie in einer Werkstatt vorstellig wird, wird sie manchmal mit Sprüchen aus der Steinzeit traktiert: »Sicher haben Sie vergessen zu tanken!« Selbst Akademikerinnen geht das so. Die Logik dahinter ist offensichtlich: Da promoviert eine in Bankbetriebswirtschaftslehre und führt ein Familienunternehmen, ist aber zu blöd, um einen Benzintank zu füllen? Wie intelligent ist diese Annahme? Sicher sind solche voreiligen Monteure nicht dumm – aber sie wirken auf mich und auf die Frauen in ihrem eigenen Betrieb und in ihrer Familie so. Und, meine Herren, lassen Sie mich Ihnen eines verraten: Frauen stehen nicht auf dumme Männer. Das gilt umgekehrt übrigens auch:
Frauen, die gekonnt schweigen, gelten als geheimnisvoll und tiefgründig.
Jeder Monteur, der bei meinem Anblick in seiner Werkstatt nicht gleich mit unausgegorenen Bemerkungen kommt, genießt bereits meine Vorschussachtung. Insbesondere dann, wenn er sich erst einmal schweigend meinen Pannenbericht anhört. Denn dann fühle ich mich verstanden.
Viel sagen, ohne viel zu sagen
Wer schweigen kann, gilt als verständnisvoll, mitfühlend und zustimmend. Das wussten bereits die alten Römer. Sie erhoben diesen Satz sogar zum Rechtsgrundsatz: »Qui tacet consentiret.« Wer schweigt, signalisiert damit seine Zustimmung. Die moderne Rechtsprechung würde das konkludentes Verhalten nennen und wendet es auch auf Geschäftsleute an: Wenn unter Kaufleuten einem Vorschlag nicht widersprochen wird, gilt er als angenommen. Schweigen ist kontraktstiftend. Im Alltag wirkt zwar nicht dieser rechtliche, wohl aber ein beziehungstechnischer Aspekt des Schweigens: Wer schweigend einem anderen zuhört und ihm mimisch Aufmerksamkeit signalisiert, der kommuniziert damit immer auch Zustimmung. Die Wirkung ist manchmal verblüffend. Ein Versuchsleiter erzählte mir einmal, dass nach einem Gespräch unter Laborbedingungen sich eine Probandin geradezu überschwänglich beim Gesprächspartner für dessen Verständnis und »das gute Gespräch« bedankte. Der Versuchsleiter hatte die kommunikative Kompetenz des Gesprächspartners nicht ganz so hoch eingeschätzt und spulte das Tonband zurück, um herauszufinden, was dieses Kommunikationsgenie denn nun so gut gemacht hatte. Er stellte fest: Der angeblich so geniale Partner hatte während des zwanzigminütigen Gesprächs so gut wie nichts gesagt! Hauptsächlich äußerte er zustimmende nonverbale Laute wie »Hmh«, »Ja«, »Logisch«, »Ach, wirklich?«, »Donnerwetter!«. Seine Gesprächspartnerin beschrieb ihn hinterher als »eloqent, verständnisvoll und sehr artikuliert«. Ein Hochstapler? Nein, der Mann ist wirklich ein Genie! Er weiß, wie man viel sagt, ohne viel zu reden. Vor allem: Was hat der Mann auf diese Weise alles über seine Partnerin erfahren! Was uns zum nächsten Lohn des Schweigens bringt.
Wissen ist der Lohn des Schweigens
Wer redet, hört nicht zu
Ein besonders eindrückliches Beispiel für den reichen Lohn des Schweigens erzählte mir jüngst der Vorstand eines Bankenverbundes: »Zwei Banken auf dem Lande, die eine ist jetzt fast bankrott, der anderen geht es gut. Die eine hatte massiv US-Schrottkredite gekauft, die andere nur in geringem Umfang. Bei beiden wusste mindestens ein Mitarbeiter im Risk-Management schon frühzeitig, dass die Papiere Schrott sind. Doch bei der einen erfuhr sein Vorgesetzter niemals im nötigen Umfang von diesem Wissen. Obwohl in beiden Unternehmen die Vorgesetzten wöchentlich mit ihren Risk-Managern sprechen.« Doch in der einen Bank laufen die Gespräche (auch heute noch!) nach folgendem Muster ab: »Das müsst ihr noch machen, und wo bleibt jenes, und warum kommt Projekt X nur so langsam voran?« Der Vorgesetzte redet 80 Prozent der Zeit, seine Mitarbeiter 20 Prozent. In der anderen Bank spricht der Vorgesetzte 40 Prozent der Zeit, also gerade die Hälfte seines redseligen Kollegen, dessen Bank jetzt bankrott ist. Der Preis der Quasselei: Wer redet, kann nicht zuhören. Und dieses Unvermögen kann ganz schön teuer kommen. »Careless talk costs lives.« Wer als Führungskraft seinen Quasseldrang nicht im Zaum halten kann, gefährdet das eigene Unternehmen. Das hat direkt etwas mit der Unfähigkeit zu schweigen (siehe Kapitel 3) und übergeordnet etwas damit zu tun, dass Menschen das, was sie wissen, höher bewerten als das, was sie nicht wissen.
Was Sie wissen, ist wichtig; wichtiger ist, was Sie nicht wissen
Alle beklagen sich, wie dynamisch, sprich sprunghaft die Welt doch geworden ist. Doch kaum einer denkt über die Konsequenzen seiner Klage nach: Wenn die Welt sprunghaft geworden ist, dann ist das Wissen, über das ich nicht verfüge, das wichtigere Wissen. Denn mit meinem eigenen Wissen kann ich die Sprünge nicht antizipieren (deshalb erscheinen sie mir ja sprunghaft – sie sind aufgrund meines Wissens nicht prognostizierbar). Um Sprünge vorauszusehen und zu verstehen, benötige ich Wissen, das ich noch nicht habe. Über diesen Gedanken allein hat Nicholas Taleb übrigens den Bestseller The Black Swan geschrieben. Der springende Punkt: Wie will ich zu diesem Wissen gelangen, wenn ich ständig den Mund offen habe? Wenn ich also stets auf meinen eigenen, lückenhaften Wissensfundus zurückgreife und nicht die Option nutze, an fremdes Wissen heranzukommen?
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