In schneller Folge jagte Leones drei Pfeile in den Pulk der anrennenden Feinde. Drohend schwangen sie ihre Waffen, die im Schein des magischen Feuers aufglänzten. Die vordersten Gegner waren bereits den halben Hang herauf.
»Zeit für die Walzen.« Theremon steckte den Baumstamm vor ihnen in Brand. Auf der mit Teer beschmierten Rinde breiteten sich die Flammen rasch aus. Leones ließ den Bogen sinken und griff sich wieder die Fackel. Drei Stämme lagen auf diesem Wehrgang, und er war mit Rhayuna dazu eingeteilt, den nördlichsten auf den Weg zu bringen. Noch während sie auf ihren Posten rannten, hörte er hinter sich ein Poltern. Nicht umsehen! Schneller! Wenn der Feind zu nah war, entwickelten die Walzen nicht genug Schwung. Im Laufen zog er die Fackel über Rinde und Teer, richtete sich am Ende auf und stemmte einen Fuß gegen den Stamm. Die Faust tat am anderen Ende das Gleiche.
»Warte!« Mahnend hob Leones die Hand mit dem Bogen. Sie mussten den Flammen ein wenig Zeit geben, sich festzufressen, sonst erloschen sie womöglich wieder. Über ihren Stamm hinweg sah er die erste Walze in die Reihen der anstürmenden Gegner rumpeln. Die Vordersten versuchten auszuweichen, warfen sich zur Seite, doch es gab nicht genug Platz.
Leones riss sich von dem Anblick los und senkte den Bogen. »Jetzt!« Rasch lehnte er sich vor, setzte sein Gewicht ein, doch irgendetwas blockierte. Der Stamm rollte nicht. »Verdammt!« Hastig ließ er Fackel und Bogen fallen und sank auf die Knie, um mit den Armen zu schieben. Die Faust folgte seinem Beispiel. Im Licht der sich ausbreitenden Flammen sah er, wie sich ihr Gesicht vor Anstrengung verzerrte. Mit den Füßen suchte er Halt, um sich noch fester gegen die Walze zu stemmen. Das magische Feuer kam näher. Er konnte die Hitze bereits spüren. Seiner Kehle entrang sich ein Ächzen, aber im gleichen Moment gab der Stamm endlich nach. Statt zu rollen, rutschte er über die Kante, doch Leones war es gleich. Keuchend rappelte er sich auf, klaubte Bogen und Fackel vom Boden, während der Stamm mit dumpfem Poltern am Fuß der Mauer aufschlug. Selbst jetzt drehte sich die Walze nicht so recht, sondern holperte und sprang über den felsigen Untergrund. Da der Hang hier noch steiler war als unter dem Südturm, entwickelte sie dennoch gewaltigen Schwung. Statt die Orks zu überrollen, prallte sie wie ein Hieb auf die vorderen Reihen. Etliche Untote gingen zu Boden, bevor der Stamm im Chaos aus Flammen und Leibern verschwand.
»Komm schon!« Die Faust eilte durch den Nordturm auf den nördlichen Wehrgang weiter.
Leones folgte ihr und überholte hinter dem Turm, um die nächste Walze in Brand zu setzen. Hier waren die Orks noch etwas weiter weg, doch die Flut schwarzer Gestalten hatte sich am Fuß des Hangs geteilt und schwappte allmählich auch auf dieser Seite empor. Leones gab das Signal. Dieses Mal war kein Aststumpf im Weg. Der Baumstamm rollte über die Kante und fiel flammend in die Tiefe. Ihm nicht nachzublicken, kostete Leones Überwindung, doch sie mussten rasch auf ihren Posten zurück.
Die anderen hatten die dritte Walze vom westlichen Wehrgang gestoßen und rannten gerade auf die Südmauer hinüber, wo der letzte der Stämme bereitlag. Von unten drangen nur Rumpeln und Schritte herauf, kein wütendes Gebrüll, keine Schmerzensschreie. Leones fehlte das Lärmen lebendiger Gegner. Die Stille wirkte, als hätte er mit seinem Plan nichts erreicht, doch er musste nur nach unten sehen, um sich das Gegenteil zu beweisen. Überall auf dem Hang wälzten sich brennende Untote im Staub. Vergeblich versuchten sie, das magische Feuer zu ersticken. Viel zu schnell breitete es sich auf ihren Körpern aus.
Grimmig legte Leones den nächsten Brandpfeil auf. Verglichen mit der heranstürmenden Masse waren es noch viel zu wenig Opfer. Pfeil um Pfeil jagte er in die Menge. Die Orks waren so nah, dass er mit jedem Schuss traf. Er konnte das Knirschen ledriger Haut hören, das Schmatzen faulenden Fleischs und das Zischen der Flammen. Aus dem Augenwinkel sah er Theremon, Keatos und Danael zurückkehren. Die beiden jüngeren Männer wollten ebenfalls nach neuen Pfeilen greifen, aber der Erste gebot ihnen mit einer Geste Einhalt. »Sie sind fast da. Haltet die Brandsätze bereit!«
Hastig zwängte Leones Kopf, Arm und Schulter zwischen Bogen und Sehne hindurch, um die Hände freizubekommen, und streifte Handschuhe über. Während sich Die Faust und Danael einen der Körbe griffen, trat er an die Innenseite der Mauer. Sogleich blickte Sturmlöwe wachsam zu ihm auf. Leones klopfte mit der Linken auf das rechte Handgelenk – das Zeichen für den Greif, zu ihm zu fliegen. Flatternd sprang Sturmlöwe auf den Wehrgang herauf. Unten brandeten die Orks an die Mauer wie eine schwarze Woge.
Theremon half Leones, sich die schwere Tasche mit ölgefüllten Kürbisflaschen umzuhängen. »Lass sie leuchten wie Festlaternen!« Ermunternd schlug er Leones auf die Schulter.
Als sich Leones auf Sturmlöwes Rücken schwang, begriff er, dass der Erste die Untoten meinte. Er war schon so sehr in seine Magie vertieft, dass er Theremons Worte kaum wahrgenommen hatte. Sturmlöwe brüllte beim Anblick der Orks, dass es von den Türmen widerhallte. Schon stieß sich der Greif mit den Hinterbeinen ab und half sofort mit den Schwingen nach, um nicht zu niedrig über den Feind zu gleiten. Leones lenkte ihn auf einen Kreis über dem Hang, fischte dabei eine der Flaschen aus der Tasche und richtete bereits seine Magie darauf. Sofort wurde sie in seiner Hand wärmer und wärmer. Immer stärker wurde der Drang, sie fallen zu lassen, bevor sie ihm die Finger verbrannte. Ewiger Tod! War das heiß! Vor Schmerz spreizte er die Finger, die Flasche entglitt ihm. Er sandte ihr seine Magie nach, aber es war noch zu früh. Sie verschwand aus seiner Reichweite, bevor sich das Öl entzündete. »Verdammt!«
Zornig zerrte er eine neue Flasche hervor. Vor der Mauer drängten sich die Orks nun so dicht, dass sie tatsächlich wie ein dunkles Meer aussahen. Erst weiter hinten hatte das magische Feuer Lücken gerissen, um die sich die nachrückenden Wiedergänger nun teilten, so gut es ging. Einige wurden jedoch in die Flammen gedrängt, und auch die brennenden Baumstämme lagen noch weiter unten auf dem Hang und wurden für manche Gegner zur Falle. Auf dem Wehrgang hatten seine Kameraden Brandkörbe angesteckt und schleuderten sie in die Menge. Die Orks waren zu eingekeilt, um diesen Geschossen zu entkommen. Fauchend sprangen mannshohe Flammen auf und tauchten die Mauer in bläuliches Licht.
Die Flasche in Leones Hand erhitzte sich noch schneller als die erste. Er biss die Zähne zusammen und lenkte Sturmlöwe in neuem Winkel zur Festung zurück. Dort, wo die anderen mit ihren Körben Feuer säten, herrschte unter den Wiedergängern Panik und Chaos, doch beim Nordturm stiegen die Orks ungestört aufeinander, krabbelten wie Ameisen übereinander hinweg. »Nur noch ein bisschen«, ächzte er und hoffte, dass ihm das Öl nicht in der Hand explodierte. Er wollte die Flasche nicht zu früh fallen … Au! Seine Hand gehorchte nicht mehr, schüttelte sich einfach, und die Flasche flog davon. Brenne, verdammt! Das Öl entzündete sich so plötzlich, dass der Kürbis barst. Ein Regen aus weißen Flammen ging auf die Untoten nieder.
»Ja!«, entfuhr es Leones, doch das brennende Öl ging zu weit vor der Mauer nieder. Es traf nicht jene, die mit ihren Körpern die Leiter bildeten. In einer scharfen Kehre jagte er Sturmlöwe zurück. »Da hinten kommen sie hoch!«, brüllte er Theremon zu und deutete zum Nordturm. Der Erste nickte, dann war Leones vorbei. Seine Hand griff bereits nach der nächsten Flasche.
Noch nie war Laurion so weit gelaufen. Selbst als sie aus dem zerstörten Ehala an die Küste gezogen waren, hatte er oft auf einem Karren gesessen, weil die Sandalen seine Füße wund gescheuert hatten. Nun hingen mehrere Blasen in blutigen Fetzen, aber nach einer Weile spürte er den Schmerz nicht mehr. Obwohl er nicht wusste, wie sie es schafften, ohne Sattel und Zaumzeug zu reiten, beneidete er die Grenzwächter um ihre Pferde, doch selbst Maraya und ihr Begleiter mussten zu Fuß gehen.
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