Bisher haben zumindest zwei Giganten im Valley indirekt ihre Rolle in der Immobilienkrise akzeptiert und beträchtliche Summen zugesagt, um die Situation vor ihrer eigenen Haustür zu entschärfen. In einem vorsichtig formulierten Blog-Beitrag mit dem Titel »1 Milliarde Dollar für 20 000 Wohneinheiten in der Bay Area«, der im Juni 2019 veröffentlicht wurde, schrieb Google-CEO Sundar Pichai: 10 »Als Teil unseres Engagements, eine hilfsbereite Firma zu werden, wissen wir, dass unsere Verantwortung zu helfen mit Wohnraum beginnt … Das Fehlen neuer Angebote in Verbindung mit den steigenden Lebenshaltungskosten führte zu einem gravierenden Mangel an bezahlbarem Wohnraum für langjährige Einwohner mit mittlerem und niedrigem Einkommen«, fuhr Pichai fort. »Da Google in der gesamten Bay Area wächst … haben wir in die Entwicklung von neuem Wohnraum investiert, der den Bedürfnissen dieser Bevölkerungsgruppen entspricht.« Anschließend kündigte er »eine zusätzliche« Investition von 1 Milliarde Dollar in den Wohnungsbau in der Bay Area an, mit der mindestens 15 000 neue Wohneinheiten für alle Einkommensgruppen gebaut werden sollen. Pichai fuhr fort, dass Google außerdem einen Investitionsfonds in Höhe von 250 Millionen Dollar einrichten werde, »um Anreize für Bauträger zu schaffen, mindestens 5000 bezahlbare Wohneinheiten auf den gesamten Immobilienmarkt zu bringen«. Das Unternehmen kündigte darüber hinaus an, über Google.orgweitere 50 Millionen Dollar in Form von Zuschüssen an gemeinnützige Organisationen in den Bereichen Obdachlosigkeit und Gentrifizierung zu vergeben. All das bedeutet, dass Big Tech ihren entscheidenden Anteil an der Krise anerkennt.
Apple ging in seinen philanthropischen Bemühungen sogar noch weiter. In einer im November 2019 11 veröffentlichten Pressemitteilung gab das Unternehmen bekannt, es werde 2,5 Milliarden Dollar zur Bekämpfung der kalifornischen Immobilienkrise bereitstellen. Es hörte sich fast wie eine Regierungsinitiative an, als Apple einen Investitionsfonds für bezahlbaren Wohnraum in Höhe von 1 Milliarde Dollar ankündigte. Dieser Fond solle unter anderem dem Land »eine offene Kreditlinie für die Erschließung und den Bau zusätzlichen Wohnraums für sehr einkommensschwache bis einkommensschwache Menschen« bieten. Eine weitere Milliarde Dollar gehe in einen Hypothekenhilfsfonds für Erstkäufer von Wohneigentum, der »angehenden Eigenheimbesitzern Finanzierungs- und Anzahlungshilfen« bieten würde. Apple stelle darüber hinaus ein firmeneigenes Grundstück im Wert von 300 Millionen Dollar in San Jose für die Erschließung von bezahlbarem Wohnraum zur Verfügung. Auch Facebook und andere Tech-Unternehmen investieren Hunderte von Millionen Dollar in die Erschließung von bezahlbarem Wohnraum in der Bay Area. Microsoft beteiligt sich an einer ähnlichen Initiative in seiner Heimatstadt Seattle. 12
»Der Steuerzahler hat schockierend wenig davon«
Diese gemeinschaftsbildenden Maßnahmen können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Tech-Giganten Städte und Staaten untergraben, indem sie rücksichtslos ihre Steuerpflicht drücken. Geld, mit dem Regierungen einige der Probleme lösen könnten, die von ebendiesen Unternehmen verursacht wurden.
Mit dem Versprechen, Arbeitsplätze zu schaffen, kommen sie in den Genuss außerordentlich günstiger Konditionen auf kommunaler und auf Landesebene. Absprachen dieser Art gelten keineswegs nur für die Tech-Branche; viele Großunternehmen werden mit Subventionen und Steuervergünstigungen zur Ansiedlung von Werken oder Büros animiert. Am bekanntesten ist vielleicht das Beispiel, dass Sportmannschaften ihre Heimspiele nicht in ihrer Heimatstadt bestreiten, wenn eine andere Stadt den Eigentümern ein günstigeres Angebot für ein vom Steuerzahler finanziertes Stadion anbieten kann. Leider haben Steuerzahler meistens schockierend wenig von diesen Arrangements. Laut einer Untersuchung 13 der New York Times aus dem Jahr 2012 wurden in den Bundesstaaten, Bezirken und Städten Amerikas geschätzte 80 Milliarden Dollar pro Jahr an Unternehmen verschenkt – durch lokale Förderungen oder Anreize.
Doch die Tech-Giganten mit ihrem Gütesiegel als zukunftsweisender Industriezweig und mit gut bezahlten Arbeitsplätzen (zumindest für einige) beweisen ein besonderes Talent, nicht nur in den Genuss von Steuervorteilen zu kommen, sondern weitere Unterstützungen zu bekommen, oftmals gut verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit. 14
Apple handelte 1997, am Rande des Bankrotts, eine Vereinbarung mit seiner Heimatstadt Cupertino aus: Damit Apple seinen Firmensitz in Cupertino belässt, gibt die Stadt im Gegenzug fünf Jahre lang die Hälfte ihres Anteils an den Umsatzsteuereinnahmen an Apple zurück. Dies galt für alle Umsätze mit kalifornischen Firmenkunden. Dieser Deal wurde verlängert und er besteht bis heute, die genauen Konditionen jedoch sind vertraulich.
Foxconn, zu dessen Hauptkunden Apple, Google, HP, Microsoft und viele andere gehören, wurde 2017 von Wisconsin mit einem 3-Milliarden-Dollar-Paket umworben, wenn im Gegenzug bis zu 13 000 Arbeitsplätze im Bundesstaat entstünden. Das sollte den Staat bis zu 19 000 Dollar pro Arbeitsplatz und Jahr kosten. 15 Zwei Jahre später verkündete der Gouverneur des Bundesstaates, dass das Foxconn-Werk in Wisconsin nur einen winzigen Bruchteil (etwa 1500) der versprochenen Arbeitsplätze schaffen würde. 16 Während ich dieses Kapitel schreibe, standen die Gebäude des Innovationszentrums noch leer und auch das Hauptwerk wartete noch auf seine Eröffnung. 17
Amazon trieb das Ganze auf eine völlig neue Ebene. In einer Art Casting konnten sich Städte beim Billionen-Dollar-Konzern um den zweiten Hauptsitz des E-Commerce-Riesen bewerben. Die Städte versuchten, sich gegenseitig mit immer größeren Anreizen aus Steuergeschenken und Subventionen zu überbieten. Unter anderem umwarben die Verantwortlichen aus New York und Virgina 18 den Konzern mit 3,4 Milliarden Dollar. Amazon erwies sich im Laufe der Jahre als besonders geschickt, wenn es darum ging, Milliarden von Dollar an staatlichen und kommunalen Subventionen für die Wirtschaftsentwicklung einzuheimsen. 19
Am Ende gab Amazon das Bauvorhaben für sein »HQ2« in Long Island City, Queens auf. 20 Der Widerstand lokaler Politiker war einfach zu hoch. Den Zuschlag bekam Arlington, Virginia, ein Gebiet auf der anderen Seite des Potomac, direkt gegenüber von Washington, DC. Angeblich forderte der Konzern unter anderem, dass die zuständigen Beamten verpflichtet sind, Amazon mitzuteilen, wenn Medienorganisationen einen Antrag auf »öffentliche Aufzeichnungen« stellen, die den Deal betreffen. Durch diese Vereinbarung kann Amazon versuchen, die Anfrage abzulehnen und somit die Offenlegung zu verhindern, bevor Informationen an die Öffentlichkeit gelangen. 21
Eine globale Steuerlücke in Höhe von100 Milliarden Dollar
Subventionen und Steuererleichterungen sind eine Sache. Aber die Tech-Giganten sind auch Meister darin geworden, weltweit ihre Steuerverpflichtungen rücksichtslos auf ein Minimum zu drücken. Airbnb ist ein typisches Beispiel dafür. Obwohl es eher zu den vertrauenswürdigeren der großen Tech-Marken gehört, nutzt der Marktplatz für kurzfristige Untervermietungen seinen Status als digitale Plattform auf zwei Arten. Der erste und wahrscheinlich bekannteste Weg ist, dass Airbnb dank seines Peer-to-Peer-Modells den Großteil der Fixkosten des Hotelgewerbes umgehen kann, einschließlich der Personal- und Beschäftigungssicherung. Der zweite und weniger bekannte Weg sind die »freiwilligen« Steuervereinbarungen, mit denen Airbnb die staatlichen und kommunalen Behörden vermutlich übers Ohr gehauen hat und dadurch Löcher in die Haushalte in den USA und weltweit reißt.
Dan Bucks, ehemaliger Leiter des Finanzamts in Montana und fast 17 Jahre Exekutivdirektor der bundesstaaten-übergreifenden Steuerkommission (MTC) in Washington, D.C., stellte im Juni 2019 fest, dass die »freiwilligen Einzugsvereinbarungen« von Airbnb zwischen 2013 und 2018 Bundes-, Staats- und Kommunalverwaltungen in den USA geschätzte 3,48 Milliarden Dollar gekostet haben könnten. Dabei handelt es sich um Mittel, die andernfalls für öffentliche Dienstleistungen hätten ausgegeben werden können, die in den meisten US-Städten bitter benötigt werden. 22
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