Paul Barsch
Von Einem, der auszog.
Ein Seelen- und Wanderjahr auf der Landstraße
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Inhaltsverzeichnis
Titel Paul Barsch Von Einem, der auszog. Ein Seelen- und Wanderjahr auf der Landstraße Dieses ebook wurde erstellt bei
Von Einem, der auszog.
Junge Dichter
Der Ausmarsch
Meine Mutter.
Junge Gesellen.
Der Aufbruch.
Junge Fechter.
In Breslau.
Johann verschwindet.
Der Fechtmeister.
Das schöne Tal.
Der Meister.
Der erste Wochenlohn.
Die heilige Dreifaltigkeit.
Ein Sonntag.
Im Gesellenbunde.
Der neue Anzug.
Der Dichter.
Der Sozialdemokrat.
Der Herr Stadtsekretär.
Das Sedanfest.
Mathilde Ullrich.
Eine Penne.
Der Galgenposamentierer.
Der Raubmörder.
Die Rinderpest.
Auf der Bergstraße.
Erlösung.
Bei Ölmüllers.
Herr Streller.
Der Gurkenmacher.
Bei Franz.
Im Königsschlosse.
Ohne Gefährten.
In Leipzig.
Friedrich Hofmann.
Die Höhle des Elends.
Hin zu ihr!
Bei ihr.
Sehnsucht.
Der alte Schmied.
Scheidestunden.
Bei Riegels.
Der Brief aus Ungarn.
Der Bleizucker.
Die Meisterin.
Das Erwachen.
Paul Barsch zum Gedächtnis
Impressum neobooks
Ein Seelen- Wanderjahr auf der Landstraße.
Roman von Paul Barsch
Von einem närrischen Grünling, von einer auf sich selbst gestellten, in sich selbst ruhenden kleinen Kreatur will dieses Bekenntnisbuch künden. Von einem armen Wandergesellen, der von Gott und Welt und Menschenseele nichts wusste. Von einem wegmüden, weltscheuen, verprügelten und dennoch aufrechten Sucher, der sich in Gott, Welt und Menschenseele auf irgendeine beruhigende Weise zurechtfinden wollte. Von Einem, der auszog, um durch die Wirrnis vielfacher Rätsel, die ihn reizten und ängstigten, herzhaften Mutes vorzudringen und vielleicht gar, wenn es anginge, das Wunderkräutlein zu gewinnen. Von einem ergötzlichen Gernegroß, der kaum erwacht, vom Herde der Mutter fortlief, in Seelennot unter fremden Menschen umherirrte, sich in Seelennot auf seinem Marsch ins Leben an allen Ecken und Enden wund stieß, als Mensch in Seelennot mit sich selbst rang und sich durch wirkliche und erträumte Schrecknisse fortkämpfte.
* *
Das war vor Jahrzehnten. Weitab in der Ferne liegt jenes Seelenjahr. Möglich, dass sich Schleier der Dichtung über die Wahrheit senkten. Wie ein seltsam fremdes Menschenkind mutet mich jenes Kerlchen an, das damals vielleicht ich selbst gewesen bin. Es hat, während ich aus Aufzeichnungen, Erinnerungen und Träumen nachzeichnete, merkwürdig typische Züge angenommen. Als ein echtes Kind der Mutter Schläsing erscheint es mir, das, wie die meisten Sprösslinge dieser schönen Mutter, ein Stückchen Dichter war, wenig für das Leben taugte und dennoch, nach richtiger Schlesierart, nicht zugrunde ging.
So kündet dieses Seelenjahr: wie die kleine, unwissende, unreife, zaghafte, traumfällige schlesische Menschenseele beschaffen war, ehe sie aus der Enge der Heimat, aus Beschränkung und Unwissenheit, hinaus flatterte in den Trubel der Welt, und wie sie sich draußen in der Fremde wandelte. Vielleicht auch hat sich unwillkürlich eine kulturgeschichtliche Farbe über die Grundzüge dieses Buches gelegt. Vielleicht ist es ein bodenständiges und vaterländliches Buch und das letzte umfangreiche Zeugnis von Wanderpoesie, die sich mit dem Wesen der neuen Zeit nicht vertrug und daher weichen musste; vielleicht ist es gar eine Naturgeschichte des kleinsten deutschen Mannes.
* *
[ Eines Schulhauses und eines Pfarrhauses sei hier in Freudigkeit gedacht. Das eine steht in einem weltentlegenen Dörfchen des Schlesierlandes, das andere fern in einer schwäbischen Stadt. Im Schulhase wohnte mein Herzensfreund Johannes, der edle Schulmeister, der heut unter dem angenommenen Namen Philo vom Walde ein ruhmbekannter Dichter und insbesondere ein Lieblingspoet der Schlesier ist; im andern waltete mein trauter Hans Rudolf Schäfer, der weise Stadtpfarrer und feingeistige Schriftsteller, bei frommen und gelehrten Büchern. Im Schulhause und im Pfarrhause fand der Wanderer, von einem gebenedeiten Glücksstern hingeleitet, zum ersten Mal auf seiner Irrfahrt eine sichere Seelenheimat. Ich grüße die treuen Freunde!
P.B.
Anton Lindner
dem Dichter und Menschen
widme ich
. . ein armer Mann, wie Hamlet . .
dieses Jahr einer Seele
als Zeichen unwandelbarer Freunschaft
und innigster Kameradschaft
(nur in der Ausgabe von 1905) ]
Unser Meister war verschwunden. Alle Gemüter im ganzen Hause waren stark erregt. Die Leute tuschelten einander sonderbare Geschichten zu. Eine alte Marketenderin, die ein Stück unseres Holzschoppens gemietet und darin einen Kaffeeschank für die Soldaten der nahen Kaserne errichtet hatte, wollte mit aller Bestimmtheit wissen, dass der Teufel den Meister geholt habe. Das sei immer so bei den Freimaurern. Eines Tages seine sie fort; man wisse ganz gut wohin. Wenn sie daran denke, dass dieser hübsche Mann im höllischen Feuer büßen müsse, so möchte sie immerfort weinen. Wer habe ihn aber auch geheißen, unter die Freimaurer zu gehen! Der Schneidermeister erklärte, es sei richtig, dass unser Meister vom Teufel geholt worden. Doch er meinte den Schuldenteufel.
Droben am Fenster des Wohnzimmers saß Cäcilie, die Köchin, und weinte. Zuweilen blickte sie nach dem Fenster der Werkstatt über den Hofraum, wie sie es seit Jahren so gewohnt war. Aber sie tat es nicht mehr in der Absicht, uns durch ihre Blicke zum Fleiß aufzumuntern. Ihre Augen waren dunkel umrandet von vielen Weinen, und wir kamen allmählich zu der Ansicht, dass sie Gewissensbisse empfinde und uns um Verzeihung bitten möchte für das viele Unrecht, das sie an uns begangen.
O, sie war falsch und schlecht gewesen zu uns Lehrjungen! Wir erinnerten uns jetzt daran, wie sie uns behandelt hatte, so oft der Meister in Geschäften ausgegangen oder verreist war. Für zwei von uns hatte sie dann beständig Arbeit gehabt. Wir mussten Kartoffeln schälen, den Ofen heizen, Kohlen aus Keller holen, Wasser tragen, zum Krämer gehen und Nachrichten zu ihrer Mutter bringen, die in der Vorstadt wohnte. Unterdessen spielte sie mit dem Dienstmädchen Karten. Mit ihrem Dienste beschäftigt, versäumten wir unsere Arbeiten in die Werkstatt, und wenn dann der Meister zornig wurde und uns schwere Nachtarbeiten zur Strafe auftrug, duften wir uns nicht einmal verteidigen. Er glaubte stets nur den Worten Cäciliens; uns hielt er für Lügner und Faulenzer. Cäcilie aber log ihm jedes Mal vor, sie hätte uns höchstens fünf Minuten lang in Anspruch genommen. Wir seien eben – schrie sie dann zum Fenster herab – eine stinkträge Bande; wir müssten geprügelt werden und dürften drei Tage lang nicht zu essen kriegen. Den Gehorsam durften wir ihr nicht versagen; das litt der Meister nicht. Eine Widersetzlichkeit gegen Cäcilie bestrafte er viel strenger, als eine Nichtachtung seiner eigenen Befehle.
Jetzt freuten wir uns über ihr Unglück, spotteten ihrer und wünschten, dass sie als Köchin in einem Hause Dienst fände, wo sie ebenso schlecht behandelt werden möge, wie wir von ihr behandelt worden… Die Arme! Sie hatte Ursache, sich der Trauer hinzugeben. Die Hoffnung, dass der Meister sie heiraten werde, war zerschlagen. Ach, und die Schmach! Wusste sie doch, dass die Menschen jetzt mit Finger auf sie zeigen würden. Die Marketenderin sagte uns vertraulich, dass der Vogel mit den langen Beinen schon unterwegs sei; nach ihrer Schätzung könne er bereits in wenigen Wochen bei der Cäcilie eintreffen. Der Meister war Montagabends fort gegangen, angeblich in die Loge, und nicht zurückgekehrt. Acht Tage war das schon her. In den ersten Tagen war Cäcilie der Meinung gewesen, er habe als Freimaurer von Loge einen geheimen Reiseauftrag erhalten; dann aber hatten ihr einige Logenbrüder bestimmt erklärt, dass dieser Glaube falsch sei. Am Ende der Woche war sie durch Zufall zu der Entdeckung gelangt, dass er aus dem Schreibtisch alles Geld und alle wichtigen Papiere mitgenommen, und nun glaubte sie, er sie ins Ausland entflohen.
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