Ursel konnte sich ihre Bemerkungen gegenüber Doro noch nie verkneifen und fügt kess hinzu: »Na, da pass mal gut auf, dass du nicht wieder voll danebentriffst, meine Liebe.«
»Garantiert nicht!«, antwortet die blonde Jägerin aus dem Warndt bissig und dreht sich demonstrativ beleidigt in Fahrerrichtung um.
Nach der Ankunft von Ursel ist die Mannschaft vollzählig, und Heidrun gibt dem Busfahrer das Zeichen, dass die Fahrt beginnen könne. Während der Bus gemächlich lostuckert, nimmt die erste Vorsitzende die Gelegenheit wahr, die anwesenden Damen zu begrüßen. Sie platziert sich im Gang direkt neben dem neuen Busfahrer.
»Es freut mich, dass ihr es alle gesund und munter zu unserem Ausflug geschafft habt. Ich bin mir sicher, wir werden heute einen wunderschönen Tag zusammen haben. Zur Erinnerung noch einmal kurz der Tagesablauf.« Heidrun kramt einen kleinen Zettel aus ihrer Handtasche. »Zuerst geht es zu den Homburger Schlossberghöhlen, ich habe für uns eine Führung gebucht. Danach ist eine kurze Pause mit Kaffee und Kuchen eingeplant – wer möchte, kann sich bei der Gelegenheit auch die Ruinen der Festung Hohenburg auf dem Schlossberg ansehen. Gegen zwei haben wir einen Termin zur Besichtigung in der Karlsberg Brauerei.«
Heidrun grinst und greift nach dem Korb, der mit einem Tuch abgedeckt neben ihr steht. »Und zur Eingewöhnung, dachte ich mir, kann ein Glas Sekt als Muntermacher sicher nicht schaden.«
Das fängt ja gut an, denkt Anneliese, die seit Weihnachten keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt hat – schon gar nicht um halb neun in der Früh.
»Ne, am Morgen, das vertrage ich gar nicht«, sagt Anneliese mit einem Fingerzeig auf ihren Magen, als die Vorsitzende mit Gläsern und Flasche an ihrer Sitzreihe ankommt.
Ursel ziert sich bei Weitem nicht so. »Für mich randvoll«, fordert sie Heidrun auf.
Nun mischt sich Doro wieder ein. Sie hält der Vorsitzenden ihr halbvolles Glas hin und sagt: »Ach Anneliesel, zier dich nicht so. So ein Sektchen in der Frühe ist doch gut für den Kreislauf.«
Lotte ist nicht zu sehen, aber man hört ihr Kichern. Der Sekt zeigt bereits Wirkung, das Gackern ist heller geworden.
»Na, Lieschen, letzte Chance!«, versucht es Heidrun wieder und hält einladend die Flasche in die Höhe. »Willst du nicht doch einen Schluck von der guten Medizin?«
»Klar!«, sagt Ursel, nimmt an Annelieses Stelle das Glas entgegen und gibt der Vorsitzenden mit einem eifrigen Kopfnicken zu verstehen, bloß nicht zu geizig mit dem Prickelzeug zu sein.
»Auf einen lustigen Tag!« Die Freundin reicht Anneliese den Sekt und lacht. »Keine Angst Lieschen, du wirst schon nichts Dummes anstellen.«
Anneliese zuckt mit den Schultern und gönnt sich einen Schluck. Zugegeben, übel schmeckt der Sekt nicht, und ihr Kreislauf machte ihr sowieso die letzten Tage zu schaffen.
»Kann ich noch ein Gläschen haben – wegen meinem niedrigen Blutdruck?«, fragt sie später, als Heidrun im Gang an ihr vorbeiläuft, denn wenn das so gesundheitsförderlich ist, kann ein weiteres heilsames Schlückchen bestimmt nicht schaden.
»Meine Damen, in Kürze werden wir die Schlossberghöhlen Homburg erreichen«, dröhnt die Stimme des Busfahrers durch die Lautsprecher über den Köpfen der Frauen. Während der Fahrt hat Herr Nussbaum Musik aufgelegt. Alles Hits aus alten Zeiten. Sogar eine Polonaise haben sie durch den Bus getanzt, selbst Anneliese, deren Kreislauf nach dem dritten Glas Sekt wie angekündigt deutlich in Schwung kam. Ihre Backen leuchten rosarot, und an ihrer Bluse hat sie wegen der Hitze im Bus ein, zwei Knöpfe gelockert. Das ständige Kichern von Lotte und die Angeberei von Doro vernimmt sie kaum mehr. Die Stimmung ist ausgezeichnet.
Trotzdem kann sich Doro bei der Ankunft in Homburg wieder einmal einen Witz auf Annelieses Kosten nicht verkneifen. »Sie kommen doch bestimmt auch mit zur Führung, Edmund?«, flötet sie, als sie beim Busfahrer aussteigen.
»Na, eigentlich …«
Doro lässt Herrn Nussbaum erst gar nicht ausreden. »Auf so einen Gentleman wie Sie können wir unmöglich verzichten, schließlich haben wir ein paar ältere Frauen mit an Bord, die nicht mehr gut zu Fuß sind. Wie hier unsere graue Anneliesel.« Dabei weist Doro mit einem unschuldigen Lächeln zu Anneliese, die im Gang wartet, und als sie den Blick des Busfahrers auf sich spürt, beschämt zu Boden schaut. Gern würde sie etwas entgegnen, doch Schlagfertigkeit war und ist nicht ihre Stärke.
Ihre alte Klassenkameradin hingegen ist selten sprachlos. »Und außerdem braucht eine Dame wie ich einen geeigneten Begleiter – einen besseren wie Sie kann man sich doch kaum vorstellen.«
»Doro«, erklingt eine helle Stimme von hinten. Lotte versucht, sich aufzurichten. Möglicherweise ist es doch ein Gläschen Sekt zu viel für den Kreislauf gewesen.
Der Busfahrer macht den Eindruck, als überfordere ihn die Situation. »Nun, ich weiß nicht«, murmelt er undeutlich und richtet sein graues Haar am Hinterkopf mit der Hand.
Solche Momente hat Doro schon immer bestens zu nutzen gewusst. »Dann weiß ich es eben für Sie! Oder wollen Sie mir etwa einen Korb geben?« Demonstrativ hält Dorothea Herrn Nussbaum den Arm zum Einhaken entgegen.
Jetzt wandern wieder alle Blicke von Doro zum Busfahrer. Das Kichern und Lachen, das vor ein paar Sekunden noch den Bus durchströmt hat, ist verebbt. Die gebündelte Aufmerksamkeit liegt auf dem Busfahrer, der sich umdrängt von derart vielen Frauen erkennbar unbehaglich fühlt. Bitte, bitte, bitte, gib ihr einen Korb, fleht Anneliese in Gedanken. Nur dieses eine Mal! Dorothea hat eine Abfuhr hier vor aller Augen mehr als jede andere auf der Welt verdient. Aufs Neue hat sie sich auf dreiste Weise in ihrer selbstverliebten Art in den Mittelpunkt gedrängt – und wie schon so oft auf Annelieses Kosten. Das Leben muss doch einmal Gerechtigkeit beweisen! Aber bedauerlicherweise zeigt es sich auch diesmal nicht gnädig.
»Na gut, okay«, stammelt Edmund Nussbaum und zuckt mit den Schultern. Kleinlaut zieht er den Schlüssel aus dem Lenkradschloss und reicht Doro seinen Arm.
Ihre Dreistigkeit siegt erneut. Wie eine Adelige mit ihrer Gefolgschaft schreitet sie selbstgefällig vor der Gruppe her und genießt die Aufmerksamkeit, die ihr in diesen Sekunden zuteilwird, während Anneliese zerknirscht vor dem Bus auf Ursel wartet.
Die Miene ihrer Freundin drückt unmissverständlich aus, was sie von der Show gerade hält. »Oh leck, was für’n Ballawer!« Ursel hakt sich bei ihr unter. »Von der Wedderhex lassen wir uns doch nicht die Stimmung verderben«, fordert sie und schaut auf den Gegenstand in Annelieses Hand. »Willst du den Schirm wirklich mitnehmen? Bestes Wetter haben sie heute Morgen im Radio gemeldet und außerdem sind wir doch sowieso in der Höhle.«
»Man weiß nie!«, entgegnet Anneliese, die nur höchst selten das Risiko eingeht, das Haus ohne Schirm zu verlassen. »Ich bezahle doch nicht für meine teure Wasserwelle und stelle mich dann einen Tag später in den Regen.«
»Regen bei dem Sonnenschein, das ist wohl mehr als unwahrscheinlich.« Ursel späht ungläubig zum Himmel, an dem nicht eine einzige Wolke zu sehen ist. »Aber wenn du unbedingt willst, nimm den Schirm mit. Ich muss ihn schließlich nicht mit mir herumschleppen.«
Genau wie früher zu Grundschulzeiten, denkt Anneliese. Nie hat Ursel einen Schirm in ihren Ranzen gepackt. Sie hat sich immer darauf verlassen, dass Anneliese für jeden noch so unerwarteten Regenfall gewappnet ist und ist im Fall der Fälle unter ihren Schirm dazugehuscht.
Die Gruppe sammelt sich vor dem Eingang der Höhle und wartet auf den Führer. Dorothea steht dicht neben dem nicht glücklich wirkenden Busfahrer, immer noch bei ihm eingehakt.
»Sekündchen«, sagt Herr Nussbaum, als sich Anneliese und Ursel als Letzte zur Gruppe dazugesellen, und macht Anstalten, sich aus Doros festem Griff zu winden. »Bin gleich wieder da«, erklärt er.
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