1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 »Verdammt«, sagt Wolfgang, der reichlich spät dazutritt, und reißt Gabriele an der Schulter von mir weg. »Günther hat die Bombe aktiviert.«
»Nein, ich glaube eher …« Gabriele holt tief Luft, bevor sie weiterredet: »Ich glaube, aktiviert wird sie erst, wenn Günther den Knopf wieder loslässt. Junge, beweg dich bloß nicht, keinen Millimeter. Sonst sehen wir alle alt aus.«
Dieser Satz setzt mich offen gesagt ein bisschen unter Druck. Ich wage es kaum, zu atmen. Meine Pupillen wandern hinunter zu dem schwarzen Kasten. Gabriele liegt richtig, ich habe mit meinen Zähnen den Knopf heruntergedrückt. Bislang unabsichtlich, doch nun gilt es, alles daran zu setzen, ihn weiterhin in dieser Position zu halten. An irgendeiner Stelle in diesem Gebäude liegt eine Bombe versteckt, und es braucht nur eine winzige Bewegung von mir, damit das Ding uns alle in die Luft jagt.
»Raus mit euch!«, brüllt Wolfgang und hebt die Hände zur Seite, während er rückwärtsgeht. Die verschüchterten Leute, die in den vorderen Teil des Bistros gedrängt sind, nachdem der Geiselnehmer außer Gefecht gesetzt wurde, weichen nun nochmals zurück. Manche machen direkt und automatisch das Richtige und flüchten zur Ausgangstür hinaus. Andere reagieren in ihrer Bestürzung erst, als Gabriele und Adelheid sie zum Gehen auffordern. Zurück bleiben die beiden Frauen, Wolfgang und ich sowie der Geiselnehmer, der allmählich aus seiner Ohnmacht erwacht.
»Ihr müsst ihn übernehmen«, sagt Wolfgang und reicht Gabriele die Dienstwaffe. »Schafft den Burschen raus. Und lasst ihn keine Sekunde aus den Augen!«
Gabriele nimmt mit fahrigen Fingern die Waffe entgegen und richtet sie sofort auf den Verbrecher. Sie zwingt sich, Ruhe zu bewahren, das ist ihr deutlich anzusehen. Mit dem Kopf weist sie zu dem Mann in Schwarz, der noch benommen wirkt. Adelheid versteht und greift dem verletzten Geiselnehmer unter die Arme.
»Aufstehen, du Dreckskerl! Sonst kannst du hier mit deiner eigenen Bombe in die Luft gehen«, herrscht Gabriele ihn an, und der Kriminelle richtet sich mit Adelheids Hilfe widerwillig auf. »Vorwärts!« Sie weist mit der Waffe in Richtung Ausgangstür. Die drei setzen sich in Bewegung.
»Passt auf euch auf«, flüstert Gabriele mit erstickter Stimme, als ihr Blick für einen kurzen Moment von den Vorausgehenden ablässt und zu Wolfgang und mir wandert. »Macht bloß keinen Quatsch, ihr zwei.«
»Keine Angst: Wir sind ein Superteam – Günther und ich. Wie Tim und Struppi oder Flipper und Sandy. Da gibt es immer ein Happy End.« Als der Kommissar das sagt, lächelt Gabriele für einen kurzen Moment, gleichwohl merke ich ihr an, dass ihr nicht nach Lachen zumute ist. »Bis gleich. Wir sehen uns in ein paar Minuten, versprochen?«
»Versprochen«, entgegnet Wolfgang.
Und dann sind die drei auf und davon.
Wolfgang wartet. Unendlich lange, wie mir scheint. Er will vermutlich sichergehen, dass die soeben aus dem Gartenbistro Entkommenen die Polizeisperre erreicht haben.
»So, jetzt zu uns, Junge«, flüstert er schließlich und streckt die Hände nach mir aus.
Sei bloß vorsichtig, denke ich. Jeder noch so kleine Muskel meines Körpers ist angespannt. Wir dürfen beide keine falsche Bewegung machen, das ist uns auch ohne Worte klar. Wolfgang nimmt mich in seine mächtigen Hände, hebt mich hoch, langsam und sehr vorsichtig, wie ein neugeborenes Baby. Ich zittere. Ruhig Blut, spreche ich mir selbst Mut zu. Einfach gelassen bleiben, der Mann vor mir ist ein Profi, er weiß genau, was er tut. Wolfgangs Nervenkostüm ist auf solche Umstände geeicht und Situation wie diese erlebt er tagtäglich.
»So was habe ich noch nie gemacht«, sagt Wolfgang in der nächsten Sekunde. »Aber keine Bange. Das kriegen wir hin, Günther. Wir werden hier heil rauskommen, wir beide, das verspreche ich dir. Und zu Hause gibt es ein Riesenstück Schmorbraten.«
Das hört sich ausgezeichnet an. Auf dieses Bild konzentriere ich mich: Wir drei, einträchtig in Gabrieles Wohnzimmer, und auf dem schönen Keramikteller mit den blauen Blumen ein großes Stück Braten. Der Gedanke trägt mich durch die heikle Situation. Wolfgang hält mich fest in seinen Händen, als wären sie aus Marmor gemeißelt. Zielstrebig und konzentriert steuert er auf die Ausgangstür zu und lehnt sich vorsichtig dagegen.
»Alter Schwede, die klemmt«, wettert er. Ohne freie Hand versucht er es mit dem Gewicht seines Körpers. Bloß keine Erschütterung, das denken wir wohl beide, aber es braucht andererseits auch ein wenig Druck, damit die schwergängige Eingangstür sich endlich bewegt.
»Achtung!« Die Stimme kommt von draußen. Jemand öffnet die Tür. Wolfgang macht überrascht einen Schritt zur Seite.
»Bist du von allen guten Geistern …?«, braust er auf, als er Gabriele sieht. Statt den anderen zu folgen, ist sie zurückgekehrt.
»Jetzt kommt schon.«
Wolfgang schüttelt den Kopf. »Bring du dich zuerst in Sicherheit.«
»Ich bleibe bei euch«, entgegnet Gabriele. Man hört, wie ernst ihr das ist.
Statt weiter zu diskutieren, nimmt Wolfgang bedächtig die Türschwelle. Auch wenn wir wohl alle am liebsten rennen würden, bleibt er ruhig und besonnen. In Wolfgangs festen Armen zu liegen, fühlt sich an wie schweben, ich mache das Einzige, was ich in dieser Situation tun kann: Den Kiefer so entschieden zusammenpressen, als hinge mein Leben davon ab – und letztlich ist das auch der Fall.
Nun geht es über den kleinen Kiesweg hinauf in Richtung Parkplatz, der mittlerweile eher einem Versammlungsplatz ähnelt. Wir sehen die Menge an Polizisten und Neugierigen, die sich hinter dem Absperrband versammelt haben. Alle Blicke richten sich auf uns. Manche halten ihre Handys in die Höhe, um die Szene für die Nachwelt festzuhalten.
»Gleich ist es geschafft!«, verspricht mir Wolfgang. Er riecht nach Schweiß. Es dauert gefühlte Stunden, bis wir endlich die Absperrung und damit die sichere Linie erreichen.
»Absetzen«, fordert einer der Männer in dunkler Montur, mit Helm, Schutzanzug und allem Drum und Dran. Mittlerweile ist also das SEK eingetroffen. Das ist gut, sage ich mir. Der Knabe, der anscheinend das Kommando über die Truppe hat, weist auf eine Stelle am Boden, wo eine Decke ausgebreitet ist.
»Genau hier. Und seien sie vorsichtig!«
Wolfgang setzt mich wie befohlen behutsam ab, in seinen Augen sehe ich Erleichterung. Bald ist alles in trockenen Tüchern, beruhige ich mich.
»Alle zurücktreten. Ich brauche Platz und völlige Ruhe«, fordert der Kommandierende daraufhin. »Los! Vorher werde ich den Zünder nicht aus diesem Tier entfernen.«
Diesem Tier? Was denkt der sich, empöre ich mich. Aber ich bleibe gefasst. Wir sind so weit gekommen, den unmöglichen Kerl werde ich schon noch ertragen, auch wenn mittlerweile die Kraft im Kiefer nachlässt und meine Lippen gefährlich zittern.
Es raunt in den Zuschauerreihen, als der Mann mit dem Oberkommando sein Visier herunterschiebt und nach dem Auslöser in meiner Schnauze greift. Er zählt laut von drei herunter: »Drei, zwei …«
Ich kneife die Augen zusammen. Der Gedanke, das könnte nicht nur ein Auslöser, sondern die Bombe selbst sein, drängt sich mir auf und macht das Stillhalten nicht leichter.
Der Mann vor mir ist endlich so weit.
»Eins!«, brüllt der Befehlshabende und ich spüre eine Millisekunde später, dass sich der viereckige Kasten aus meinem Mund schiebt. Der schwarze Knopf wird ab jetzt von der Hand des Kommandierenden gehalten und es scheint, als würde die Welt den Atem anhalten. Alles verharrt, während wie in Zeitlupe ein in einen hellbraunen Schutzanzug gehüllter Mann auf uns zukommt. Er trägt einen Helm mit riesigem Visier, fast könnte man meinen, es handle sich um einen Astronauten. Quälend langsam schiebt er eine Schraubklemme über den Fernzünder und dreht die Stellschraube fest. Hoffentlich weiß der Knabe, was er macht.
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