61Die Zuwanderung von Arbeitskräften nach Deutschland erfolgt nicht ungesteuert, sondern vielmehr aufgrund eines differenzierten Regelungswerks, das sowohl den Aufenthalt zum Zweck der Aus- und Weiterbildung als auch den länger dauernden Aufenthalt hoch qualifizierter Ausländer oder den kurzfristigen Aufenthalt von Saisonarbeitskräften umfasst. Wenn demnach § 1 Abs. 1 Satz 1 AufenthG die Steuerung und Begrenzung von Ausländern als primäres Ziel des neuen AufenthG definiert, ist damit offensichtlich etwas anderes gemeint als die Schaffung eines Regelwerks über die Voraussetzungen, unter denen unterschiedliche Kategorien von Ausländern in die Bundesrepublik einreisen und dort Aufenthalt nehmen können. Zweck ist eine stärker „zielorientierte“ Steuerung insbesondere durch die Verfahren, nach denen ein Aufenthaltstitel zum Zweck der Erwerbstätigkeit erlangt werden kann. Für die maßgeblichen Steuerungsfaktoren lassen sich konkurrierende Perspektiven u. a. der Gefahrenabwehr, zwischenstaatlicher Kooperation, okönomische Gründe, kulturelle Erwägungen und individualrechtliche Aspekte (Menschenrechte, Refoulement-Verbot) unterscheiden 3.
62Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist die Steuerung des Zugangs von Drittstaatsangehörigen zum Arbeitsmarkt durch das Prinzip des Vorrangs der Vermittlung inländischer oder gleichgestellter EU-Arbeitskräfte suspendiert, wenn auch nicht völlig als gesetzliche Regelungsoption (vgl. § 39 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG) aufgehoben worden. Die Steuerung erfolgt vielmehr durch ein Verfahren der Zustimmung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis durch die Bundesagentur für Arbeit, die allerdings im Regelfall nur die Gleichheit der Arbeitsbedingungen und das Vorliegen einer der erforderlichen beruflichen Qualifikation angemessenen Beschäftigung, soweit evtl. weiterer gesetzlicher Voraussetzungen für die Berufsausübung, zu überprüfen hat. Die Feinsteuerung erfolgt durch die Beschäftigungsverordnung, die regelt, unter welchen Bedingungen die Zustimmung entbehrlich ist oder sich auf eine Prüfung vergleichbarer Arbeitsbedingungen beschränkt. Im Übrigen setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zweck der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, soweit nicht in einer Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist, im Grundsatz die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit voraus, es sei denn, die Zustimmung ist kraft Gesetzes, aufgrund der Beschäftigungsverordnung oder -bestimmung in einer zwischenstaatlichen Vereinbarung nicht erforderlich (§ 39 Abs. 1 Satz 1 AufenthG).
63Neben den Problemen bei der Steuerung der Arbeitskräftezuwanderung stellt sich noch ein weiteres, gravierenderes Problem der Zuwanderungssteuerung derjenigen Ausländer, die zwar über kein Aufenthaltsrecht verfügen, aber dennoch aus vielfachen Gründen nicht in ihren Heimatstaat zurückkehren. Zuwanderungskontrolle bedeutet daher auch eine Kontrolle über die Beendigung des Aufenthalts derjenigen Ausländer, die nicht oder nicht mehr über ein Aufenthaltsrecht verfügen. Unkontrollierte Zuwanderung im eigentlichen Sinne ergibt sich daraus, dass rechtliche Pflichten zur Ausreise nicht ausreichend durchgesetzt werden können und hieraus eine faktische Einwanderung resultiert; sei es, dass aufgrund rechtlicher oder sei es, dass aufgrund faktischer Gründe aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht durchgesetzt werden.
64Das AuslG 1990 versuchte mit mäßigem Erfolg, dem durch das Rechtsinstitut der Duldung einen Riegel vorzuschieben. Die Duldung war als Instrument der vorübergehenden Aussetzung des Vollzugs aufenthaltsbeendender Maßnahmen konzipiert, ohne dass daraus ein Aufenthaltsrecht abgeleitet werden konnte. In der Praxis wurde die Duldung freilich nicht selten als „Quasi-Aufenthaltsrecht“ selbst für Ausländer, die sich schon lange im Bundesgebiet aufhielten, eingesetzt. Obwohl das AufenthG dieser Praxis deutliche Schranken dadurch gesetzt hat, dass der Anwendungsbereich der Duldung einerseits wesentlich beschränkt worden ist, andererseits Vorrichtungen geschaffen worden sind, um die Ausreisepflicht vollziehen zu können, war der Erfolg mäßig. Daher haben die Länder die Möglichkeit erhalten, Ausreiseeinrichtungen für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer zu schaffen. Der Aufenthalt eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers ist zudem räumlich auf das Gebiet des Landes beschränkt 4. Darüber hinaus wurden die Möglichkeiten zur Anordnung von Abschiebungshaft erweitert 5. Auch diesem Regelungswerk war nur ein beschiedener Erfolg beschieden. Der Gesetzgeber hat daher mit dem Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht v. 15.8.2019 zahlreiche Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes und des Asylgesetzes, die die Unterbringung ausreisepflichtiger Ausländer und deren Mitwirkungspflichten betreffen geändert, um die Ausreisepflicht von Ausländern effektiver durchzusetzen.
III.Integration von Ausländern
65Das Zuwanderungsgesetz setzt sich zum Ziel, für die Integration der Zuwanderer günstige Bedingungen zu schaffen und ihre Eingliederung in die Gesellschaft zu fördern 1. Eingliederungsbemühungen von Ausländern sollen nach § 43 AufenthG durch ein Grundangebot zur Integration (Integrationskurs) unterstützt werden. Ein Integrationskurs umfasst Angebote, die Ausländer an die Sprache, die Rechtsordnung, die Kultur und die Geschichte in Deutschland heranführen 2. Ausländer sollen dadurch mit den Lebensverhältnissen im Bundesgebiet soweit vertraut werden, dass sie ohne die Hilfe oder Vermittlung Dritter in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens selbstständig handeln können. Das Ziel der erfolgreichen Teilnahme an dem Kurs ist nunmehr gesetzlich festgeschrieben. Damit sollen künftig mehr Teilnehmer nicht nur einen Kurs besuchen, sondern diesen durch das Ablegen einer Abschlussprüfung auch erfolgreich abschließen. Die Integrationskurse sind nachfolgend durch zahlreiche weitere Integrationsmaßnahmen und Integrationsprogramme auf der Ebene des Bundes und der Länder ergänzt worden. Mit neuen Konzepten des „Förderns und Forderns“ und dem Instrument des Abschlusses von Integrationsvereinbarungen hat sich das Integrationsrecht mittlerweile zu einem zentralen Bereich des Ausländerrechts entwickelt, dessen Erfolg oder Mißerfolg in steigendem Maße auch das herkömmliche Aufenthaltsrecht beeinflusst und durchdringt 3.
66Der Integrationskurs wird unterschieden in einen Basis- und einen Aufbausprachkurs , sowie einen Orientierungskurs zur Vermittlung von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte. Für die Teilnahme am Kurs sollen Kosten in angemessenem Umfang unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit erhoben werden. Berechtigt zur Teilnahme an einem Integrationskurs ist gem. § 44 AufenthG ein Ausländer, der sich dauerhaft im Bundesgebiet aufhält, wenn ihm erstmals eine Aufenthaltserlaubnis zu Erwerbszwecken, zum Zweck des Familiennachzugs, aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 1 oder Abs. 2, 4a Satz 3 oder § 25b AufenthG, als langfristig Aufenthaltsberechtigter nach § 38a AufenthG oder ein Aufenthaltstitel nach § 23 Abs. 2 oder Abs. 4 AufenthG erteilt wird. Definiert wird der dauerhafte Aufenthalt regelmäßig dadurch, dass der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis von mehr als einem Jahr erhält oder seit über 18 Monaten eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, es sei denn, der Aufenthalt ist vorübergehender Natur. Auch Asylbewerber mit einer Bleibeperspektive oder die vor dem 1.8.2019 ins Bundesgebiet eingereist sind (Ausnahme sichere Herkunftsstaaten), sofern sie bei der Bundesagentur als Ausbildungs- oder Beschäftigungssuchende registriert sind oder beschäftigt sind oder sich in einer Berufsausbildung befinden, Duldungsinhaber, die eine qualifzierte Berufsausbildung aufnehmen (§ 60a Abs. 2 Satz 3 u. 4, abgelöst durch § 60c), sowie Inhaber einer humanitären Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 können im Rahmen verfügbarer Kursplätze aufgenommen werden. Mit der berufsbezogenen Deutschsprachförderung wird gemäß § 45a die Integration in den Arbeitsmarkt unterstützt.
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