74Verloren geht die deutsche Staatsangehörigkeit u. a. durch Entlassung den Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit, Verzicht, Annahme als Kind durch einen Ausländer, Verzichtserklärung, Option für eine andere Staatsangehörigkeit nach § 29 oder aufgrund einer Gesetzesänderung v. 4.8.2019 9durch Eintritt in die Streitkräfte oder einen vergleichbaren bewaffneten Verband eines ausländischen Staates oder durch konkrete Beteiligung an Kampfhandlungen einer terroristischen Vereinigung im Ausland.
B.Ausländer- und Asylrecht der Bundesrepublik Deutschland
§ 5Einreise von Ausländern – Grundlagen
I.Völker- und verfassungsrechtliche Einflüsse auf das Ausländerrecht
1.Einfluss völkerrechtlicher Verträge
75 Völkerrechtliche Verträge , die gem. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG im Wege eines Vertragsgesetzes ratifiziert worden sind, können nach Inhalt und Zweck unmittelbare Geltung im innerstaatlichen Recht entfalten, sofern sie als Grundlage unmittelbarer Anwendbarkeit hinreichend genau und unbedingt sind. Völkerrechtliche Verträge, die nach Art. 59 GG durch ein Zustimmungsgesetz in das innerstaatliche Recht transformiert worden sind, gelten grundsätzlich im gleichen Rang wie jedes andere Bundesgesetz . Das Verhältnis zum AufenthG und anderen ausländerrechtlichen Normen und Verwaltungsvorschriften bestimmt sich daher nach allgemeinen Grundsätzen. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass ausländerrechtliche Vorschriften im Zweifel so auszulegen sind, dass sie mit völkerrechtlichen Verträgen , die die Bundesrepublik Deutschland binden, in Einklang stehen 1.
76Um aus einem völkerrechtlichen Vertrag individuelle Rechte vor deutschen Gerichten ableiten zu können, ist erforderlich, dass die fragliche Bestimmung, auf die sich ein Ausländer beruft, nach Wortlaut, Zweck und Inhalt geeignet und hinreichend bestimmt ist, wie eine innerstaatliche Vorschrift rechtliche Wirkungen zu entfalten 2. Dabei ist im Wesentlichen auf die Zielsetzung völkerrechtlicher Vorschriften und deren Eignung, unmittelbar durch Behörden und Gerichte angewendet werden zu können, abzustellen 3. Dies kann im Grundsatz sowohl für die Genfer Flüchtlingskonvention als auch für das Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen angenommen werden. Entsprechendes gilt auch für Freundschafts- und Niederlassungsverträge, soweit sie Angehörigen der Vertragsstaaten genau bestimmte Rechte einräumen. Die Vertragsbestimmungen beeinflussen das Ausländerrecht jedoch dann nicht, wenn sie lediglich zwischenstaatliche Pflichten enthalten. Dies hat das BVerwG z. B. für die sozialen Rechte der Europäischen Sozialcharta angenommen 4.
77Nach allgemeinem Völkerrecht liegt die Entscheidung über Einreise und Aufenthalt von Ausländern in der freien, völkerrechtlich ungebundenen Entscheidungsbefugnis der Staaten. Die Gewährung von Einreise- und Aufenthaltsrechten ist daher grundsätzlich Ausfluss der Territorialhoheit eines Staates . Ungeachtet dessen ergeben sich aus gewohnheitsrechtlichen und völkervertraglichen Bestimmungen eine Reihe von Beschränkungen der freien Entscheidungsbefugnis von Staaten. Insbesondere im Bereich des Asyl- und Flüchtlingsrechts bestehen aufgrund völkerrechtlicher Verträge und gewohnheitsrechtlicher Prinzipien Ausnahmen von dem Grundsatz, dass ein Staat frei über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern entscheiden kann. Das Genfer Übereinkommen über die Rechtsstellung von Flüchtlingen 1verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, Personen, die die Voraussetzungen des in der Konvention niedergelegten Flüchtlingsbegriffs (Verfolgung aus den in der Konvention genannten Verfolgungsgründen) erfüllen, nicht in die Verfolgerstaaten auszuweisen oder zurückzuweisen, in denen das Leben des Flüchtlings oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde 2. Eine entsprechende Verpflichtung besteht aufgrund von Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) bei Flüchtlingen, die im Falle einer Zurückweisung, Ausweisung oder Abschiebung, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein würden. Diesen Gedanken bringt auch auf universaler Ebene Art. 3 Abs. 2 des UNO-Übereinkommens gegen Folter zum Ausdruck 3:
„Ein Vertragsstaat darf eine Person nicht in einen anderen Staat ausweisen, abschieben oder an diesen ausliefern, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass sie dort Gefahr liefe, gefoltert zu werden.“
Die Europäische Grundrechtecharta 4nimmt diese Grundsätze in Art. 19 auf, indem die Abschiebung, Ausweisung und Auslieferung an einen Staat verboten wird, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe besteht.
78Im Einzelnen bestehen allerdings eine Reihe von Unklarheiten über die Reichweite dieses „ Refoulement-Verbots“ . Umstritten ist, ob das Refoulement-Verbot der Genfer Flüchtlingskonvention auch auf staatliche Maßnahmen außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets anwendbar ist. So hat der amerikanische Supreme Court entschieden, dass das Refoulement-Verbot der Genfer Konvention die Vereinigten Staaten nicht daran hindert, Flüchtlingen aus Haiti die Einfahrt in die amerikanischen Hoheitsgewässer zu verbieten 5. Anders hat der EGMR für das Refoulement-Verbot nach Art. 3 EMRK im Fall Hirsi/Italien 6unter Berufung auf seine frühere Rechtsprechung zur extraterritorialen Verantwortlichkeit der Vertragsstaaten zur Schutzgewährung gegen unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Falle einer Zurückweisung oder Rückführung in potentielle Verfolgerstaaten entschieden 7. Der EGMR bejaht eine Pflicht, auch außerhalb der Küstengewässer aufgebrachten „Bootsflüchtlingen“ gegebenenfalls Schutz gegen eine Zurückweisung oder Rückführung in Länder zu gewähren, in denen eine Gefahr besteht, unmenschlicher Behandlung ausgesetzt zu sein. Die Reichweite der Schutzpflicht außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets ist umstritten; insbesondere ist zweifelhaft, ob sich aus Art. 3 EMRK auch eine Verpflichtung ableiten lässt, gegebenenfalls Unterstützung in Form einer Ermöglichung eines Zugangs zum Asylverfahren zu gewähren 8. Aus der Hirsi -Entscheidung des EGMR wird weithin der Schluss gezogen, dass zur Überwachung der Außengrenzen eingesetzte Küstenwachtboote verpflichtet sind, Bootsflüchtlingen, die auf der Hohen See aufgebracht werden, jedenfalls dann die Einreise in einen EU-Mitgliedstaat zu ermöglichen, wenn das Risiko einer unmenschlichen Behandlung oder unmenschlicher Lebensbedingungen im Falle einer Rückführung nicht ausgeschlossen werden kann und ein anderweitiger sicherer Drittstaat, in den ein Flüchtling verbracht werden könnte, nicht existiert. Zu beachten ist jedoch, dass Gegenstand der Entscheidung ausschließlich die Rückverbringung von Bootsflüchtlingen auf italienischen Küstenwachbooten nach Lybien war, wo sie nach Auffassung des EGMR unmenschlichen Lebensbedingungen und Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt waren. Nach Auffassung des EGMR übt ein Staat in diesem Fall staatliche Herrschaftsgewalt aus. Ein Anspruch auf Seerettung und Aufnahme in die EU-Mitgliedstaaten zum Zweck der Überprüfung eines Antrags auf internationalen Schutz kann aus der EGMR Rechtsprechung nicht abgeleitet werden. Nach den einschlägigen seerechtlichen Konventionen besteht eine Verpflichtung zur Seerettung lediglich mit dem Ziel, die aus Seenot geretteten Personen in den nächsten erreichbaren sicheren Hafen zu verbringen. Wird ein Bootsflüchtling an Bord eines staatlichen Schiffes, auf dem eine quasi staatliche Hoheitsgewalt ausgeübt wird verbracht, so ist nach Auffassung des EGMR jedoch eine Prüfung, die auch an Bord eines Schiffes oder in einem Drittstaat stattfinden könnte, erforderlich, ob im Fall der Rückverbringung eine konkrete Gefahr unmenschlicher Behandlung oder Folter droht. 9Da aber mangels anderer aufnahmewilliger Staaten in der Regel keine Möglichkeit besteht, einen Schutzanspruch extraterritorial zu überprüfen, hat diese Rechtsprechung in der Vergangenheit dazu geführt, dass mit der Aufgabe des Außengrenzschutzes betraute Schiffe – ebenso wie zahlreiche private speziell zur Aufnahme von Bootsflüchtlingen gecharterte Schiffe Bootsflüchtlinge in die EU verbracht haben, um dort, Ansprüche auf internationalen Schutz in einem EU-Mitgliedstaat geltend zu machen. Im Falle eines Massenzustroms von Flüchtlingen wird diese Prüfung jedoch auch kollektiv erfolgen können, derart, dass Flüchtlinge an den Ausgangsort in einem Drittstaat, in den sie sich zur Organisation Ihrer Seereise mit dem Ziel, einen EU-Mitgliedstaat zu erreichen, begeben haben, wenn ihnen dort keine unmittelbare Gefahr für Leib oder Leben, Folter oder unmenschliche Behandlung droht, zurückverbracht werden können.
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