Ohne zu widersprechen, lief der Pirat zur Hütte und ging hinein. Nach und nach folgten ihm auch die anderen – natürlich „ganz freiwillig“ –, bis sich alle dicht gedrängt in dem kleinen Raum befanden. Keiner wollte sich mit Brummel oder Seebär anlegen.
Zuletzt schloss Seebär die Tür, verriegelte sie von außen und grinste breit.
Wütend rief der Piratenkapitän durch die Gitterstäbe, mit denen das Fenster gesichert war: „Und was passiert jetzt?“
Da trat Käpten Boynen Wilbert Sturm vor und sagte lachend: „Nichts! Wir verlassen jetzt diese hübsche Insel, und ihr bleibt in der gemütlichen Zelle zurück. Ich bin mir sicher, dass sich keiner von euch einsam fühlen wird.“
Er wandte sich ab und tat so, als ob er gehen wollte.
„Ihr könnt uns doch hier nicht einfach verrotten lassen!“, protestierte der Pirat. Es klang allerdings nicht mehr zornig, sondern ziemlich kleinlaut.
„Na gut! Wir sind ja keine Unmenschen“, erwiderte Käpten Sturm, während er sich wieder zu ihm umdrehte.
Er holte eine Nagelfeile aus seiner Tasche und hielt sie dem Piratenkapitän vor die Nase. „Diese Feile verkaufe ich dir für zwanzig Goldstücke. Damit könnt ihr die Gitterstäbe durchsägen. Bis zum Sonnenaufgang in fünf Stunden solltet ihr das locker schaffen. Sind wir im Geschäft?“
Nach längerem Hin und Her ließen sich die Piraten darauf ein – ihnen blieb ja auch nichts anderes übrig. Jeder holte murrend ein oder zwei Goldstücke aus seiner Hosentasche und überreichte sie Safiras Rettern.
Gut gelaunt kehrten Käpten Sturm und seine Männer dann zu ihrem Schiff zurück, das in einer versteckten Bucht vor Anker lag. Mit dabei war Safira, die jetzt überhaupt keine Kopfschmerzen mehr hatte.
Käpten Sturm legte einen Arm um ihre Schulter und schaute sie mit seinen freundlichen Augen an. „Ich habe vorhin zugesehen, als du deine Kunststücke vorgeführt hast. Deshalb weiß ich, dass du Safira heißt und eine großartige Artistin bist. Wenn du willst, darfst du uns ab jetzt auf unseren Seereisen begleiten. Möchtest du das?“
Safira strahlte über das ganze Gesicht. „Aber natürlich!“
„Dann gehörst du von heute an zu uns!“
„Safira lebe hoch!“, brüllten die Seeleute wie aus einem Munde. Mit vereinten Kräften warfen sie die überglückliche Elfjährige in die Luft, um sie danach sanft wieder aufzufangen.
„Auf zu neuen Abenteuern!“, rief Safira begeistert.
[ Zum Inhaltsverzeichnis ] Inhalt Vorgeschichte: Auf der Pirateninsel [ Zum Inhaltsverzeichnis ] 1. Das alte Schmugglerhaus [ Zum Inhaltsverzeichnis ] 2. Eine wichtige Nachricht [ Zum Inhaltsverzeichnis ] 3. Die geheime Tür 4. Das Haus der Diebe 5. Ein merkwürdiger Fund 6. Erwischt 7. Wo ist die Fortsetzung? 8. In der Scheune 9. Auf Messers Schneide 10. Der große Betrug 11. Die Piraten von Wargate 12. Das Geheimnis der Piraten 13. Das Vermächtnis der Schmuggler 14. In höchster Gefahr 15. Die Ostsee 16. Flucht aus Wargate 17. Wo wohnt der Schwarze Pirat? 18. DrageØya – die Dracheninsel 19. Schlüssel gesucht 20. In der Burg des Schreckens 21. Nichts wie weg 22. Ein Schiffbrüchiger 23. Die Piratenflotte Epilog: Wo ist das nächste Logbuch?
1. Das alte Schmugglerhaus
Heutige Zeit
Die achtjährige Anne stupste ihren Bruder an, der neben ihr auf dem Rücksitz des Familienautos saß. „Hey, Lenny, ist das da vorne vielleicht unser neues Haus?“
„Glaub ich nicht“, antwortete Lenny, der erst vor Kurzem elf Jahre alt geworden war. „Papa hat mir vor der Abfahrt verraten, dass wir in ein uraltes Schmugglerhaus ziehen. Sieht das etwa uralt aus?“
Anne schüttelte den Kopf. „Nein, das ist viel zu neu.“
„Eben! Unser neues Zuhause ist über dreihundert Jahre alt.“
Stirnrunzelnd fuhr Anne sich durch ihre langen blonden Haare. „Aber ich verstehe das nicht. Das war das letzte Haus vom Ort Bodenwald. Und Papa hat gesagt, dass wir in Bodenwald wohnen werden, stimmt’s, Mama?“
Viola, die Mutter von Lenny und Anne, war von der langen Reise erschöpft. Deshalb zuckte sie nur mit den Schultern, anstatt zu antworten.
„Unser neues Zuhause liegt etwas außerhalb von Bodenwald. Aber es wird euch sicher gefallen“, erklärte nun Andreas, der Vater.
Familie Schmidt war auf dem Weg in ihre neue Heimat Mecklenburg-Vorpommern. Sie hatten dort ein großes Haus gekauft, das mitten im Wald und trotzdem gar nicht weit entfernt vom Meer war.
Jetzt verließ Papa die Hauptstraße und lenkte den Wagen auf einen Schotterweg, der direkt in den Wald führte. Nach dreihundert Metern kamen sie zu einer Lichtung. Und da sahen sie es – ihr neues Zuhause.
„Dort vorne ist es!“, rief Lenny begeistert. „Wir sind angekommen! Endlich!“
„Ja, das ist unser neues altes Haus, in dem wir ab heute wohnen werden“, bestätigte Papa. „Gefällt es euch?“
Zögernd erwiderte Anne: „Weiß nicht. Hier ist es ziemlich einsam und unheimlich! Warum habt ihr ausgerechnet dieses Spukhaus gekauft und nicht ein ganz normales Haus im Ort?“
Papa schmunzelte. „Erstens ist das hier kein Spukhaus, sondern ein altes Bauernhaus, das einmal Schmugglern gehört haben soll. Und zweitens gefällt es Mama und mir.“
Auch Mama lächelte jetzt. „Na, es war vor allem günstig, sodass wir es uns leisten konnten. Die erste Etage ist neu renoviert und bewohnbar. Und im Erdgeschoss gibt es eine große Küche mit Kamin. Die anderen drei Räume im Erdgeschoss werden wir vorerst nicht nutzen.“
„Reicht uns der Platz?“, wollte Lenny wissen. Ihre bisherige Wohnung war ziemlich beengt gewesen, was manchmal zu Streit zwischen den Geschwistern geführt hatte.
„Klar“, versicherte Mama. „Die Küche ist wirklich riesig. Darin ist Platz für einen großen Esstisch. Und vor den Kamin passt sogar noch unsere Sofagarnitur.“
Papa nickte. „Auf diese gemütliche Sitzecke freue ich mich schon. Dort können wir abends Bücher lesen und uns im Winter die Füße wärmen.“
„Im ersten Stock haben wir zwei Bäder, ein großes Schlafzimmer und zwei Kinderzimmer. So hat jeder von euch seinen eigenen Bereich, in dem er sich ausbreiten kann. Und falls uns das immer noch nicht reicht, können wir die Zimmer im Erdgeschoss renovieren.“
„Außerdem gibt es einen großen Dachboden!“, schob Papa nach.
„Auch einen Keller?“, fragte Anne.
„Ja, aber der ist sehr klein. Er besteht eigentlich nur aus einem Raum, in dem wir Vorräte lagern können.“
Neugierig deutete Lenny auf eine Scheune, die sich neben dem Haus befand. „Und was ist damit? Gehört das auch noch dazu?“
Papa nickte. „Ja, die Scheune gehört uns ebenfalls. Es ist gut, dass du das erwähnst, weil ich euch eines gleich von vornherein sagen will: Dort dürft ihr auf keinen Fall reingehen, jedenfalls vorerst noch nicht. Ist das klar?“
Lenny schaute seinen Vater verständnislos an. „Und warum sollen wir die Scheune nicht betreten?“
„Weil das gefährlich sein könnte“, übernahm seine Mutter die Antwort. „Dort liegen Sensen und andere landwirtschaftliche Werkzeuge herum, an denen man sich verletzen kann. Und wir wissen wir im Augenblick noch gar nicht, was sich unter dem aufgeschichteten Heu befindet. Wir möchten verhindern, dass euch etwas passiert.“
„Aber wir sind doch keine kleinen Kinder mehr“, widersprach Anne empört. „Bitte!“
„Nein, das seid ihr nicht“, bestätigte Papa. „Und deshalb solltet ihr einsehen, dass wir lediglich auf eure Sicherheit bedacht sind. Die Scheune ist für euch tabu. Ende der Durchsage!“
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