Doch neben den Schaufensterauslagen der Geschäfte – Schweinsköpfe und Rinderhälften hier, Totenköpfe und ein Skelett da – macht auch der erste Dialog deutlich, dass es in Wirklichkeit hinter den Fassaden Rau und brutal rau und brutal zugeht: Oskar, der Fleischermeister, spricht mit seinem Gehilfen Havlitschek über ein elfjähriges Mädchen, das gerade in der Metzgerei eingekauft und sich dabei negativ über die Blutwurst des Metzgergesellen geäußert hat. Havlitschek entwickelt deshalb eine Gewaltphantasie: »[A]m liebsten tät ich so was abstechen« (S. 14). Oskar reagiert darauf mit einem Lächeln. – Im anschließenden Gespräch zwischen dem Metzger und dem vorbeikommenden Rittmeister wird klar, dass Oskars Mutter vor genau einem Jahr verstorben ist und es an diesem Tag einen Gedenkgottesdienst für sie geben wird. Während der Fleischer die Szene vorübergehend verlässt, um sich für diesen Anlass umzuziehen, trifft der Rittmeister auf Valerie, der der kleine Tabakladen gehört. Zwischen den beiden entspinnt sich ein kurzes Gespräch über Glück und Liebe. Schließlich werden Marianne und ihr Vater, der Zauberkönig, eingeführt; Letzterer bereitet sich ebenso auf die Trauerfeier vor. Der Zuschauer/Leser erfährt außerdem, dass Marianne und der Fleischer Oskar Geplante Hochzeit Oskar – Marianneheiraten wollen – und bekommt gleich einen Einblick in die Beziehung der beiden: Als sie sich küssen, beißt Oskar Marianne und tut ihr weh. Der Schluss des zweiten Bildes hält noch eine weitere wichtige Begegnung bereit: Während Alfred auf dem Weg zu Valerie ist, Erste Begegnung Alfred – Marianneerblickt er Marianne im Schaufenster des Puppengeschäfts. Alfred ist sofort interessiert, während Marianne wenigstens »fast fasziniert« (S. 21) ist, wie es im Nebentext heißt. Valerie, die alles beobachtet hat, trennt sich daraufhin von Alfred und ruft ihm leise Schimpfwörter hinterher: »Luder. Mistvieh. Zuhälter. Bestie« (S. 23).
Abb. 1: Vorbild für die Stille Straße, die Puppenklinik und den Balkon des Zauberkönigs ist die »Lange Gasse« im 8. Wiener Bezirk. – Wikipedia / Gert Anstein
III – Am nächsten Sonntag im Wiener Wald.Die umfangreiche Szene spielt auf einer PicknickLichtung des Wienerwaldes am Ufer der Donau, wohin die Familien von Marianne und Oskar sowie einige ihrer Bekannten einen Ausflug unternehmen. Oskar macht zu Beginn Fotos von allen, bevor sich die Gesellschaft in verschiedene Gruppen auflöst: Valerie streitet sich erneut mit Alfred, der trotz der Trennung der beiden zu diesem kleinen Fest gekommen ist, und wendet sich dann dem deutschen Studenten Erich zu, einem entfernten Verwandten des Zauberkönigs. Ziemlich unverhohlen gibt sie ihr (sexuelles) Interesse an dem jungen Mann zu verstehen, der sich im weiteren Verlauf als strammer Nationalsozialist entpuppt. Doch auch Valerie scheint antisemitisch eingestellt zu sein: »Ja glaubens denn, dass ich die Juden mag?« (S. 29) Zur gleichen Zeit nähern sich Alfred und Marianne an, wobei Marianne gesteht, dass sie Oskar nicht liebt und eigentlich gerne selbst berufstätig wäre. Trotzdem verkündet der Zauberkönig die Offizielle Verlobung Oskar – MarianneVerlobung der beiden, die für ihn offenbar vor allem aus finanziellen Gründen wichtig ist. Gleich zweimal verrät sich auch Oskar und zeigt, wie er tatsächlich zu Marianne steht: Als er bemerkt, dass ihn Alfred um Marianne beneidet, bezeichnet er diesen als »geschmacklose[n] Mensch[en]« (S. 30) – wohl kaum ein Kompliment für Marianne. Und nur wenig später offenbart er wieder seine Brutaler OskarBrutalität, als er an seiner Verlobten Jiu-Jitsu-Griffe demonstriert und ihr erneut wehtut. Am Ende der Szene gehen die Gäste in der Donau baden – zuvor aber zeigt der Zauberkönig noch sein sexuelles Interesse an Valerie flirtet mit Zauberkönig und ErichValerie, die diesem genauso wenig abgeneigt zu sein scheint wie Erich gegenüber, dem sie sogar ein Zimmer zur Untermiete anbietet.
IV – An der schönen blauen Donau.Als Marianne das Wasser verlässt, wartet Marianne kommt mit Alfred zusammenAlfred bereits auf sie und beide fallen nach einem kurzen Vorgeplänkel einander in die Arme und küssen sich innig. Marianne meint, in Alfred ihren »Schutzengel« (S. 39) getroffen zu haben, der sie vor der Ehe mit Oskar rettet. Alfreds indirekt ausgesprochenen Warnungen vor einer Beziehung mit ihm – er spricht von ›vernünftiger Liebe‹ und teilt ihr mit, dass er kein Geld habe (vgl. S. 38) – ignoriert sie. Gleichwohl scheint auch Marianne unbewusst zu bemerken, dass diese neue Liebe etwas Zerstörerisches an sich hat: »[W]ie der Blitz hast du in mich eingeschlagen und hast mich gespalten« (S. 38). Ihr Vater, der zu den beiden tritt und offenbar alles mit angehört hat, versucht noch auf Marianne einzuwirken, doch sie Trennung von Oskarlöst kurz darauf die Verlobung mit Oskar und schleudert ihm ihren Ring ins Gesicht. Dieser akzeptiert die Trennung scheinbar großherzig, allerdings schwingt in seiner Bemerkung »ich werde dich auch noch weiter lieben, du entgehst mir nicht« (S. 40) deutlich vernehmbar eine Drohung mit. Der Der Zauberkönig bricht mit MarianneZauberkönig sagt sich schließlich von seiner Tochter los und Marianne beendet den ersten Teil des Dramas mit dem Wunsch, von Alfred ein Kind zu bekommen.
I – Stille Straße im achten Bezirk.Die kurze Szene dient vor allem dazu, Oskar und seinen Gehilfen Havlitschek weiter zu Demaskierung von Oskar und Havlitschekdemaskieren: Zunächst ›flirtet‹ Havlitschek mit einer Kundin, dem Fräulein Emma, der er seine sexuellen Absichten nur wenig verschlüsselt zu verstehen gibt. Mit ihr redet er auch über den unglücklichen Oskar, der sich ein Jahr nach der Trennung emotional noch immer nicht von Marianne lösen kann. Nachdem sich Havlitschek mit Emma für den Nachmittag verabredet hat, macht er seine Gewaltphantasien gegen FrauenVerachtung für die Frau nur allzu deutlich, indem er ihr »[d]ummes Luder, dummes –« (S. 43) hinterhermurmelt. Seinen Chef Oskar versucht er anschließend damit zu trösten, dass es »Weiber […] wie Mist« gebe, außerdem hätten die »Weiber […] keine Seele, das ist nur äußerliches Fleisch! Und man soll so ein Weib auch nicht schonend behandeln, das ist ein Versäumnis, sondern man soll ihr nur gleich das Maul zerreißen oder so!« (S. 44). Oskar geht auf diese frauenverachtenden Bemerkungen nicht direkt ein und ergeht sich stattdessen in allgemeinen Reden über die Rätselhaftigkeit der Frauen und speziell Mariannes. Er wirkt dadurch weniger brutal als Havlitschek, doch das täuscht: Nur kurz zuvor hat er nebenbei zu verstehen gegeben, dass ihm normalerweise das Abstechen einer Sau »Spaß« (S. 43) bereite. Dass Havlitschek daraufhin auch Marianne eine »Sau« (S. 44) nennt, zeigt deutlich, wie die beiden Fleischer gestrickt sind.
II – Möbliertes Zimmer im achtzehnten Bezirk.Alfred und Mariannes BeziehungMarianne und Alfred leben derweil in schäbigen Verhältnissen und scheinen sich schon nach einem Jahr auseinandergelebt zu haben, obwohl (oder gerade weil) Mariannes Wunsch nach einem Kind bereits in Erfüllung gegangen ist. Desillusionierung nach einem JahrGanz offensichtlich kann Alfred seiner Partnerin nichts mehr abgewinnen: Sie meint zu hören, wie er sie leise »dummes Kalb« (S. 47) nennt und verbittet sich, dass er sie immerzu beschimpft. Das aber nimmt Alfred zum Anlass, sich darüber zu beklagen, dass Marianne so »penetrant dumm« sei, obgleich sie es »doch schon gar nicht nötig« (S. 47) habe. Alfred möchte das gemeinsame Alfred will gemeinsames Kind loswerdenKind gerne zu seiner Mutter weggeben – vordergründig, weil es ihm in der Wachau besser gehen würde als in »diesem feuchten Loch« (S. 46); doch ist klar ersichtlich, dass das Kind Alfred einfach stört. Nicht zuletzt seine berufliche Erfolglosigkeit macht Alfred so aggressiv: Seine betrügerischen Wettgeschäfte musste er aufgeben und er versucht sich nun als Verkäufer von Hautcreme – ein Produkt, das in der Wirtschaftskrise nicht gerade ein Renner ist.
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