»Ziemlich derb, oder?«
»Mein alter Herr drückt sich gern drastisch aus«, sagte Muscateer mit einem trägen, liebevollen Lächeln. »Da kommt der nette Stabsfeldwebel. Ich glaube, jetzt sind wir endlich dran.«
In der Kleiderkammer teilte man jedem von ihnen zu und verlangte dafür eine Unterschrift: fünf neue Khaki-Drillich-Garnituren, deren Stoff von deutlich schlechterer Qualität war als bei den vorherigen; einen Fliegenwedel; ein Fahrrad; drei Paar Pyjamas aus grobem Flanellstoff (ob man sie wollte oder nicht); zehn Paar kurze weiße Unterhosen der Art, die beim Pinkeln nur schwer zu handhaben waren und von denen man Leistenflechte bekam; einen Tropenhut; ein Zelt; ein Feldbett; einen Feld-Waschstand; eine Feldflasche aus Leder zum Umhängen; eine Bibel und ein Gebetbuch (um eine Beerdigungszeremonie abhalten zu können, falls kein Kirchenvertreter verfügbar war) sowie einen Rohrstock. Sie erhielten zudem, wie der mütterliche Stabsfeldwebel angekündigt hatte, je eine schwarze Transportkiste aus Metall, in die alles hineinpasste außer dem Fahrrad. Aus irgendeinem Grund, der ihnen nicht recht klar wurde, mussten sie für all dies selbst zahlen, so der Heereslieferant, und zwar in Raten, die ihnen in den folgenden sechs Monaten vom Sold abgezogen würden (der fortan etwa dem eines Unteroffiziers entsprach). Als alles in Augenschein genommen und verstaut worden war, kamen ihre Träger von den Quartieren herübergetrottet, um die gefüllten Transportkisten abzuholen, während sie selbst auf ihren neuen Fahrrädern zum Tee fuhren, mit Ausnahme von Lord Muscateer, der das Fahrradfahren nie gelernt hatte und seines daher schieben musste.
Am nächsten Tag begann die eigentliche Ausbildung. Von 6.15 bis 7.45 Uhr wurden sie in der Handhabung ihrer neuen Stöcke gedrillt. Nach dem Frühstück hatten sie Urdu, das ihnen in Vierergruppen von würdevollen, weiß gewandeten Munshis beigebracht wurde, die sie mit »Sahib« anredeten und erwarteten, dass man auch ihnen diese Höflichkeit erwies. Peter Morrison war froh, dass sie Urdu lernten, weil er glaubte, dass damit seine Chancen wuchsen, in die Indische Armee aufgenommen zu werden – denn warum, sagte er zu Barry, sollten die Behörden sie Urdu lernen lassen, wenn nicht einige von ihnen es am Ende auch brauchen würden? Barry, der jedermann gerne glücklich sah, stimmte Peter zu; aber Alister, der sehr schnell einen Riecher dafür entwickelt hatte, wie die Dinge in Indien gehandhabt wurden, sagte, dass Urdu-Unterricht einfach ein alter Brauch war, den die Verwaltung entweder aus Lethargie oder aus Sentimentalität noch nicht abgeschafft hatte.
Später am Morgen wurden ihnen die Kompanieoffiziere vorgestellt. Kp C sollte von einem Mann namens Major Baxter befehligt werden, einem fröhlichen und lauten kleinen Mann aus einem indischen Regiment, das so wenig Renommee besaß, dass es schon wieder dafür berühmt war. Major Baxter hatte einen Kopf so groß wie ein Elch und trug Shorts, die ihm fast einen Fuß weit über die Knie hinabhingen, was aber vielleicht nicht schlecht war, weil seine Beine aussahen wie die von Spinnen, nur mit Strümpfen und Schuhen bekleidet. Was die Zugführer anging, so gab es einen (gutaussehend und mürrisch), der Hauptmann Betteredge hieß, für Zug Nummer 1, und einen anderen namens Hauptmann Lafone, dessen Stimme noch gewöhnlicher klang als die von Major Baxter, für Zug Nummer 3, und noch einen anderen für Nummer 4; aber aus irgendeinem Grund gab es für Zug 2 noch keinen Zugführer, was ihnen das Gefühl gab, übergangen worden zu sein. Major Baxter sagte jedoch, dass in Kürze ein Offizier eintreffen würde und dass Peter Morrison, der aufgrund seines großen und verlässlichen Gesichts bereits zum J. U. O. ernannt worden war, bis dahin für ihr Wohl und ihr Benehmen Verantwortung trage.
Der KpFw für Kp C war eine Enttäuschung. Sie hatten alle gehofft, sie würden den mütterlichen Stabsfeldwebel bekommen, der bisher alles und jeden im Alleingang im Griff gehabt hatte, doch stellte sich nun heraus, dass er der Kompaniefeldwebel von Kp A sein würde, während Kp C ein Mann namens Stabsfeldwebel Cruxtable zugeteilt war. Dieser, aus dem Wiltshire Regiment stammend, hatte viel zu früh schon Fett angesetzt und besaß den scheelen Blick eines Straßenköters, der befürchtet, irgendwer könnte ihn mit einem Tritt aus dem Weg befördern, bevor er seinen Haufen fertig gemacht hat. Obwohl Muscateer, wie üblich seinen »Mannen« und seiner Heimaterde treu verbunden, vorgab, Cruxtable in Ordnung zu finden (»einer von denen, die schon eine Weile hier sind«), mochte ihn keiner, und alle misstrauten ihm vom ersten Augenblick an. In Wahrheit jedoch, das fanden sie später heraus, hätte ihnen Schlimmeres widerfahren können; denn Cruxtable war schlicht und einfach ein räudiger Hund, und wie die meisten räudigen Hunde ließ er andere gern in Ruhe, in der Hoffnung, dass man ihn dann ähnlich behandelte.
Nachdem ihnen ihre Vorgesetzten vorgestellt worden waren, hielt Major Baxter den Offiziersanwärtern einen Vortrag darüber, welches Betragen und welche Geisteshaltung von ihnen erwartet wurde. Im Allgemeinen handelte es sich um negative Vorgaben: Die Fahnenjunker sollten sich nicht betrinken, kein Geld bei einheimischen Geldverleihern leihen und keine einheimischen Frauen frequentieren (eine Kategorie, unter die aus diversen Gründen auch Eurasierinnen fielen); sie hatten sich nicht für indische Politik zu interessieren und sollten nicht barfuß umherlaufen (um sich keine Hakenwürmer zu holen), und unter überhaupt gar keinen Umständen durften sie sich über irgendetwas beschweren, das mit der OS zu tun hatte. Sofern sie sich an diese einfachen und sinnvollen Bedingungen hielten, sagte Major Baxter, würden sie alle eine angenehme sechsmonatige Ausbildungszeit hier verbringen und am Ende obendrein noch den Offiziersbrief bekommen. Scheitern war ein in Bangalore gänzlich unbekannter Gedanke (nachdem es für die Regierung kostspielig genug war, die Leute dorthin zu schicken), es sei denn im Fall von Geistesgestörtheit, Tod oder dem dreimaligen Einfangen einer Geschlechtskrankheit, was der Grund dafür war, warum sie nicht mit Einheimischen ins Bett gehen sollten. Wenn sie irgendein persönliches Problem hätten, könnten sie damit jederzeit zu ihm kommen, doch, offen gesprochen, die Herren, werde von angehenden Offizieren erwartet, dass sie ihre Probleme für sich behalten können und nicht um Mitgefühl bettelnd herumlaufen müssen wie ein Haufen unkultivierter Rekruten. Und jetzt allen einen guten Morgen und ein sehr schönes Wochenende … oh, und eins noch. Obwohl in der OS nicht offiziell eine Kirchenparade vorgeschrieben sei, so werde es doch für wünschenswert erachtet, dass an den Sonntagen gut dreißig Prozent der Anwärter die in der Garnisonskirche stattfindende Morgenandacht besuchten. Stabsfeldwebel Cruxtable werde daher jeweils einen von drei Männern auslosen, ungeachtet der individuellen Glaubensrichtung, zumal zukünftige Offiziere ohnehin lernen müssten, persönliche Glaubensfragen gegenüber öffentlichen Pflichten hintanzustellen. Die einzigen Anwärter, die befreit waren, sollte das Los auf sie fallen, seien diejenigen, die zur Auswahl der Spieler beim Cricketturnier der OS gehörten, welches am Sonntag um elf Uhr beginne. Aus diesem Anlass werde Seine Hoheit der Maharadscha von Dharaparam ihnen die Ehre seiner Anwesenheit erweisen. Sollte sich Seine Hoheit einem Fahnenjunker in vertraulicher Weise nähern, so sei dieser hiermit gewarnt, sich in Acht zu nehmen, doch solle man dabei höflich bleiben.
Ausgehend von ihrer schulischen Vorgeschichte waren aus den Neuzugängen einige Fahnenjunker ausgewählt worden, am folgenden Sonntag am Cricketturnier der OS teilzunehmen. Zwei davon waren Peter und Alister. Peter, der einmal in einem erfolgreichen Jahr nur knapp daran gescheitert war, in die Schulelf aufgenommen zu werden, warf langsame Off-Breaks, deren immer exakt gleiche Geschwindigkeit und Flugbahn selbst die aufmerksamsten Gegner derartig einlullte, dass sie in kürzester Zeit zur Abschätzigkeit neigten und fatale Fehler machten. Alister dagegen war als Schlagmann ein Selbstdarsteller, der seine rechte Hand zu wenig unter Kontrolle hielt, aber dennoch für Winchester gespielt hatte.
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