Auf diese Art forderte man damals von den Latinern Genugtuung und kündigte ihnen den Krieg an; und diese Sitte pflanzte sich auf die Nachkommen fort.
(33) Ancus zog, nachdem er die Besorgung des Gottesdienstes den Eigen- und übrigen Priestern übertragen hatte, mit einem neu geworbenen Heer aus, nahm Politorium, eine Stadt der Latiner, mit Sturm und führte nach dem Beispiel der vorigen Könige, welche durch die Aufnahme der Feinde in die Stadt Roms Macht vergrößert hatten, die ganze Bevölkerung nach Rom. 2 Weil aber um das Palatium, den Sitz der Altrömer, her die Sabiner das Capitolium und die Burg, den Berg Caelius die Albaner eingenommen hatten, so wies er der neuen Volksmenge den Aventin an, welcher bald, durch die Eroberung von Tellenae und Ficana, noch mehr neue Bürger bekam. 3 Darauf musste er Politorium zum zweiten Mal erobern, weil die Altlatiner die leere Stadt besetzt hatten, und dies war der Grund, warum die Römer sie zerstörten, da sie immer für die Feinde ein Schlupfwinkel geblieben wäre. 4 Endlich zog sich der ganze Latinische Krieg vor Medullia, und hier wurde einige Zeit ohne Entscheidung mit abwechselndem Glück gekämpft. Teils war die Stadt durch ihre Werke gesichert und hatte eine starke Besatzung, teils hatte sich im Feld ein latinisches Heer gelagert, das mit den Römern öfters handgemein wurde. 5 Schließlich erfocht Ancus, von allen seinen Truppen unterstützt, zuerst einen förmlichen Sieg; dann kehrte er mit reicher Beute nach Rom zurück und nahm auch diesmal viele tausend Latiner unter seine Bürger auf. Um den Aventin mit dem Palatium in Verbindung zu setzen, gab man ihnen ihren Sitz bei der Kapelle der Murcia (der Myrtenvenus). 6 Auch zog er das Janiculum mit zur Stadt, nicht aus Mangel an Platz, sondern um nicht einst diese Anhöhe von einem Feind besetzen zu lassen, und vereinigte es nicht bloß durch eine Mauer mit der Stadt, sondern auch, um die Verbindung zu erleichtern, vermittels einer Balkenbrücke, der ersten über den Tiber geschlagenen. 7 Ebenso ist der Quiritengraben, der die Stadt vor einem Angriff von den Ebenen her nicht wenig schützt, ein Werk des Königs Ancus. 8 Weil auch in dieser bei dem ansehnlichen Zuwachs des Staates so hoch gestiegenen Volksmenge die Nichtachtung des Unterschiedes zwischen Recht und Unrecht Verbrechen erzeugte, deren Täter verborgen blieben, wurde zur Eindämmung der Überhand nehmenden Frechheit mitten in der Stadt am Marktplatz ein Gefängnis angelegt. 9 Doch nicht die Stadt allein, auch das Land und die Grenzen wurden unter diesem König erweitert. Den Vejentern nahm er den Mesischen Wald, dehnte seine Herrschaft bis ans Meer aus und baute an der Mündung des Tiber die Stadt Ostia, in deren Nähe er Seesalz gewann. Auch erweiterte er, weil er im Krieg so viel Ehre eingelegt hatte, den Tempel des Jupiter Feretrius.
(34) Unter der Regierung des Ancus zog Lucumo, ein tätiger und sehr reicher Mann, nach Rom, hauptsächlich in der Absicht und Hoffnung, zu hohen Ehrenstellen zu gelangen, wozu er in Tarquinii – denn auch dort war er fremder Abkunft – keine Gelegenheit hatte. 2 Er war der Sohn eines Korinthers namens Demaratus, welcher wegen Spaltungen aus seiner Vaterstadt geflüchtet war, dann durch Zufall seinen Aufenthalt zu Tarquinii genommen, sich hier verheiratet und zwei Söhne gezeugt hatte, Lucumo und Arruns. Lucumo überlebte den Vater als Erbe des ganzen Vermögens. Arruns starb vor dem Vater, mit Hinterlassung einer schwangeren Frau. 3 Allein der Vater überlebte diesen Sohn nicht lange, und weil er, von der Schwangerschaft seiner Schwiegertochter nicht unterrichtet, den Enkel in seinem letzten Willen unbedacht gelassen hatte, gab man diesem nach des Großvaters Tod ohne alle Aussicht auf ein Erbteil geborenen Knaben von seiner Dürftigkeit den Namen Egerius (Dürftiger). 4 Lucumo hingegen, dem schon sein Reichtum als Erben des ganzen Vermögens Selbstvertrauen verlieh, erfüllte mit noch höheren Plänen seine Verheiratung mit Tanaquil, einer Frau von sehr vornehmer Abkunft, die schon dafür sorgen wollte, dass der Rang, in welchen sie eingeheiratet hatte, nicht niedriger bliebe als der, den ihr die Geburt gab. 5 Sie konnte den Unwillen über die Nichtachtung, womit die Etrusker Lucumo als dem Sohn eines angekommenen Flüchtlings begegneten, nicht länger ertragen, vergaß der natürlichen Liebe zu ihrer Vaterstadt, um nur ihren Mann in Amt und würden zu sehen, und entschloss sich, von Tarquinii wegzuziehen. 6 Rom schien ihr für ihre Absichten der beste Ort. In einem neuen Volk, wo aller Adel noch jung und bloß durch Verdienst erworben sei, werde ein tatkräftiger, rüstiger Mann seinen Platz schon finden; ein Sabiner namens Tatius sei dort König gewesen, von Cures Numa auf den Thron gerufen, selbst Ancus sei der Sohn einer Sabinerin und habe für seinen Adel nur das einzige Ahnenbild des Numa aufzuweisen. 7 Leicht überredete sie den ehrsüchtigen Mann, dem ohnehin Tarquinii nur von mütterlicher Seite als Heimatstadt galt. Sie wandern mit ihrer ganzen Habe aus nach Rom.
8 Eben waren sie an das Janiculum gekommen. Er saß mit seiner Gattin auf einem Wagen. Da schwebte ein Adler mit gespannten Schwingen sanft hernieder, nahm ihm den Hut, flog mit großem Geschrei über dem Wagen hin und her, setzte ihm, als wäre er bloß zu dieser Verrichtung vom Himmel gesandt, den Hut wieder auf den Kopf und stieg in die Höhe. 9 Tanaquil, als eine Frau, die, wie die Etrusker gewöhnlich, sich auf die Offenbarungen des Himmels verstand, bezog hoch erfreut, wie die Erzählung sagt, diesen Vogelfluge auf sie beide. Sie schloss ihren Mann in die Arme und hieß ihn Großes und Erhabenes hoffen. 10 Dazu gebe gerade dieser Vogel die Hoffnung, der aus der höchsten Himmelshöhe komme und dieses Gottes Bote sei; am ragenden Gipfel des menschlichen Körpers habe er seine Sendung vollzogen, habe die auf sein menschliches Haupt gesetzte Zierde ihm abgehoben, um sie aus Gotteshand ihm wiederzubringen.
Von diesen Hoffnungen und Gedanken erfüllt, fuhren sie in die Stadt, kauften dort eine Wohnung, und er gab sich hier den Namen Lucius Tarquinius Priscus. 11 Den Römern blieb der neue, reiche Mitbürger nicht unbemerkt; und er selbst kam seinem Glück durch zuvorkommende Begrüßungen, höfliche Einladungen und dadurch, dass er durch Wohltaten möglichst viele sich zu Freunden machte, zu Hilfe, bis man endlich von ihm auch am königlichen Hof sprach. 12 Dieser Bekanntschaft erwarb er durch Anstand und Geschicklichkeit, womit er seine Dienstleistungen beim Könige ausrichtete, die Rechte der vertrauteren Freundschaft, so dass er bei allen öffentlichen und geheimen Beratungen über Krieg und Frieden zugegen sein musste, und endlich, überall erprobt, im Testamente des Königs als Vormund der Prinzen eingesetzt wurde.
(35) Ancus, jedem der früheren Könige durch Tüchtigkeit im Krieg und im Frieden gleich, hatte 24 Jahre regiert. Seine Söhne waren dem Jünglingsalter nahe; desto eifriger drang Tarquinius darauf, dass die Volksversammlung zur Königswahl baldmöglichst gehalten würde. 2 Als sie angesagt war, schickte er die Prinzen um jene Zeit auf die Jagd, und er soll der Erste gewesen sein, der als Bewerber um den Thron sich zu empfehlen suchte und eine Rede hielt, in der er es ganz darauf angelegt hatte, die Herzen des Volkes zu gewinnen. 3 Er sagte, einmal liege in seinem Gesuch nichts Neues. Wenn er zu Rom zu regieren wünsche, so sei er nicht der erste Ausländer, worüber vielleicht jemand Unwillen oder Befremden äußern könne, sondern der dritte. Tatius sei nicht bloß aus einem Fremden, aus einem Feind sogar zum König gemacht; Numa, ohne die Stadt zu kennen, ohne anzuhalten, vermittels einer Aufforderung zum Thron berufen. 4 Zum andern aber sei er, sobald er unabhängig geworden sei, mit seiner Gattin und seinem Hab und Gut nach Rom gezogen. Er habe von den Jahren, in denen der Mann sich den bürgerlichen Geschäften unterziehe, einen größeren Teil in Rom als in seiner alten Vaterstadt verlebt. 5 Er habe im Frieden und im Krieg unter einem Lehrer, dessen er sich nicht schämen dürfe, unter dem Könige Ancus selbst, das römische Recht und die römischen Sitten erlernt. In der Folgsamkeit und Ehrerbietigkeit gegen den König habe er mit allen, in der Wohltätigkeit gegen andere mit dem König selbst gewetteifert. 6 Was er da anführte, war nicht unbegründet, und das Volk ernannte ihn einstimmig zum König. War es zu verwundern, dass den übrigens vortrefflichen Mann die Sucht, sich Anhang zu verschaffen, die er bei seiner Bewerbung gezeigt hatte, auch auf den Thron begleitete? Es war ebenso sehr seine Absicht, seinen Thron zu befestigen, als Liebe zum allgemeinen Besten, wenn er hundert in die Zahl der Väter aufnahm, welche nachher die Geschlechter vom zweiten Rang genannt wurden, eine Partei, die es sicher mit dem König hielt, dem sie ihre Einführung in das Rathaus zu danken hatten.
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