6 Da die Väter, geschreckt durch die Gefahr, alles auf einmal zu verlieren, was sich die Sterblichen mit grenzenloser Begierde wünschen, Ländereien, Geld, Ehrenämter, in ihren öffentlichen und besonderen Beratungen die größte Verlegenheit gezeigt hatten, versicherten sie sich gegen die Vorschläge der Tribunen, und weil sie außer der in vielen früheren Stürmen schon erprobten Einsprache kein anderes Mittel finden konnten, stellten sie dieser Einsprache ihre Amtsgenossen entgegen. 7 Als diese die Bezirke von Licinius und Sextius zur Stimmensammlung aufgefordert sahen, untersagten sie, von patrizischer Bedeckung umgeben, die Vorlesung der Anträge und jede andere zu einem Volksbeschluss nötige Förmlichkeit. 8 Und schon wurden nach öfteren vergeblich berufenen Versammlungen die Vorschläge als verworfen angesehen, da sprach Sextius: Es ist noch nichts verloren. Wenn nämlich die Einsprache eine so große Kraft haben soll, so wollen wir mit derselben Waffe den Bürgerstand schützen. 9 Versucht es, ihr Väter, setzt einen Wahltag zur Wahl von Kriegstribunen an, dann werde ich dafür sorgen, dass euch dies ausgerufene »Untersagt!«, in welches ihr jetzt unsere Amtsgenossen zu eurem großen Vergnügen einstimmen hört, keine Freude machen soll. 10 Diese Drohungen blieben nicht ohne Wirkung. Es kam weiter keine Wahl zustande, als die der bürgerlichen Ädilen und Tribunen. Licinius und Sextius, abermals zu Volkstribunen gewählt, verhinderten jede Anstellung in patrizische Ämter und darüber, dass der Bürgerstand diese beiden immer wieder zu Tribunen ernannte, und sie jede Kriegstribunenwahl untersagten, sah die Stadt ihre obrigkeitlichen Ämter auf fünf Jahre erledigt.
(36) Andere Kriege ruhten zum Glück; nur die Ansiedler von Velitrae, welche die Ruhe übermütig machte, weil kein römisches Heer vorhanden war, hatten teils mehrere Einfälle ins römische Gebiet gemacht, teils einen Angriff auf Tuskulum gewagt. 2 Und gerade dies wirkte, als die Tuskulaner, diese alten Bundesgenossen, diese neuen Mitbürger um Hilfe baten, hauptsächlich weil man sich der Weigerung schämte, nicht bloß auf die Väter, sondern auch auf den Bürgerstand. 3 Da also die Volkstribunen nachgaben, wurde von einem Zwischenkönig ein Wahltag gehalten; allein die gewählten Kriegstribunen Lucius Furius, Aulus Manlius, Servius Sulpicius, Servius Cornelius und die beiden Valerier, Publius und Caius, fanden bei der Werbung die Bürger bei Weitem nicht so folgsam als am Wahltage; 4 nur mit einem unter großem Widerstand gebildeten Heer konnten sie ausrücken und vertrieben den Feind nicht bloß von Tuskulum, sondern trieben ihn auch in seine eigenen Mauern zurück. 5 Und nun hatte Velitrae eine weit heftigere Belagerung auszuhalten als früher Tuskulum; doch konnten dieselben Kriegstribunen, welche die Belagerung angefangen hatten, es nicht erobern. 6 Es wurden vorher neue gewählt, Quintus Servilius, Caius Veturius, die beiden Cornelier Aulus und Marcus, Quintus Quinctius und Marcus Fabius. Aber auch von diesen Tribunen wurde vor Velitrae nichts Denkwürdiges vollbracht.
7 Weit ungünstiger standen die Angelegenheiten im Inneren. Denn außer Sextius und Licinius, welche jene Vorschläge beantragt hatten und schon zum achten Mal als Volkstribunen wiedergewählt waren, trat nun auch der Kriegstribun Fabius, der Schwiegervater des Stolo, für die Vorschläge, die eigentlich sein Werk waren, ganz öffentlich mit seiner Empfehlung auf. 8 Und da anfangs acht vom Kollegium der Volkstribunen die Vorschläge bekämpft hatten, waren es jetzt nur noch fünf; und diese wussten, als gewonnene Schwachköpfe, wie die in der Regel sind, die von den Ihrigen abfallen, ihre Einsage nur mit erborgten Worten zu rechtfertigen, die ihnen zu Hause eingetrichtert waren: 9 Ein großer Teil des Bürgerstandes, jetzt im Heer vor Velitrae, sei abwesend; man müsse den Versammlungstag bis zur Ankunft der Soldaten aufschieben, damit der gesamte Bürgerstand über Gegenstände seines eigenen Wohles abstimmen könne. 10 Sextius und Licinius hingegen, mit einigen ihrer Amtsgenossen und dem einen Kriegstribun Fabius schon durch die vieljährige Übung Meister in der Kunst, auf das Volk zu wirken, nötigten die Väter, in die Volksversammlung zu kommen, und ermüdeten sie durch Fragen über die einzelnen Vorschläge, 11 ob sie die Stirn haben könnten, zu verlangen, dass es ihnen selbst erlaubt sein solle, während einem Bürgerlichen nur zwei Morgen Land zugeteilt würden, über 500 Morgen zu haben, dass jeder von ihnen die Ländereien von beinahe 300 Bürgern besitzen solle, und das Grundstück eines Bürgerlichen kaum zum nötigen Gebäude oder zur Grabstelle Raum genug habe? 12 Ob es ihr Wille sei, dass der durch Wucher zugrunde gerichtete Bürgerliche lieber seine Person in den Kerker und zur Sklavenstrafe hergeben, als die geliehene Summe, mit Abrechnung der Zinsen vom Kapitale, abtragen solle, dass täglich herdenweise die Verurteilten vom Markt abgeführt und die Häuser der Adligen mit Gefangenen angefüllt würden, und allenthalben, wo ein Patrizier wohne, ein besonderer Gewahrsam sei?
(37) Und wenn sie nun durch diese ebenso empörenden als Mitleid erregenden, im lauten Strafton gemachten Darstellungen bei Leuten, die beständig ein gleiches Schicksal erwarteten, ihre Zuhörer mit noch größerem Unwillen erfüllt hatten, als sie selbst empfanden, 2 so versicherten sie, bei alledem würden die Väter nie aufhören, sich in die Ländereien einzudrängen und die Bürgerlichen durch Wucher zu morden, ehe nicht das Volk den einen Konsul als Hüter seiner Freiheit aus dem Bürgerstand ernannt habe. 3 Die Volkstribunen wären schon verächtlich, da dieses Amt seine eigene Kraft durch die Einsprache vernichte. 4 Da könne nie Gleichheit des Rechtes obwalten, wo die Herrschaft sich auf jener, auf ihrer Seite nur Hilfeleistung finde. Ohne Teilnahme an der Regierung werde der Bürgerstand nie an der Staatsverwaltung gleichen Anteil haben. Auch dürfe niemand glauben, es sei schon genügend, wenn bei der Konsulwahl auf Bürgerliche nur Rücksicht genommen werden dürfe; wenn nicht der eine Konsul stets aus dem Bürgerstand genommen werden müsse, werde es nie einer werden. 5 Ob sie denn schon vergessen hätten, dass seit 44 Jahren, obgleich man ebendeswegen beschlossen habe, lieber Kriegstribunen als Konsuln zu wählen, um auch den Bürgerlichen den Zutritt zum höchsten Amt offen zu lassen, dennoch kein Bürgerlicher zum Kriegstribun gewählt sei? 6 Wie könnten sie glauben, dass diejenigen bei zwei Stellen freiwillig dem Bürgerstand eine überlassen würden, die gewöhnlich bei der Kriegstribunenwahl acht Stellen besetzt hätten, dass diejenigen den Zutritt zum Konsulat gestatten würden, die ihnen das Tribunat so lange gesperrt hätten? 7 Durch Gesetzeskraft müssten sie sich das verschaffen, was ihnen am Wahltag fremder Einfluss unerreichbar mache, und den Zutritt der Bürgerlichen zu dem einen Konsulat außer Streit setzen, da es jedes Mal, solange es streitig gelassen würde, dem Mächtigeren als Belohnung zufallen werde. 8 Auch könne jetzt die Einwendung nicht mehr gemacht werden, die man sonst von jener Seite gewöhnlich habe hören müssen, dass der Bürgerstand die Männer nicht habe, die zu patrizischen Ämtern geeignet seien. Oder habe sich etwa seit dem Tribunat des Publius Licinius Calvus, des ersten angestellten Bürgerlichen in der Staatsverwaltung mehr Ungeschicklichkeit und Lässigkeit gezeigt als in jenen Jahren, in denen außer Patriziern niemand Kriegstribun gewesen sei? 9 Im Gegenteil, mehrere Patrizier wären nach ihrem Tribunat verurteilt worden, aber kein einziger Bürgerlicher. Auch Quästoren habe man seit einigen Jahren ebenso wie sonst Kriegstribunen aus dem Bürgerstand ernannt, und das römische Volk habe nicht Ursache gehabt, mit einem von ihnen unzufrieden zu sein. 10 Nun sei nur das Konsulat noch für den Bürgerstand übrig; dies aber sei die Burg, sei die Stütze der Freiheit. Komme man dahin, dann erst könne das römische Volk überzeugt sein, dass die Könige wirklich aus der Stadt vertrieben, und dass ihre Freiheit fest begründet sei. 11 Denn von dem Tag an werde dem Bürgerstand das alles zufallen, was jetzt den Vorzug der Patrizier ausmache, Gewalt und Ehre, Kriegsruhm, Geburt, Adel, lauter Dinge von hohem Wert schon als Genuss für sie selbst, von höherem als Erbe für ihre Kinder.
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