(41) Unterdessen erwarteten zu Rom, wo man schon, so gut es in dieser Lage sich tun ließ, zur Behauptung der Burg die gehörigen Vorkehrungen getroffen hatte, alle Greise, zum Tod fest entschlossen, die Ankunft der Feinde. 2 Diejenigen, welche höhere Stellen bekleidet hatten, saßen, um in den Ehrenzeichen ihres ehemaligen Glückes, ihrer Ämter und Tapferkeit zu sterben, so feierlich gekleidet, als ob sie einen Aufzug der Götterwagen oder des Triumphes hielten, mitten im Vorhofe ihrer Häuser auf ihren elfenbeinernen Thronsesseln. 3 Einige berichten, sie hätten sich für das Vaterland und Roms Quiriten die Todesweihe geben lassen, wobei ihnen der Hohepriester Marcus Fabius die Formel vorgebetet habe.
4 Die Gallier, bei denen der Eintritt der Nacht die Kampfwut gemäßigt hatte, die auch weder in der Schlacht irgendeine Gefahr zu bestehen gehabt hatten, noch jetzt die Stadt durch Einbruch oder Sturm eroberten, zogen am folgenden Tag ohne alle Erbitterung und Wut in das offene Collinische Tor und rückten bis auf den Markt vor, wo sie ihre Blicke rund umher auf die Tempel der Götter und auf die Burg warfen, die allein ein kriegerisches Aussehen hatte. 5 Von hier verteilten sie sich mit Hinterlassung einer mäßigen Schar, um nicht in ihrer Zerstreuung von der Burg aus oder vom Kapitol überfallen zu werden, durch die menschenleeren Straßen zum Plündern, stürzten teils scharenweise in jedes nächste Haus, teils rannten sie zu den entfernteren, als ob nur diese noch unberührt und mit Beute angefüllt wären. Von hier kehrten sie wieder, selbst durch die Einöde zurückgeschreckt, 6 um nicht bei ihren Streifereien auf einen feindlichen Hinterhalt zu stoßen, in gedrängten Haufen auf den Markt und in dessen Nähe zurück; 7 und hier, wo sie die Bürgerhäuser verriegelt, die Vorhöfe der Großen aber offen sahen, fanden sie es fast bedenklicher, sich in die offenen als in die verschlossenen Häuser zu wagen, 8 ja nicht ohne Ehrfurcht betrachteten sie die in den Vorhäusern sitzenden Männer, denen bei ihrem Schmuck und Anstand, welcher sie über Menschen erhob, selbst die Hoheit, die aus ihren Zügen und dem Ernst des Antlitzes sprach, ein Aussehen von Göttern gab. 9 Indem sie so, zu ihnen wie zu Standbildern emporblickend, dastanden, brachte einer derselben, wie man sagt, Marcus Papirius, einen Gallier, der ihn am Bart zupfte – denn damals trugen alle lange Bärte –, dadurch in Zorn, dass er ihn mit seinem elfenbeinernen Stab auf den Kopf schlug; 10 und da das Morden damit seinen Anfang nahm, wurden auch die Übrigen auf ihren Stühlen erschlagen. Nach der Ermordung der Vornehmen wurde kein Mensch weiter geschont; die Häuser wurden geplündert und, wenn sie leer waren, angezündet.
(42) Weil indes entweder nicht alle Gallier an der Zerstörung der Stadt Gefallen fanden, oder ihre Häupter den Plan hatten, nur einige Feuer als Schreckmittel zu zeigen, um die Belagerten vielleicht durch die Liebe zu ihren Wohnplätzen zur Übergabe zu bewegen, 2 aber auch nicht alle Häuser niederzubrennen, um immer noch in dem Rest der Stadt ein Pfand zu behalten, das auf die Herzen der Feinde mit Rührung wirken könnte, so brannte es am ersten Tag – gegen das Schicksal eroberter Städte – weder allenthalben, noch ließen sie das Feuer sich weiter verbreiten.
3 Die Römer, welche von der Burg aus die Stadt voller Feinde sahen, die auf allen Straßen zerstreut umherliefen, konnten nicht allein, weil sich bald in dieser, bald in jener Gegend ein neues Unglück erhob, zu keiner Besinnung kommen, sondern sie trauten sogar ihren eigenen Augen und Ohren nicht mehr. 4 Wohin das Geschrei der Feinde, das Weinen der Frauen und Kinder, das Brausen der Flammen und das Krachen der einstürzenden Häuser sie rief, dahin richteten sie, nach jedem hinstarrend, Aufmerksamkeit, Antlitz und Auge, als hätte sie das Schicksal hierher gestellt, bei dem Untergang ihrer Vaterstadt Zuschauer zu sein und von allem ihrem Eigentum weiter nichts verteidigen zu können als ihre Personen, 5 um so beklagenswerter als alle, die je belagert wurden, weil sie als Belagerte, selbst ausgesperrt von ihrer Vaterstadt, alles Ihrige in der Gewalt der Feinde sahen. 6 Der so grauenvoll hingebrachte Tag wich einer nicht ruhigeren Nacht, auf die Nacht folgte ein unruhiger Tag, und es war kein Augenblick mehr, der von dem Anblick eines immer neuen Unglückes frei gewesen wäre.
7 Unter der Last und dem Druck so vieler Leiden begraben, verloren sie ihren Mut nicht – sollten sie auch alles durch Flammen und Trümmer dem Boden gleichgemacht sehen –, trotzdem den Hügel, den sie behaupteten, so ärmlich und klein er war, als den einzigen Zufluchtsort der Freiheit tapfer zu verteidigen. 8 Auch hatten sie sich, da es täglich dieselben Auftritte gab – der Übel gleichsam schon gewohnt –, aller Empfindung ihrer Not entfremdet und blickten nur auf ihre Waffen und auf das Schwert in ihrer Rechten, als die einzigen Überbleibsel ihrer Hoffnung.
(43) Auch die Gallier, die mehrere Tage nacheinander nur gegen die Häuser der Stadt einen Krieg ohne Erfolg geführt hatten und unter den Brandstätten und Trümmern der eroberten Stadt nichts weiter vor sich sahen als bewaffnete Feinde, die sie vergeblich durch so vielerlei Unglück geschreckt hatten, und die sich auch, ohne Gewalt zu gebrauchen, zur Übergabe nicht verstehen würden, beschlossen jetzt, das Äußerste zu wagen und einen Angriff auf die Burg zu unternehmen. 2 Bei Tagesanbruch stellte sich auf ein gegebenes Zeichen die ganze Masse auf dem Markt in Schlachtordnung auf, und nach erhobenem Geschrei rückten sie in geschlossenem Schilddach heran.
Die Römer, völlig besonnen und kaltblütig, verstärkten an allen Zugängen die Posten, stellten da, wo sie den Feind anrücken sahen, den Kern ihrer Männer ihm entgegen und ließen ihn heransteigen, weil sie ihn, je höher er sich den schroffen Felsen hinaufwagen würde, desto leichter am Abhänge hinabzustoßen hofften. 3 Etwa in der Mitte des Hügels leisteten sie Widerstand, und als sie jetzt von ihrer Höhe, die sie beinahe von selbst auf den Feind fallen ließ, den Angriff machten, häuften sich unter ihrem Schwert und durch den Herabsturz vom Berg bei den Galliern Leichen auf Leichen, so dass sie nie wieder, weder truppweise noch vereint, diese Art des Kampfes versuchten.
4 Da sie also die Hoffnung, durch Gewalt und Waffen heranzukommen, aufgaben, schickten sie sich zur Belagerung an; teils aber hatten sie selbst, ohne bis dahin daran zu denken, das Getreide bei den Einäscherungen der Häuser verbrannt, teils hatte man gerade in diesen Tagen alle Vorräte vom Land nach Veji geschafft. 5 Sie beschlossen also, mit geteiltem Heer dort bei den benachbarten Völkern zu rauben, hier die Burg eingeschlossen zu halten, um durch den auf dem Land plündernden Haufen den Belagerern Getreide zuzuführen.
6 Die von der Stadt aufbrechenden Gallier führte das Schicksal selbst, um ihnen von der römischen Tapferkeit eine Probe zu geben, nach Ardea, wo Camillus als Verbannter lebte. 7 Als er hier, betrübter über die Lage des Staates als über seine eigene, unter Klagen über Götter und Menschen sich abhärmte und es ebenso ärgerlich als unbegreiflich fand, dass jene Männer verschwunden sein sollten, die mit ihm Veji und Falerii erobert hätten, für die in anderen Kriegen die Tapferkeit immer mehr getan habe als das Glück, 8 da hörte er plötzlich, dass ein Heer von Galliern anrücke, und dass die Ardeaten voll Bestürzung hierüber berieten, und wie von göttlichem Geist angehaucht, eilte er mitten in die Versammlung, während er bisher dergleichen Zusammenkünfte gemieden hatte, und sprach:
(44) Ardeaten, meine alten Freunde, und jetzt auch, weil es eure Güte erlaubte und mein Schicksal so fügte, meine Mitbürger, glaube niemand unter euch, dass ich meiner Lage vergessend hier aufgetreten sei; allein die Umstände und die gemeinschaftliche Gefahr zwingen jeden, das ihm in dieser Not mögliche Rettungsmittel mitzuteilen. 2 Und wann könnte ich für eure so großen Verdienste um mich dankbar sein, wenn ich jetzt würde gezögert haben? Oder wo würdet ihr von mir Gebrauch machen können, wenn es nicht im Krieg sein sollte? Durch dieses Mittel behauptete ich meinen Posten im Vaterland und, unbesiegt im Krieg, bin ich im Frieden von undankbaren Mitbürgern vertrieben worden. 3 Euch aber, ihr Ardeaten, bietet sich jetzt das Glück, teils dem römischen Volk seine großen früheren Wohltaten, deren Wert euch nicht entgangen ist – und dem treuen Gedächtnis muss man sie nicht vorhalten –, zu vergelten, teils eurer Stadt die glänzende Ehre des Sieges über den gemeinschaftlichen Feind zu erwerben. 4 Die in schwärmenden Zügen Heranrückenden sind ein Volk, dem die Natur mehr große als feste Körper und Mut verlieh; darum treten sie zum Kampf mehr furchtbar als kraftvoll auf. 5 Den Beweis mag uns Roms Unglück geben. Die offene Stadt konnten sie erobern; von der Burg und dem Kapitol widersteht man ihnen mit einer Handvoll Leute. Dem Überdruss der Belagerung erliegend ziehen sie ab und streifen schwärmend auf dem Land umher. 6 Mit Speise und Wein, die sie im Raub verschlingen, angefüllt, werfen sie sich, wenn die Nacht hereinbricht, ohne Verschanzung, ohne Posten und Wachen, wie das Vieh ohne alle Ordnung an den Wasserbächen nieder, und jetzt im Glück noch weniger auf ihrer Hut als gewöhnlich. 7 Ist es euer Wille, eure Mauern zu schützen und nicht alles hier gallisch werden zu lassen, so greift zahlreich um die erste Nachtwache zu den Waffen, folgt mir zum Morden, nicht zum Kampf. Liefere ich sie euch nicht, vom Schlaf gefesselt, wie das Vieh zur Schlachtbank, so lasse ich mir zu Ardea dieselbe Wendung meines Schicksals gefallen, die ich in Rom erfahren habe.
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